Eva Ebel: Die Attraktivität früher christlicher Gemeinden. Die Gemeinde von Korinth im Spiegel griechisch-römischer Vereine (= Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe; 178), Tübingen: Mohr Siebeck 2004, XV + 276 S., ISBN 978-3-16-148201-4, EUR 59,00
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Seit der fundamentalen Arbeit von Meeks "Die soziale Welt des Urchristentums", der ein Kapitel auch den organisatorischen Vorbildern der frühchristlichen Gemeinden widmete, stellte sich die komparative Analyse von christlichen und traditionellen formalen Gruppen als Forschungsaufgabe. In diese Lücke passt sich nun die im Wintersemester 2002/03 von der theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen Nürnberg angenommene Dissertation ein, die explizit einen Vergleich zwischen der paulinischen Gemeinde von Korinth und verschiedenen traditionellen collegia unternimmt. Dabei konzentriert sich die Studie auf die Gegenüberstellung des 1. Korintherbriefes (aus dem Jahr 54/55) und zwei Vereinssatzungen, die der cultores Dianae et Antinoi aus der italischen Landstadt Lanuvium (aus dem Jahr 136 n. Chr.) und die der Iobakchen aus Athen (entstanden zwischen 161 und 178).
Aus dieser Fokussierung auf drei Texte, die über die Vereinsmähler, die interne Vereinsgerichtsbarkeit und den sozialen Status der Mitglieder informieren, ergibt sich die Gliederung der Untersuchung: Nach einer Einleitung werden zunächst die cultores Dianae et Antinoi abgehandelt, gefolgt von der Analyse der Iobakchen, die in einem dritten Hauptkapitel gegenübergestellt werden, um in einem vierten Kapitel die Perspektive auf die Christinnen und Christen in Korinth auszuweiten. Abgeschlossen wird die Analyse mit einem Vergleich der Attraktivität griechisch-römischer Vereine und früher christlicher Gemeinden. Lagepläne, Literaturverzeichnis und verschiedene Register erhöhen die Benutzbarkeit des Werkes, ebenso wie eine Zusammenstellung der herangezogenen Vereinsinschriften in einem Anhang, "damit sich jede Leserin und jeder Leser, auch ohne über eine epigraphische Handbibliothek zu verfügen (was bisweilen sogar in theologischer Literatur vorausgesetzt zu werden scheint), von diesen Inschriften ebenfalls ein eigenes Bild machen kann, sind sie im epigraphischen Anhang in Original und Übersetzung abgedruckt" (9).
In der Einleitung bietet die Autorin einen Aufriss der Forschungsgeschichte, der Methode und die Leitfrage nach den Motiven, sich einer christlichen Gemeinde anzuschließen (1). Dabei trifft Ebel zwei Grundsatzentscheidungen: Sie wählt einen exemplarischen Ansatz, um die Funktionsweisen eines antiken Vereins zu demonstrieren. Daher untersucht die Autorin singuläre Texte; sie grenzt sich "damit von dem in der neutestamentlichen Sekundärliteratur weithin geübten Verfahren ab, isolierte, aus dem Zusammenhang gerissene Belege in Fußnoten aufzulisten. Dieses macht es nicht nur den meisten Leserinnen und Lesern unmöglich, die Argumentation zu prüfen, weil ihnen der Zugang zu den Quellen oft fehlt, sondern missachtet auch die Individualität eines jeden paganen Vereins und einer jeden christlichen Gemeinde" (11). Zudem setzt sich Ebel zeitliche Grenzen, um "die frühe Entwicklung der christlichen Gemeinden" (11) zu beleuchten.
Die zeitlichen Grenzen der Arbeit gelten allerdings nur für die Analyse der christlichen Quellen, denn die ausführlich besprochene Vereinssatzung der cultores Dianae et Antinoi wurde etwa 80 Jahre nach dem 1. Korintherbrief abgefasst. Dieser Verein zählt zu der modernen Kategorie der collegia funeraticia, die - mittels der Stiftung eines Vereinspatrons und durch Mitgliedsbeiträge finanziert - die Bestattung von Vereinsmitgliedern organisierten und zelebrierten. Aufgrund der inschriftlich genannten bescheidenen Speisen, der Nennung von Sklaven als potenzielle Mitglieder und der Bestattungsaufgabe, die, so Ebel (74), nicht für sozial gehobene Kreise attraktiv war, zeugen von unteren und mittleren Bevölkerungsschichten.
Im Gegensatz zu dem italischen collegium stammen die Mitglieder dieses Dionysosvereins, wie häufig im griechischen Osten zu beobachten, aus den gehobenen Schichten. Die Vereinsführung übernahm höchstwahrscheinlich der bekannte Herodes Attikus, so dass die Inschrift in die Zeit zwischen 161 und 178 datierbar ist. Das Aufnahmeverfahren unter die Dionysosanhänger wurde stark reglementiert; ein schriftlicher Antrag und eine Abstimmung über die Würdigkeit und Eignung bildeten die Zulassungsvoraussetzungen. Sonderregelungen für Söhne und Brüder legen nahe, dass die Zugehörigkeit zu den Iobakchen innerhalb der Familie weitergegeben wurde und zu der Festigung eines Standesbewusstseins beitrug.
