Christian M. Zachlod: Die Staatsfinanzen des Hochstifts Hildesheim vom Ende des Siebenjährigen Krieges bis zur Säkularisation (1763-1802/03) (= Studien zur Gewerbe- und Handelsgeschichte der vorindustriellen Zeit; Bd. 27), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2007, 311 S., ISBN 978-3-515-08978-4, EUR 46,00
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Es hat im frühneuzeitlichen Reich herrschaftliche bzw. ständische Institutionen gegeben, die als Vorläufer moderner staatlicher Behörden gelten können, nicht aber einen Staat im Sinne des 19. Jahrhunderts. Selbst der Begriff 'Staat' ist im deutschen Sprachraum erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer festen Größe geworden. In konzeptioneller Hinsicht hat er aber nur allmählich, im Zuge seiner Dissoziation vom Gesellschaftsbegriff, Konturen gewonnen. Wer die Staatsfinanzen eines Reichsterritoriums im 18. Jahrhundert untersuchen möchte, setzt sich folglich einem systematisch unauflösbaren Dilemma aus, da Fragestellung und Methoden dem historischen Gegenstand nicht gemäß sind und daher auch nicht zu schlüssigen, überzeugenden Ergebnissen führen können. Insbesondere Wirtschaftshistoriker haben sich trotz dieser Problematik nicht davon abhalten lassen, die 'Staatsfinanzen' der frühmodernen Welt zu studieren, die sie als Schlüssel zum Verständnis der modernen Staatsbildung betrachten.
Die zu besprechende Göttinger Dissertation von Christian Zachlod lässt erkennen, welche Konsequenzen sich aus dem methodischen Dilemma ergeben: Um die Entwicklung der 'Staatsfinanzen' des niedersächsischen Hochstifts Hildesheim zwischen dem Siebenjährigen Krieg und der Säkularisation untersuchen zu können, hat der Verfasser den fürstlichen Kammer- und den ständischen Landeshaushalt zusammengezogen. Die Zahlenwerke für diesen Zeitraum sind lückenlos überliefert. Nicht einbezogen hat der Verfasser dagegen die Register des Domkapitels, obgleich dieses doch drei der fünfzehn Stiftsämter verwaltet und dabei 'staatliche' Funktionen wie die bischöfliche Kammer wahrgenommen hat (15f., 22). Gleiches gilt für jene Amtspächter, die landesherrliche Beamte und niedere Amtsträger direkt besoldet haben. Man kann diese Selbstbeschränkung vielleicht mit pragmatischen Gründen rechtfertigen, von einem Bemühen um methodische Konsistenz und sachliche Präzision kann unter diesen Umständen aber keine Rede sein.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass die Steuern im Hochstift Hildesheim während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen Anteil von 60-70 Prozent an den 'staatlichen' Einnahmen hatten (200). Im Zuge einer vergleichenden Betrachtung mit anderen deutschen Territorien (186ff.) wird schließlich konstatiert, dass diese Quote auch in Bayern und Österreich erreicht wurde (204), während sie anderswo höher oder niedriger lag. Mit dem groben - nicht vom Verfasser eingeführten, aber von ihm genutzten - Ansatz, die unterschiedliche Steuerquote auf die jeweilige Wirtschaftsstruktur zurückzuführen ('Handels-, Gewerbe- oder Agrarstaat'), kann die unterschiedliche Entwicklung nicht erklärt werden. Zachlod hat insbesondere die Rolle der Stände auf diesem Feld viel zu wenig beachtet (Ausnahme 217). Wenn er dies getan hätte, dann hätte er sich freilich auch der unangenehmen, seine methodischen Dispositionen berührenden Frage stellen müssen, warum man für Länder wie Hildesheim, Bayern und Österreich, die nicht nur in wirtschaftlicher, sondern vor allem auch in verfassungsmäßiger Hinsicht ein unterschiedliches Gepräge aufwiesen, ungefähr dieselbe Steuerquote errechnen kann.
Die offenbar in großer Hast publizierte Studie, der eine Kürzung und Verdichtung gut getan hätte, weist eine erhebliche Zahl von Druckfehlern, von sachlichen Ungenauigkeiten und Missverständnissen auf, die vor allem hinsichtlich politik- und sozialgeschichtlicher Vorgänge auftreten: So wird das südwestdeutsche reichsgräfliche Haus Fürstenberg mit dem westfälischen Freiherrengeschlecht gleichen Namens zusammengezogen, um aus diesem Kurzschluss abwegige Spekulationen zu entwickeln (195, Anm. 963). Die oft bis ins Mittelalter zurückgreifenden Ausführungen zur 'staatlichen' Verfassung des Hochstifts (siehe nur 64-69) beruhen auf überholter Literatur und sind korrekturbedürftig. Besonders ärgerlich sind falsche Aktensignaturen: Hier fällt auf, dass etliche Akten mit einer 8000er Nummer dem Bestand des Landsyndikus' (Hild. Br. 12) zugeordnet werden (siehe nur 121, Anm. 597, 599, 600; vgl. 17); dieser umfasst indes weniger als 2000 Akten.
Obgleich die Publikation der hildesheimischen Kammer- und Steuerregister aus den Jahren nach dem Siebenjährigen Krieg grundsätzlich zu begrüßen ist, vermag die Studie angesichts der konzeptionellen und methodischen Unzulänglichkeiten nicht zu überzeugen. Selbst das Mittel des Vergleichs hat es nicht vermocht, den Verfasser zu einer Revision unhaltbarer Annahmen oder doch wenigstens zu deren Diskussion anzuregen. Als eigenständiger Beitrag zur Erforschung der frühmodernen Staatsbildung kann die Studie folglich nicht gelten.
Thomas Klingebiel