Beate-Christine Fiedler / Christine van den Heuvel (Hgg.): Friedensordnung und machtpolitische Rivalitäten. Die schwedischen Besitzungen in Niedersachsen im europäischen Kontext zwischen 1648 und 1721 (= Veröffentlichungen des Niedersächsischen Landesarchivs; Bd. 3), Göttingen: Wallstein 2019, 375 S., zahlr. Farbabb., 4 Kt., ISBN 978-3-8353-3588-2, EUR 29,90
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Julia Zech: Reformation als Herausforderung. Konflikte und Alltag des Superintendenten Jacob Jovius im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel 1569-1585, Göttingen: V&R unipress 2018
Im Osnabrücker Friedensvertrag von 1648 wurden der schwedischen Krone neben Vorpommern das ehemalige Erzstift Bremen und das Hochstift Verden als weltliche Herzogtümer übertragen. Die beiden Territorien waren in Form einer Personalunion mit Schweden verbunden und behielten daher ihre Rechte und Privilegien; der schwedische König regierte sie als deutscher Reichsfürst. Während des Nordischen Krieges fiel das Gebiet 1712 durch Eroberung an Dänemark, das es 1715 an das Kurfürstentum Hannover verkaufte; im Frieden von Stockholm vom November 1719 trat Schweden Bremen-Verden förmlich an das Kurfürstentum Hannover ab. Die schwedische Herrschaft und die Auswirkungen der bis 1721 geführten Kriege auf die Territorialstaaten im Nordwesten des Reiches waren das Thema einer vom Niedersächsischen Landesarchiv veranstalteten internationalen wissenschaftlichen Tagung, die am 2./3. Februar 2018 in Stade stattfand. Anlass dieses Treffens war das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Projekt einer Tiefenerschließung des im Niedersächsischen Landesarchiv Abteilung Stade verwahrten umfangreichen Depositums "Schwedisches Regierungsarchiv" (Rep. 5a), das neben Archivalien zur schwedischen Verwaltung zahllose Quellen zur auswärtigen Politik der beiden Herzogtümer für die Zeit zwischen 1645/48 und 1712/15 birgt. Der vorliegende Sammelband enthält die erweiterten Vorträge der Tagung sowie eine Reihe von Kurzbeiträgen eines Workshops, die auf einschlägige Bestände des Niedersächsischen Landesarchivs aufmerksam machen.
Einen Überblick über die Entwicklung der Herzogtümer Bremen und Verden während der schwedischen Herrschaft vermittelt der Beitrag von Kersten Krüger ("Mars oder Ars nach dem Westfälischen Frieden 1648? Die nördlichen Territorien des Heiligen Römischen Reichs im Spannungsfeld der nordeuropäischen Großmächte zwischen Krieg und Frieden", 24-58); der Verfasser weist insbesondere auf die steuerliche Belastung der Bevölkerung in den Herzogtümern durch die fortdauernden kriegerischen Auseinandersetzungen hin. Christine van den Heuvel ("Allianzen und Interessengegensätze. Die welfischen Territorien und Schweden 1648 bis 1719", 59-86) zeigt das planmäßige Bemühen des hannoverschen Kurfürsten Ernst August um den Erwerb Bremen-Verdens auf; für den Erfolg unter seinem Nachfolger Georg Ludwig war nicht zuletzt die Personalunion zwischen Hannover und Großbritannien eine günstige Vorbedingung.
Die Integration des erworbenen Gebietes in den Kurstaat wurde dadurch gefördert, dass die hannoversche Regierung einen großen Teil der schwedischen Beamtenschaft übernahm und sich deren Erfahrungen hinsichtlich einer effektiven Verwaltung zu Nutzen machte, wie Christian Hoffmann in seinem Beitrag "Integration durch Administration. Die Besitznahme der Herzogtümer Bremen und Verden durch Dänemark 1712 und durch Kurhannover 1715 im Vergleich" (149-178) überzeugend nachweist. Mit der politischen Leitungsspitze der Herzogtümer während der Schwedenzeit, insbesondere den Gouverneuren Hans Christoph von Königsmarck (1645/48-1663) und Nils Gyllenstierna (1698-1711), befasst sich Beate-Christine Fiedlers Abhandlung "Zwischen Stade und Stockholm. Die Gouverneure in den Herzogtümern Bremen und Verden als königlich-schwedische Statthalter 1648-1712" (202-224). In Stockholm legte man bei der Auswahl der Gouverneure Wert auf Eigenschaften wie Erfahrung, Durchsetzungsfähigkeit und Zuverlässigkeit; vor allem Königsmarck gelang es, gestützt auf umfangreichen Landbesitz in den neuen Provinzen, eine fürstengleiche Stellung einzunehmen.
