Jörg Oberste (Hg.): Repräsentationen der mittelalterlichen Stadt (= Forum Mittelalter. Studien; Bd. 4), Regensburg: Schnell & Steiner 2008, 279 S., ISBN 978-3-7954-2101-4, EUR 27,90
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Unter dem schillernden Begriff der Repräsentation fasst der vorliegende Band 14 Aufsätze aus verschiedenen Disziplinen zusammen, die vor allem an italienischen und deutschen Beispielen Vergegenwärtigungen der europäischen Stadt des Mittelalters untersuchen. Absicht ist es, die für den adeligen Bereich bereits in verschiedenen Kontexten analysierten Konzepte der Selbstdarstellung und Selbstwahrnehmung an der Stadt zu erproben und nach Mustern bürgerlicher Identitätsstiftung zu fragen. Dabei wird Repräsentation als "vielschichtiger Prozess der Inklusion und Exklusion, der Identitätskonstruktion und des innerstädtischen Interessensausgleichs" verstanden (Jörg Oberste, 11). Ihn zu erschließen, setzen die einzelnen Beiträgen ganz unterschiedlich an: Theresia Heimerl, die sich mit Babylon und Jerusalem als theologischen Paradigmen für Stadt auseinandersetzt, verweist auf die Nachhaltigkeit dieser Realitäten und Metaphern aufeinander beziehenden Stadtmodelle und ihre bis in die Gegenwart fassbaren Instrumentalisierungen. Der Rolle von Stadtbeschreibungen im Rahmen von Identitätskonstruktionen in der höfischen Literatur des Mittelalters geht Franziska Wenzel nach und stellt fest, dass Austauschbeziehungen über das Eigene und mit dem Fremden in immer wieder neuen Kombinationen die literarischen Vorstellungen von Stadt im Mittelalter charakterisieren. Nach Heiligen, die die Stadt als christliche politische Gemeinschaft repräsentieren, fragt Hans-Jürgen Becker. Er beobachtet, dass diesen jeweils in Umbruchsituationen neue Funktionen zugeschrieben wurden, eine Entwicklung, die mit der Ausbildung der Bürgergemeinde einen Höhepunkt erfuhr, im 14. Jahrhundert jedoch in eine Krise geriet. Den Zusammenhang von Kommunebildung, politischer Repräsentation und religiöser Praxis zeichnet Jörg Oberste am Beispiel der Stadt Toulouse nach, wo vor allem die Geschäftsleute seit dem 12. Jahrhundert durch Stiftungen und Verträge mit lokalen Kirchen und Klöstern ihrer spezifischen Religiosität Ausdruck verliehen. Bruno Klein zeigt am Beispiel des Straßburger Münsters, dass stilistische Auffälligkeiten im Kirchenbau nicht notwendig in den Kontext von Auseinandersetzungen zwischen Stadtherrn und Kommune gestellt oder als Wandel des Geschmacks der Zeitgenossen interpretiert werden müssen, sondern auch von einem neuen Geschichtsbewusstsein zeugen können. Dass symbolische Verfahren durchaus Teil von Politik sind und Konsensbildung, Integration und kollektives Agieren konstituieren, weist Christoph Dartmann auf der Basis von hochmittelalterlichen Akten der Bürgerversammlung italienischer Kommunen nach. Bildlich-architektonische Ausdrucksformen sind Gegenstand des Beitrags von Dieter Blume, der - ebenfalls an italienischen Städten - die Entstehungsstufen einer komplexen politischen Bildsprache analysiert, die über die Vermittlung von Wissen und Werten kommunale Identität stiftet. Auf Besonderheiten des Siegels als Ausdruck einer spezifischen Rechtskultur in den mittelalterlichen Kommunen Italiens geht Ruth Wolff ein, die sich sowohl mit bildlichen und sprachlichen Aspekten wie auch mit der Bedeutung notarieller Beschreibungen des Beglaubigungsmittels auseinandersetzt. Albert Dietl befasst sich in seiner Auseinandersetzung mit Inschriften im öffentlichen Raum italienischer Städte vor allem mit monumentalen Beispielen, die der Inszenierung des Künstlers in der Öffentlichkeit dienten und zudem den Stadtraum markierten. Die Schlachtenszenen in der Sieneser Sala del Gran Consiglio stehen im Mittelpunkt von Überlegungen Henrike Haugs, die diese als Anspruchserklärung auf die städtische Freiheit wie auch als Wissen interpretiert, das im politischen Handeln nützlich sein konnte. Im Kontext von vier weiteren Beiträgen zu deutschen Städten thematisiert Karsten Igel am Beispiel der Stadt Greifswald, wie sozialräumliche Strukturen durch Kommunikation, Netzwerke und bürgerliche Positionierung im Stadtraum geprägt werden konnten. Artur Dirmeier stellt in seinem Überblick über die Geschichte von Siegelproduktion und den Wandel von Siegelbildern an Rhein und Donau fest, dass sich die Verbreitung von Siegelurkunden parallel mit der Kommunebildung vollzieht und zuerst in den rheinischen Bischofsstädten fassbar wird. Memoriale Praktiken sind schließlich Gegenstand von zwei Aufsätzen, die Regensburg behandeln. Während Olivier Richard sich vor allem dem Wandel der Repräsentationsmodi und der zunehmenden Kommunalisierung einer ursprünglich patrizischen Memoria widmet, betrachtet Walburga Knorr die Totengedächtnismale im sakralen Raum und untersucht diese gleichermaßen als Stätte der Erinnerung wie auch im Kontext von Jenseitsfürsorge, Bußpraxis, Zeremoniell, Liturgie und Recht.
In seiner großen Themenvielfalt und mit unterschiedlichen disziplinären Ansätzen bietet der Band eine methodisch breite Auslegeordnung zu Formen, Funktionen und Inhalten bürgerlicher und kommunaler Repräsentation. Inwieweit dieser Terminus zureicht, um die vielfältigen Muster zu beschreiben, in denen Stadtbewohner oder einzelne Gruppen in der Stadt ihr Selbstverständnis zur Schau stellen, wäre weiter zu fragen. Womöglich könnten diese weiter differenziert werden, wenn sie als komplexe mediale Situationen verstanden und politisch-soziale Phänomene einerseits wie auch schriftliche, bildliche und architektonische Artefakte andererseits als unterschiedlich funktionierende, aber in ihrer Wirkmacht aufeinander bezogene Formen politischer Sinnstiftung betrachtet würden.
Martina Stercken