Christoph Strohm: Calvinismus und Recht. Weltanschaulich-konfessionelle Aspekte im Werk reformierter Juristen in der Frühen Neuzeit (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 42), Tübingen: Mohr Siebeck 2008, XVII + 568 S., ISBN 978-3-16-149581-6, EUR 99,00
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Diese Studie untersucht die Auswirkung konfessioneller Orientierung auf das Werk gelehrter Juristen und damit auf die Rechtsentwicklung in der Frühen Neuzeit insgesamt. Im Mittelpunkt des Interesses steht das Werk calvinistisch-reformierter Juristen im Zeitraum zwischen dem Augsburger Religionsfrieden von 1555 und dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges.
Nach einer Darstellung der Forschungsentwicklung in den letzten Jahrzehnten und der Klärung einiger grundlegender methodologischer Voraussetzungen erörtert Strohm die generelle Frage des historischen Verhältnisses von Calvinismus und Jurisprudenz. [1] Der Calvinismus formierte sich in unmittelbarer personeller und geistiger Nähe zum Milieu der humanistischen Jurisprudenz Frankreichs. Das zeigt sich in der Biografie vieler der berühmtesten Anhänger des frühen Calvinismus, angefangen mit Calvin selbst und seinen Nachfolgern als Vorsteher der Compagnie des Pasteurs, Théodore de Bèze und Simon Goulart, bis zu François Hotman, Philippe Duplessis-Mornay, Jacques Lect, Lambertus Danaeus und vielen anderen. In diesem ersten Teil des Buches untersucht der Autor ausführlich, warum protestantisches Gedankengut für die humanistischen Juristen so attraktiv war und welchen Einfluss die humanistische Jurisprudenz ihrerseits auf die Entwicklung der calvinistisch-reformierten Lehre ausübte. Die maßgebliche Beteiligung von Juristen oder als Juristen ausgebildeten Theologen an der Formierung des Calvinismus führte dazu, dass dieser in seiner Eigenart erheblich durch juristisches Denken geprägt wurde.
Im zweiten Teil werden die als Zentren reformierter Jurisprudenz erkennbaren Universitäten im Reich und deren bedeutendste Rechtslehrer in den Blick genommen: zuerst Heidelberg (Christoph Ehem, Ludwig Camerarius, Hugo Donellus, Marquard Freher, Johann Kahl, Denis Godefroy), dann Basel (Basilius Amerbach und Samuel Grynaeus), die Hohe Schule Herborn (Johannes Althusius und Philipp Heinrich Hoenonius) und schließlich Marburg (Hermann Vultejus und Hieronymus Treutler). Es wird eingehend untersucht, in welcher Weise sich religiöse Themen im Allgemeinen und protestantisches bzw. reformiertes Gedankengut im Besonderem im Werk dieser Juristen niedergeschlagen haben. Um deren religiöse Überzeugungen zu erforschen, werden nicht nur ihre bekanntesten Werke, sondern auch ephemere Texte (Begräbnisreden, Briefe usw.) herangezogen.
Für die zweite Hälfte des 16. und den Beginn des 17. Jahrhunderts ist es noch nicht einfach, klare innerprotestantische Grenzen zu ziehen. Strohm macht deutlich, dass es unter diesen Umständen nur selten möglich ist, aufgrund erhaltener Äußerungen klar zwischen 'lutherischen' und 'calvinistisch-reformierten' Juristen zu unterscheiden. Als einzige konkret fassbare Grenzlinie erweist sich die ausdrückliche Bereitschaft bzw. Weigerung bestimmter Juraprofessoren, die Konkordienformel zu unterschreiben. Auch dies erlaubt aber keine exakte konfessionelle Verortung einzelner Rechtslehrer innerhalb des protestantischen Spektrums, weil bei gelehrten Juristen die Übergänge zwischen den melanchthonisch geprägten Lutheranern und den zwinglianisch- oder calvinistisch-reformierten Autoren besonders fließend waren.