Während des Dreißigjährigen Krieges spielten schottische Offiziere in den schwedischen Regimentern eine herausragende Rolle. Nach dem Westfälischen Frieden blieb eine größere Anzahl von ihnen in schwedischen Diensten. Mit den von ihnen aufgebauten militärischen, politischen und diplomatischen Netzwerken beschäftigt sich Kathrin Zickermann in ihrem Artikel "Alexander Erskein und die schottischen Netzwerke in den Herzogtümern Bremen und Verden nach 1648" (225-243); aufschlussreich sind ihre Ausführungen, dass sich diese schottischen Militärs nach der "Glorious Revolution" als loyale Stuartanhänger erwiesen.
Außenpolitischen Aspekten geht Konrad Elmshäuser in seinem Aufsatz "Reichsstädtische Identität und konfessionelle Konkurrenz. Reformierte und Lutheraner im 17. Jahrhundert in Bremen" (87-106) nach, der die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Schweden und der Reichsstadt Bremen beleuchtet. Den Schweden, die sich als Schutzmacht der lutherischen Minderheit in der mehrheitlich reformierten Stadt verstanden, gelang es nicht, die konfessionellen Gegensätze zu ihren Gunsten auszunutzen. Die Abwendung Schwedens von Frankreich, seinem Verbündeten während des Dreißigjährigen Krieges, und seine Annäherung an den Kaiser in den 1680er Jahren sind Inhalte des Beitrages von Michael Busch ("Schwedische Außenpolitik nach 1679. Das Kriegstagebuch des Oberst Carl Leonhard von der Lühnen. Zum Kontext eines Editionsvorhabens, 244-263). Als Reichsstand leistete der schwedische König dem Kaiser während des Pfälzischen Erbfolgekrieges Militärhilfe. Das Kriegstagebuch des Obersten Carl Leonhard von der Lühnen schildert vor allem die logistischen Probleme bei der Versorgung der schwedischen Truppen während dieser Auseinandersetzung. Das Verhalten der gesandtschaftlichen Vertretung der schwedischen Herzogtümer beim Immerwährenden Reichstag während des Nordischen Krieges steht im Mittelpunkt der Ausführungen von Dorothée Goetze ("Desintegration im Ostseeraum - Integration ins Reich? Die Vertretung der schwedischen Herzogtümer beim Immerwährenden Reichstag während des Großen Nordischen Krieges (1700-1721) am Beispiel des Corpus Evangelicorum", 126-148). Einen Schwerpunkt bilden die Auseinandersetzungen im Corpus Evangelicorum, deren Mitglieder zeitweise unterschiedliche Kriegsziele verfolgten.
Die Abhandlungen von Indravati Félicité ("Westfälische Ordnung oder Kampf um das politische Überleben? Die Diplomatie Schleswig-Holstein-Gottorfs um 1700", 107-125), Gerd Steinwascher ("Diplomatie in schwierigem Fahrwasser. Die Erbteilungspolitik Anton Günthers von Oldenburg nach dem Westfälischen Frieden", 180-201) und Stefan Brüdermann ("Graf Friedrich Christian zu Schaumburg-Lippe. Großer Skandal im kleinen Land, 264-281) nehmen die Stellung kleinerer nordwestdeutscher Reichsstände in den Blick und stellen ihre Bemühungen um Aufrechterhaltung ihrer Eigenständigkeit dar. Von den Kurzbeiträgen des Workshops sind vor allem die Artikel von Thomas Brakmann ("Die Korrespondenzüberlieferung des Osnabrücker Bischofs Franz Wilhelm von Wartenberg (1648-1661)", 284-297), Christian Schlöder ("Die Außenpolitik Georg Wilhelms von Lüneburg im Kontext der Reichsexekution gegen Schweden in Bremen-Verden 1675-1680", 307-316) und Roxane Berwinkel ("Wolfenbüttel, Wien und Petersburg. Archivalische Überlieferung zur Zeit Herzog Anton Ulrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel", 317-331) zu nennen, die auf die Notwendigkeit umfassender und modernen Ansprüchen genügender Biografien ihrer Protagonisten hinweisen.
Die aufschlussreichen Beiträge des Sammelbandes vertiefen unsere Kenntnisse über eine Region, deren Erforschung bislang nur eingeschränkte Beachtung gefunden hat. Sie weisen auf Defizite der Forschung hin; so erscheinen weiterführende Studien über die Stellung der nordwestdeutschen Territorien im Reichsgefüge, die Möglichkeiten außenpolitischer Aktivitäten, die Bedeutung und politische Tätigkeit der Reichskreise oder die Auswirkung von Krieg und Militär auf die Bevölkerung als besonders lohnend.
Hans-Georg Aschoff