Michael Maurer: Kulturgeschichte. Eine Einführung, Stuttgart: UTB 2008, 318 S., ISBN 978-3-8252-3060-9, EUR 17,90
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Die "Bachelorisierung" der Universitäten hat längst auf den Buchmarkt durchgeschlagen: an historischer Einführungsliteratur, die kurz und prägnant in Grundprobleme des Faches Geschichte einführt und der Zeitknappheit von Studierenden in neuer Weise Rechnung trägt, herrscht kein Mangel. Das vorliegende Werk ordnet sich in diese Entwicklung ein und betritt dennoch Neuland. Während etwa Ute Daniels "Kompendium Kulturgeschichte" vor allem Theorien und Methoden der "Neueren Kulturgeschichte" behandelt und Achim Landwehrs und Stefanie Stockhorsts "Einführung in die europäische Kulturgeschichte" auch als Einführung in das Studium der Geschichte der Frühen Neuzeit gelesen werden kann [1], verfolgt Michael Maurers hier vorzustellendes Buch "Kulturgeschichte" das Ziel, in 15 thematischen Schnitten das Thema in seiner inhaltlichen Breite zu durchmessen. Dies ist ein schwieriges Unterfangen, denn wo sollen in einem so vielfältig besetzten Feld wie dem der "Kulturgeschichte" die Pflöcke eingerammt werden? Wie kann man einem Studienanfänger dabei helfen, einen Eindruck über ein Fach- oder besser Themengebiet zu gewinnen, das sich oft der klassischen disziplinären Zuordnung entzieht - ja das sich weniger durch die Gegenstände selbst definiert, als vielmehr durch eine bestimmte Sicht darauf?
Die vorliegende Einführung trägt primär dem Bedürfnis nach studentischer Orientierung Rechnung. Der Autor ist Professor für Kulturgeschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und hat das Buch aus einer regelmäßig angebotenen einführenden Lehrveranstaltung heraus entwickelt. Das Buch aber beansprucht mehr zu sein als nur das verschriftlichte Selbstverständnis des Faches "Kulturgeschichte" an der Universität Jena - ein Fach, das in eigenständiger Form nur an wenigen deutschen Universitäten gelehrt wird. Insofern wird man diese Einführung zum einen an ihrem potentiellen Nutzen für einen "Kultur-" Historiker beurteilen müssen, zum anderen aber auch hinsichtlich ihrer Einsatzmöglichkeiten in der "profan-" historischen, nach Epochen gegliederten universitären Lehre.
Das Buch gliedert sich in fünfzehn thematische Kapitel, die auf je etwa 20 Seiten folgende Bereiche behandeln: "Kulturbegriff - Kulturtheorie", "Erinnerungskultur", "Namenkultur", "Sprachkultur - Kultursprachen", "Schreibkultur - Lesekultur", "Überlieferungskultur", "Medienkultur", "Zeitkultur", "Raumkultur", "Kirche und Kultur", "Konfessionskulturen", "Hofkultur", "Bürgerkultur", "Europäische Kulturgeschichte" sowie "Nationalkulturen und Kulturaustausch". In den einzelnen Kapiteln werden neben der knappen Darstellung größerer Strukturen und Prozesse bisweilen auch einzelne klassische Werke (von Herder über Weber und Cassirer bis zu Berger/Luckmann) vorgestellt und / oder in graphisch hervorgehobenen Zitaten berücksichtigt. Manche der thematischen Schnitte wirken etwas unorthodox und könnten im Einzelnen debattiert werden - so besteht das Kapitel "Erinnerungskultur" fast komplett aus einer Zusammenfassung von Jan Assmanns "Kulturellem Gedächtnis", während institutionelle Formen der Erinnerung (Archive etc.) im Kapitel "Überlieferungskultur" abgehandelt werden, Denkmäler unter "Raumkultur", Epochenbewusstsein oder Feste unter "Zeitkultur", Antiken- und Mittelalterrezeption unter "Europäische Kulturgeschichte" usw. Jedes Kapitel schließt mit einer - wiederum graphisch hervorgehobenen - Zusammenfassung des Kapitelinhalts auf etwa zehn Zeilen, die offenbar zum Überprüfen des Gelesenen oder schlicht zum Auswendiglernen gedacht ist und manchmal etwas banal wirken kann. Zum Kulturbegriff heißt es da etwa: "Umgangssprachlich verbindet man immer noch mit 'Kultur' etwas 'Höheres'. Aber wissenschaftlich gesehen, ist 'Kultur' alles." (31) Interessanter sind dagegen oft die Vorschläge zur eigenen Weiterarbeit, ergänzt um drei bis vier Literaturangaben meist kanonischer Werke. Die Zahl der Nachweise in Fußnoten ist knapp gehalten und beschränkt sich häufig auf Handbücher und Einführungsliteratur.