Anschließend vergleicht Ebel die cultores und Iobakchen hinsichtlich des Aufnahmeverfahrens, der Höhe der Mitgliedsbeiträge, der Organisation und Häufigkeit der Vereinsmähler, der Vereinsgerichtsbarkeit und den Vereinseuergeten. Wesentlicher Unterschied zwischen beiden Vereinen ist der soziale Status und damit auch das ökonomische Potenzial der jeweiligen Vereinsmitglieder. Daraus ergeben sich für die athenischen Iobakchen konsequenter Weise höhere Mitgliedsbeiträge, eine Selektion der Aufnahmewilligen und Euergeten mit größerem Sozialprestige. Beiden Vereinen gemeinsam ist die Beschränkung des Mitgliederkreises auf männliche Personen.
Die Analyse der Paulinischen Gemeinde in Korinth konzentriert sich auf die Häufigkeit und den Umfang des christlichen Gemeinschaftsmahles, auf die vereinsinterne Gerichtsbarkeit und der Bezeichnung von Gemeindemitgliedern als Bruder bzw. Schwester. Die Problemlösungen des Paulus bezwecken einerseits die Egalität der Gemeindemitglieder; deutlich wird dies an den konfliktverursachenden Portionen beim Gemeinschaftsmahl und die Verwandtschaft suggerierende Anrede. Andererseits zielen die paulinischen Anweisungen auf die Integration der Gemeindemitglieder durch moralisch legitimierten Ausschluss von Mitgliedern, deren Verhalten christlichen Wert- und Moralvorstellungen nicht entsprach, und mittels einer gemeindeinternen Gerichtsbarkeit, die jedwede Auseinandersetzung vor einem ordentlichen Gericht ablehnte.
Im letzten Kapitel werden die beiden Vereine und die paulinische Gemeinde von Korinth zusammenfassend gegenübergestellt, um resümierend festzuhalten, inwiefern und für wen die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinde attraktiv war. Im Gegensatz zu den beiden exemplarisch vorgestellten Vereinen war der Zugang zu einer christlichen Gemeinde weder an die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht oder Statusgruppe geknüpft noch an die Zahlung von festgelegten Mitgliedsbeiträgen. Die Häufigkeit der christlichen Zusammenkünfte, die im Gegensatz zu den dokumentierten Vereinsmahlzeiten wöchentlich stattfanden, damit häufiger ein Sättigungsmahl boten und die gruppeninterne Verbundenheit förderten, machte ebenso die Attraktivität der christlichen Gemeinden aus, wie die überregionale Vernetzung der christlichen Gemeinden und den daraus resultierenden ökonomischen Vorteilen. [1] Daher war die Zugehörigkeit zu christlichen Gemeinden vor allem für Frauen und für Personen unterer sowie mittlerer Gesellschaftsschichten attraktiv.
Die Untersuchung zeugt von großer Sorgfalt im Umgang mit dem epigraphischen Material und zeigt, wie fruchtbar eine Gegenüberstellung von traditionellen Vereinen und christlichen Gemeinden sein kann. Auch wenn manches unberücksichtigt und methodisch undifferenziert bleibt [2], ist die Dissertation aufgrund der umfangreichen zweisprachigen Inschriftentexte als einführende Lektüre in die organisatorischen Vorbilder der christlichen Gemeinden und als Einblick in die verschiedenen Arten von Gruppen, die in einer Stadt nebeneinander existierten, besonders empfehlenswert.
Anmerkungen:
[1] Hier wäre noch die Arbeit von H.-J. Drexhage: Wirtschaft und Handel in den frühchristlichen Gemeinden (1.-3. Jh. n. Chr.), in: RQS 76 (1981), 1-72 zu nennen.
[2] So wird kaum problematisiert, dass die verschiedenen Quellengattungen eine Gegenüberstellung von Vereinen und christlichen Gemeinden erschweren. Auch Unterschiede zwischen Vereinen im griechischen Osten und römischen Westen bleiben unberücksichtigt. Zudem hätte eine Analyse der ägyptischen Papyri bei der Untersuchung der Bezeichnung "Bruder" die singuläre Stellung dieser Anrede in christlichen Gemeinden relativiert. Ebenso wäre wünschenswert gewesen, den korinthischen Isis-Kultverein, der durch den Apuleius-Roman gut bezeugt ist, in die Analyse der Attraktivität christlicher Gemeinden einzubeziehen. Ungenannt bleibt auch Tertullian, der explizit die Organisation von traditionellen Vereinen und christlichen Gemeinden vergleicht.
Dorothea Rohde