Die Analyse der Texte führt zum Ergebnis, dass der Bekenntnisbestand, der im Werk reformierter Juristen Niederschlag findet, nur bedingt dem spezifisch calvinistisch- reformierten Lehr- und Bekenntnisinhalt entspricht (die doppelte Prädestinationslehre wird beispielsweise nie thematisiert, und nur vereinzelt tauchen konfessionelle Wertungen auf). Doch kommen im Werk reformierter Juristen charakteristische Themen vor, die für die Entwicklung des Rechts in der Frühneuzeit entscheidende Bedeutung erlangen werden: die leidenschaftliche Ablehnung des päpstlichen Machtstrebens und des mittelalterlichen Aberglaubens, der das biblische Christentum in den vorausgegangenen Jahrhunderten verdunkelt zu haben schien; die Begrenzung der Zuständigkeit kirchlicher Obrigkeiten und die Ausweitung der Kompetenzen der weltlichen Obrigkeit auf praktisch alle Formen von Weltgestaltung (von der Rechtsbildung und der sittlichen Lebensgestaltung bis zur Mitverantwortung für die rechte Gottesverehrung und kirchliche Lehre); die breite Rezeption stoischen Gedankengutes und die Aufwertung menschlicher Rationalität durch die Annahme einer Übereinstimmung von Wort Gottes und Vernunft; das starke Interesse an der ethischen Bedeutung und erzieherischen Funktion des Rechts im Kontext der reformatorischen Bemühung, die "reformatio doctrinae" durch eine "reformatio vitae" zu vollenden. All dies spiegelt sich auf eigentlich juristischem Gebiet in einer fundamentalen Kritik am kanonischen Recht und in einer Enttheologisierung des Rechts, in einer Öffnung für die neuesten Lehrinhalte und Methoden - insbesondere die ramistische Systematik -, außerdem in einem neuen, zentralen Status der subjektiven Individualrechte.
Die Erörterung solcher Fragen durch die reformierten Juristen wirkte sich förderlich aus und spielte eine entscheidende Rolle für die Entfaltung des öffentlichen Rechts. Mit diesem Zusammenhang beschäftigt sich der Autor im dritten Teil seines Buchs, in dem er einige der wichtigsten Faktoren, die die Entfaltung des "ius publicum" als einer eigenständigen Disziplin förderten, analysiert. Zunächst beschäftigt er sich mit der Edition und Kommentierung mittelalterlicher Rechtsquellen des deutschen Reichs durch protestantische Juristen, die dazu führte, dass das römische Recht durch Rechtstraditionen des mittelalterlichen Reichs ergänzt oder teilweise ersetzt wurde. Strohms Aufmerksamkeit gilt dann der Debatte "de iurisdictione", die den Weg zu einer umfassenden und kohärenten Konzeption des öffentlichen Rechts ebnete, bevor er abschließend die unterschiedliche Bewertung des Augsburger Religionsfriedens durch protestantische und katholische Juristen sowie die Rezeption von Bodins Souveränitätslehre im Reich untersucht.
Während die jüngere Forschung meist dazu neigt, die Unterschiede zwischen lutherischer, reformierter und katholischer Konfession in Hinblick auf die Rechtsentwicklung der Frühen Neuzeit zu nivellieren, zeichnet sich Strohms Buch durch die tiefgehende Analyse der spezifischen Auswirkung der konfessionellen Orientierung auf das Werk reformierter Juristen aus. Seine Untersuchung bestätigt, dass der innovative Beitrag der protestantischen Juristen entschieden stärker war als derjenige der katholischen [2], zeigt zugleich aber auch, dass für diesen Beitrag der calvinistisch-reformierte Lehr- und Bekenntnisinhalt nicht an sich bestimmend war. Entscheidend wirkte sich vielmehr die humanistisch-rationalisierende Orientierung der einzelnen Juristen aus. Zu diesen Ergebnissen gelangt der Autor durch eine Revision des Konfessionalisierungsparadigmas, das er vor allem deswegen kritisch sieht, weil es zu starr ist und nicht erlaubt, "nach den jeweiligen Wirkungen bzw. Ausprägungen jeder konfessionellen Orientierung in den einzelnen Kulturfeldern zu fragen" (6). Strohms umfassende und analytisch eindringliche Studie bietet eine Fülle von Informationen und Anregungen, die nicht nur für eine Geschichte der reformierten Rechtslehre, sondern darüber hinaus auch für die Erforschung des politischen, juristischen und theologischen Denkens der Frühen Neuzeit überhaupt nützlich sind. Eine ganze Epoche kommt hier in ihrer Dramatik zum Vorschein.
Anmerkungen:
[1] Mit dieser Frage befasste sich der Autor schon in Christoph Strohm: Ethik im frühen Calvinismus. Humanistische Einflüsse, philosophische, juristische und theologische Argumentation sowie mentalitätsgeschichtliche Aspekte am Beispiel des Calvin-Schülers Lambertus Danaeus, Berlin-New York 1996; außerdem in weiteren Beiträgen wie Ders.: Recht und Jurisprudenz im reformierten Protestantismus 1550-1650, in: ZSRG.K 86 (2006), 453-493.
[2] So bereits Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft 1600-1800, München 1988.
Lucia Bianchin