Rezension über:

Claudia Bruns: Politik des Eros. Der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1880-1934), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, 545 S., ISBN 978-3-412-14806-5, EUR 44,90
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Rezension von:
Martin Lücke
Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Maren Lorenz
Empfohlene Zitierweise:
Martin Lücke: Rezension von: Claudia Bruns: Politik des Eros. Der Männerbund in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur (1880-1934), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: https://www.sehepunkte.de
/2009/10/13290.html


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Claudia Bruns: Politik des Eros

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Kulturgeschichte? Geschlechtergeschichte? Politikgeschichte? Gleich in mehrere 'Schubladen' passt die Monografie von Claudia Bruns zur Geschichte des Männerbundes in Wissenschaft, Politik und Jugendkultur. In ihrer Studie geht die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin der Frage nach, wie die "komplexen und immer wieder modifizierten Verknüpfungen von Männlichkeit mit dem Raum des Politischen" (9) hergestellt wurden. Diesen Verknüpfungsprozess betrachtet sie am Beispiel des Konzeptes des homoerotischen Männerbundes, wie er vor allem vom "Wandervogel"-Aktivisten Hans Blüher (1888-1955) entworfen und propagiert wurde. Konkret richtet sich Bruns' Erkenntnisinteresse einer solchen Männerbundanalyse darauf, wie "männerbündische Erfahrung [...] politisch wirkmächtig werden konnte." (22) Vor diesem Hintergrund betrachtet Bruns drei historische Aktionsfelder: zum einen die Produktion des Wissens zum Männerbund, zum zweiten die Machtbeziehungen, in denen dieses Wissen wirksam werden konnte, drittens schließlich, wie dieses Wissen als Erfahrung auch die Subjektkonstruktion von Männern bestimmen sollte.

Bruns beschäftigt sich zunächst mit den Neuerungen im Geschlechterverhältnis um 1900, indem sie vor allem auf das Entstehen der Frauenbewegung verweist und herausarbeitet, dass ein zeitgleich zu konstatierendes Reden von "Krisen der Männlichkeit" als antifeministische Reaktion auf solche Veränderungen zu interpretieren ist.

Vor dem Hintergrund dieser historischen Kontextualisierung wendet sich die Autorin denjenigen einflussreichen Schriften zu, die Ausgangs- und Bezugspunkte des männerbündischen Diskurses werden sollten: Der Schweizer Historiker Johann Jakob Bachofen (1815-1887) verfasste bereits 1861 unter dem Titel "Das Mutterrecht" eine "Urgeschichte der Menschheit als Geschlechterkampf" (43), in der er die alles andere als unstrittige These eines matriarchalischen Ursprungs des Menschengeschlechts aufstellte. Als Reaktion und Abgrenzung zu Bachofen legte der Ethnologe Heinrich Schurtz (1863-1903) mit dem Werk "Altersklassen und Männerbünde" (1902) den ersten eigentlichen männerbündischen Text vor, in dem er der bei Bachofen entworfenen Geschlechter-Dichotomie eine Dichotomie von Männerbund und Familie entgegensetzte.

Nicht nur die Texte von Bachofen und Schurtz, auch die Produktion von Wissensbeständen der im späten 19. Jahrhundert entstehenden Sexualwissenschaft markieren ein wichtiges Fundament des Männerbund-Diskurses. Insbesondere entwarf die Sexualwissenschaft die pathologische Figur des (v.a. männlichen) Homosexuellen, der nach Lesart zeitgenössischer Theoriebildung körperliche männliche Eigenschaften mit weiblichen psychischen Eigenschaften verband - ein Erklärungsmuster, das es erlaubte, das für die Zeitgenossen rätselhafte Phänomen der Homosexualität auf der Basis der bestehenden Geschlechterordnung zu erklären und das gleichermaßen dazu dienen konnte, von der entstehenden Homosexuellen-Bewegung emanzipatorisch umgedeutet zu werden. Dass homosexuelle Männer hier nun jedoch als "effeminiert" und "verweiblicht" entworfen wurden, rief eine lebhafte Gegenrede der so genannten "Maskulinisten" hervor, die homosexuellen Männern nun im Gegenzug die "Sonderidentität des 'Supervirilen'" (45) zuwiesen und ihnen zugleich eine kulturelle Höherwertigkeit attestierten: Männliche Homosexualität wurde auf diese Weise in Formationen hegemonialer Männlichkeit eingeschrieben.

Politisch wirksam konnte das neue Wissen um Homosexualität v.a. im so genannten Eulenburg-Skandal werden, als der Beraterkreis von Kaiser Wilhelm II. der Homosexualität bezichtigt wurde und damit zugleich Kritik an einer angeblich schwächlichen Politik des Kaiserreichs verknüpft war.

