Rezension über:

Jörg Oberste (Hg.): Metropolität in der Vormoderne. Konstruktionen urbaner Zentralität im Wandel (= Forum Mittelalter. Studien; Bd. 7), Regensburg: Schnell & Steiner 2012, 221 S., ISBN 978-3-7954-2636-1, EUR 27,95
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Rezension von:
Claudia Esch
Lehrstuhl Mittelalterliche Geschichte, Otto-Friedrich-Universität, Bamberg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Claudia Esch: Rezension von: Jörg Oberste (Hg.): Metropolität in der Vormoderne. Konstruktionen urbaner Zentralität im Wandel, Regensburg: Schnell & Steiner 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 9 [15.09.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/09/22595.html


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Jörg Oberste (Hg.): Metropolität in der Vormoderne

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Die Tagung des Forums Mittelalter in Regensburg 2011, deren Ergebnisse nun in schriftlicher Form vorliegen, hatte sich zum Ziel gesetzt, das Konzept der 'Metropole' - das bislang vor allem zum Repertoire der Stadtforschung der Moderne gehört - auf vormoderne Städte anzuwenden und dessen Fruchtbarkeit für die Stadtgeschichtsforschung zu diskutieren. Aus diesem Experiment ging ein facettenreicher Sammelband hervor, dessen Beiträge zeitlich von der Antike bis in die Frühe Neuzeit, geografisch von Ägypten über Griechenland und Italien bis zum Gebiet des heutigen Frankreich und Deutschland reichen und sehr unterschiedliche Zugänge zu vormoderner Metropolität vorstellen.

Einführend beleuchtet Harald A. Mieg den Begriff aus dem Blickwinkel der interdisziplinären Metropolenforschung. Metropolen gelten hier im weiteren Sinne als bedeutende Städte, wobei die Größe ein mögliches Kriterium darstellt. Ausführlich geht Mieg auf die Definition der Metropole als 'Referenzort' ein, der Bedeutung für andere Orte besitzt. Diese kann an politische und wirtschaftliche Funktionen, wie im Fall von Hauptstädten oder internationalen Handelsplätzen, geknüpft sein oder in einer symbolischen Vorbildfunktion bestehen. In diesem Fall wird die Metropole zur Marke, die auf andere Städte ausstrahlt - man denke etwa an das 'Elbflorenz'. Die Entstehung von Metropolen erklärt Mieg mit drei sich ergänzenden Modellen. Zum einen akkumuliert eine Stadt ab einer bestimmten Größe Standortvorteile, die für einen relativen Entwicklungsvorsprung sorgen, wiederum Wachstum generieren und die Metropolenbildung anregen. Außerdem können Metropolen ihre Vorrangstellung auch auf Kosten ihnen machtpolitisch unterlegener (Kolonial-)Städte aufbauen. Ein dritter Erklärungsansatz geht davon aus, dass sehr große Städte notwendig kreative Produzenten neuer kultureller und wirtschaftlicher Organisationsformen sind, die wiederum die Entwicklung von Metropolität vorantreiben.

In den folgenden Fallstudien liegt der Schwerpunkt zunächst auf der Größe und der inneren Entwicklung ausgewählter Metropolen. Reinhard Senff zeigt anhand archäologischer Funde auf, dass das Stadtgebiet von Milet in archaischer Zeit eine weitaus größere Ausdehnung und differenziertere Organisation aufwies als lange Zeit angenommen. Milet war mit seinen ausgedehnten Handelsverbindungen sowie seinen zahlreichen Tochterstädten im Schwarzmeergebiet aber auch eine "Drehscheibe im internationalen Austausch von Waren und Ideen" und ebenso in diesem Sinne Metropole. Peter Herz lenkt den Blick auf die Verwundbarkeit von Metropolen, die auf Grund eines strukturellen Bevölkerungsdefizits durch hohe Sterblichkeitsraten auf stete Zuwanderung angewiesen waren. Als mit dem Rückzug des Kaisers aus dem spätantiken Rom und der Abwanderung eines erheblichen Teils des Senats, des Militärs und der kaiserlichen Behörden der öffentliche Bausektor und die private Kaufkraft zurück gingen, sank im 3. und vor allem 4. Jahrhundert mit der Attraktivität der Stadt auch die Bevölkerungszahl. Rom besaß nicht genug Standortvorteile, um den politischen Bedeutungsverlust zu kompensieren, auch wenn die Stadt weiterhin symbolischer Referenzort blieb.