Das Buch soll eine Starthilfe in das Fach Kulturgeschichte bieten, es könnte bei manchem Leser allerdings den Eindruck hervorrufen, dass man nach der Lektüre das Thema "Kulturgeschichte" gleichsam erschöpfend abgedeckt hat. Dem stehen die manchmal doch etwas willkürlich ausgewählt scheinenden Beispiele entgegen. Will man die inhaltlichen Schwerpunkte des Buches auf einen Nenner bringen, dann handelt es sich primär um eine Einführung in die protestantische Hochkultur Mitteleuropas in der Neuzeit, wenn nicht der Frühen Neuzeit: Antike und Mittelalter dienen oft als Schablonen für neuzeitliche Entwicklungen. Ostmittel- und Osteuropa sind kaum präsent; Adel und Bürgertum werden eigene Kapitel gewidmet, andere Schichten kommen nur am Rande vor. Religion wird im Zusammenhang mit Konfession und Kirchlichkeit (unter protestantischer Schwerpunktsetzung) behandelt - was etwa Judentum und Islam zur Entwicklung einer europäischen Kultur beigetragen haben, bleibt unklar.
Bei solch einer knappen Einführung in einen derart umfassenden und kaum abgrenzbaren Bereich ist es zugegebenermaßen leicht, Desiderate anzumahnen und auf inhaltliche Schwachstellen und Ungenauigkeiten hinzuweisen. Ein deutlicher Pluspunkt indes ist eine lebensweltliche Rückbindung des Inhalts, die an vielen Stellen des Buches deutlich wird. Dem Themenbereich oder "Fach" Kulturgeschichte (jedenfalls in der Jenaer Ausprägung) wird hier eine Brückenfunktion zwischen akademischer Forschung und dem täglichen Erleben historischer Zusammenhänge zugebilligt. Dies betrifft nicht nur Themen wie Erinnerung oder Kommunikation und Medien, sondern etwa auch die Entwicklung von Vor- und Straßennamen, ferner recht praxisnahe Übungen zur Weiterarbeit, die sich oft auf den unmittelbaren Lebensbereich (die Stadt, das Stadtviertel) des Lesers beziehen und den angehenden Kulturhistoriker zum aufmerksamen Kultur-Beobachter machen sollen. Vieles davon dürfte Studienanfängern den Zugang zum Fach Kulturgeschichte erleichtern - wie überhaupt zum Studium der Geschichtswissenschaften. Das Buch gibt damit Studierenden und Lehrenden gleichsam im Vorbeigehen wichtige Argumentationshilfen über Sinn und Zweck eines geisteswissenschaftlichen Studiums und über den Platz von (Kultur-) Geschichte im täglichen Leben an die Hand. Einzelne Kapitel werden sich sicherlich als komprimierte Einführungen auch in der Lehre einsetzen lassen, wenngleich in vielen der angesprochenen Bereiche die Vogelperspektive durch genauere Betrachtung ergänzt und modifiziert werden muss. Im Selbststudium kann das Buch für Studienanfänger oder Unentschlossene einen facettenreichen, lebens- und praxisnahen ersten Einblick in den Gegenstandsbereich vermitteln.
Anmerkung:
[1] Ute Daniel: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt a. M. 2001; Achim Landwehr / Stefanie Stockhorst: Einführung in die Europäische Kulturgeschichte, Paderborn 2004.
Alexander Schunka