Hans Blüher nun - so arbeitet Claudia Bruns überzeugend heraus - griff das im Eulenburg-Skandal popularisierte Wissen über Homosexualität auf und deutete es im Hinblick auf die Jugendbewegung um: Untergründige homoerotische Anziehung zwischen Männern wirke in mann-männlichen Verbünden stabilisierend und der Knaben- und Männerbund erscheine als "sexual-soziales Phänomen". Nicht jedoch effeminierte Homosexuelle, sondern gerade die 'Supervirilen' würden zu Stabilisatoren eines solchen Männerbundes, der in Anlehnung an die Thesen von Heinrich Schurtz als alternativer Lebensraum zur bürgerlichen Familie entworfen wurde. Man kann zunächst vermuten, dass ein solcher Entwurf, der mann-männliche Erotik als konstituierendes und sogar stabilisierendes Element von Erziehung begreift, auf nichts anderes als Ablehnung bei den Zeitgenossen stoßen musste. Indem Blüher jedoch in Bezug auf Homosexualität konsequent maskulinistische Positionen vertrat, stets eine antifeministische Argumentationslinie beibehielt und auf den völkisch-rassischen Charakter von männerbündischen Vergemeinschaftungen verwies, konnte er ein großes Publikum ansprechen. Nicht zuletzt, weil in den Augen vieler die Thesen Blühers zentrale Antworten auf die Problemfragen einer Krise der Männlichkeit und der Geschlechterordnung insgesamt bereit hielten.

Politisch relevant konnten Blühers Überlegungen insbesondere deshalb werden, weil er auf diese Weise für den Mikrokosmos der Jugendbewegung ein Geschlechtermodell entwarf, das Frauen dauerhaft aus einer gesellschaftlichen Vergemeinschaftung ausschloss - und damit ein Modell propagierte, dessen Machtlogik auch zum Modell eines männlichen Staates werden konnte. Nicht nur Frauen, auch das arbeitet Bruns überzeugend heraus, auch Juden wurden zu den 'Anderen' des Männerbundes, indem auch rassisch-antisemitische Exklusionsmechanismen griffen.

Politisch wirksam konnte Blühers Ideenwelt werden, weil die Individuen, die sich zunehmend mit dem Blüher'schen Gedankengut identifizierten, die ambivalenten Erlebnisse ihrer Gegenwart durch die Brille eben jener männerbündischen Ideologie wahrnahmen - und sich diese Erlebnisse ihnen so "als reale, authentische und zutiefst persönliche Erfahrung" (22) präsentierten.

Auf welche Weise eine solche Verknüpfung von Wissen zu authentisch gesättigter Erfahrung - und damit die eigentliche Genese von männerbündischen Subjekten - vonstatten ging, zeigt Bruns, indem sie darstellt, welcher sexuellen Triebstruktur ein männerbündisches Subjekt nach Blüher zu unterliegen hatte. Hier zeichnet sie nach, welcher psychologischen Modelle sich Blüher im Rahmen einer "Hierarchisierung und Sublimierung von Lust" bediente. Wie sich die Blüher'schen Konzepte in die Subjektivitäten einzelner Individuen einschreiben konnten, verdeutlicht Bruns dann (nur) am Beispiel ihres Protagonisten, indem sie in einem knappen Exkurs auch "Blühers selbst" (317-318) nachgeht, vor allem anhand von autobiografischen Schriften.

Einige Teilaspekte des Buches sind schon länger bekannt und zum Teil durch die Verfasserin selbst bereits hinreichend bearbeitet worden, so insbesondere die Genese und Konstruktion der sozialpathologischen Figur des männlichen "Homosexuellen", die macht- und männlichkeitspolitische Analyse des Eulenburg-Skandals oder auch die homoerotische Grundlogik der Ideen von Blüher.[1] Hier hätte das Buch durchaus straffer und pointierter argumentieren können. Überzeugen kann die Studie von Claudia Bruns jedoch vor allem durch den schlüssigen Aufbau, die klare Argumentationsweise und die dichte Auswertung der Schriften Blühers und seiner Rezipienten. Die komplexe Logik des Blüher'schen Geschlechterentwurfs wird präzise, erschöpfend und dabei stets gut lesbar nachgezeichnet. Zudem leistet Claudia Bruns einen wichtigen Beitrag zur weiteren Präzisierung der historischen Männlichkeitsforschung, indem sie aufzeigt, wie Diskurse um Geschlecht, Macht und Politik von den 'Rändern' her ins hegemoniale Herz von Männlichkeit vorstoßen konnten, und auf welche sich das Reden von Krisen der Männlichkeit als Strategie zur Stabilisierung von männlicher Herrschaft darstellt.

Als Perspektive für zukünftige Forschungen böte sich an, tiefer auszuloten wie das in den Diskursen produzierte Wissen zum homoerotischen Männerbund die Erlebnisse und Beobachtungen der Zeitgenossen zu eben jenen machtvollen Erfahrungen transformierte, die zum Fundament politischer Machtbeziehungen gerieten. Die Vielzahl der Akteure im Umfeld von "Wandervogel" und Jugendbewegung und deren üppiges (oft autobiografisches) Schrifttum, lassen das reizvoll erscheinen.


Anmerkung:

[1] Claudia Bruns: Skandale im Beraterkreis um Wilhelm II, in: Homosexualität und Staatsräson. Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900-1945, hg. von Susanne zur Nieden, Frankfurt/M. 2005, 52-80; sowie dies.: Der homosexuelle Staatsfreund, in: Homosexualität und Staatsräson. Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900-1945, hg. von Susanne zur Nieden, Frankfurt/M. 2005, 100-117.

Martin Lücke