Jörg Oberste verdeutlicht, warum gerade in der Verknüpfung von quantitativen und qualitativen Kriterien eine besondere Stärke des Metropolbegriffs als Analysekategorie liegt. Die von Oberste zugrunde gelegte, auf Heinz Reif zurückgehende Definition von Metropole kombiniert "eine unerhört große Bevölkerung" (76) mit anderen, qualitativen Indikatoren wie räumlicher Dichte, Zentralfunktionen, Migration und Innovationspotenzial. Damit bietet das Konzept einen geeigneten Ausgangspunkt um die Wechselwirkungen zwischen der Größe einer Stadt und ihren spezifischen politischen, sozialen oder kommunikativen Prozessen zu untersuchen. Diese Dimension werde, so Oberste, von gängigen mediävistischen Konzepten wie Zentralität, Urbanität oder Hauptstadtfunktionen nicht erfasst. Für das mittelalterliche Paris zeigt Oberste auf, dass bei der Entwicklung zur Metropole die Hauptstadtfunktion, der Ausbau der Sakraltopografie, die Förderung der Märkte ebenso wie die Errichtung der Universität eine Rolle spielten. Die urbane Dynamik und Innovationskraft der Metropole basierten jedoch letztlich auf der pluralistischen Struktur der Stadt, die eher ein "Konglomerat verschiedener Herrschaftsbezirke" (99) war. Klöster wie Saint-Martin-des-Champs, die mit ihren umfangreichen Immunitätsbezirken eigene Stadtviertel bildeten, waren die Motoren der urbanen Entwicklung. Eine autoritäre, zentrale Steuerung hätte, so Oberste, die spezifischen Kommunikations- und Sozialformen und damit die Attraktivität der Metropole zerstört. Daher bevorzugten die Könige zunehmend außerhalb gelegene Residenzen: "Paris ist eine Metropole geblieben; die französischen Könige haben daraus die Konsequenz gezogen" (99).

Doris Behrens-Abouseif führt den Gedanken weiter, dass sich mit der Größe der Stadt auch ihre urbane Qualität ändert. Im Zuge ihrer Analyse der Bautätigkeit der mamlukischen Herrscher (13.-16.Jh.) in Kairo konstatiert sie, dass nur in dieser Metropole die städtische Topografie sakrale Bauprinzipien überlagern konnte. Die Ausrichtung von Moscheen und Grabmälern orientierte sich im Zweifel eher an der Straßenführung als der Himmelsrichtung.

Damit schließt Behrens-Abouseif die Reihe der Beiträge, die sich mit der inneren Entwicklung von Metropolen auseinandersetzen. Im Folgenden stehen die Außenbeziehungen und die Ausstrahlung von Metropolen im Vordergrund - mithin die Metropole als Referenzort. Hans-Jürgen Becker zeigt, dass es den beiden Reichsstädten Nürnberg und Frankfurt trotz unterschiedlicher Strategien nur in Ansätzen gelang, ein geschlossenes Territorium zu erwerben und langfristig eine Landeshoheit zu sichern. Auch die Stadtstaaten in Mittel- und Oberitalien entwickelten sich in der Frühen Neuzeit nur langsam zu Metropolen, d.h. wirtschaftlich oder politisch dominierenden Zentren, wie Giorgio Chittolini ausführt. Vielmehr blieb die seit dem Mittelalter bestehende Städtelandschaft in der Region sehr stabil. Albert Dietl fragt nach der Ausstrahlung der Verehrung der Heiligen Agnes. Der Mailänder Erzbischof Ottone Visconti förderte den Kult als Erinnerung an den Tag seines Sieges über das guelfische Stadtregiment 1277 in und über die Stadt Mailand hinaus. Mit der kulturellen Ausstrahlung einer Metropole setzt sich Carolin Wirtz auseinander. Sie zeigt, dass in Venedig niedergelassene Kölner Goldschmiede die venezianische Goldschmiedekunst im Spätmittelalter nachhaltig beeinflussten und damit die überregionale Bedeutung Kölns festigten. Internationale Beziehungen stehen auch bei Harm von Seggerns Beitrag im Mittelpunkt. Die Anwesenheit von ausländischen Kaufleuten, die den Bedeutungsüberschuss und die Ausstrahlung einer Stadt demonstrieren, ist für ihn ein wichtiger Indikator für Metropolität. Das Beispiel Brügge zeigt, dass man im Mittelalter durchaus bewusst geeignete Rahmenbedingungen für fremde Kaufleute schuf.

Auch wenn die Metropole als Analysebegriff in den einzelnen Beiträgen unterschiedlich intensiv thematisiert wird, bietet der Sammelband insgesamt eine gute Mischung aus theoretischen Überlegungen und Beispielen. Die Beiträge zeigen, dass Metropolität ein viel versprechender Ansatz für das Verständnis vormoderner (Groß-)Städte sein kann. Dies gilt auf jeden Fall für die Frage nach Genese, Entwicklung und Niedergang zentraler Orte, während an anderer Stelle der tatsächliche Erkenntnisgewinn gegenüber anderen Modellen der Stadtgeschichtsforschung im Einzelfall abzuwiegen sein wird. Es bleibt aber in jedem Fall zu hoffen, dass die in diesem Band versammelten Beiträge zur weiteren Beschäftigung mit dem Begriff anregen.

Claudia Esch