Catherine Mason: A Computer in the Art Room. The Origins of British Computer Arts 1959-80, Norfolk: JJG Publishing 2008, 250 S., ISBN 978-1-899163-89-2, USD 41,19
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Mit der Publikation von Catherine Mason liegt eine Dissertation vor, die ein Phänomen kontextualisiert, das für die meisten Kunsthistoriker - außerhalb eines kleinen, aber zunehmend wachsenden Zirkels von Forschern an der Schnittstelle von Kunst und Natur/Ingenieur-Wissenschaft - oftmals auf ein Ereignis reduziert wird: Die nahezu legendäre Ausstellung "Cybernetic Serendipity", die von Jasia Reichardt kuratiert und im Institute for Contemporary Art in London 1968 gezeigt wurde. Während die enorme Bedeutung der Ausstellung von Jasia Reichardt in den letzten Jahren international erforscht und diskutiert wurde, fand das Umfeld, welches diese Ausstellung ermöglichte, nur schlaglichthafte Beachtung. Das Verdienst der vorliegenden Publikation ist es, zur Schließung dieser Lücke beizutragen. Sie reiht sich damit ein in eine zunehmende Anzahl an Publikationen und Tagungen, die sich den Anfängen der Computerkunst von den 1950er- bis zu den 1970er-Jahren widmen. Herausgegriffen sei hier re:place, eine Konferenz, die 2007 in Berlin stattfand und sich den geografischen Besonderheiten in der frühen Phase der Computerkunst auf internationaler Ebene widmete (http://193.171.60.44/dspace/handle/10002/356).
Das Buch umfasst neun Kapitel und stellt die Geschichte der Computerkunst von ihren Vorläufern nach dem zweiten Weltkrieg bis in die späten 1970er-Jahre dar. Die Abfolge ist im Wesentlichen chronologisch und umfasst neben Druckgrafik unter anderem auch die Felder von interaktiver Computerkunst, Computeranimation und Computerfilm. Masons arbeitsweise ist akribisch. Eine Unzahl historischer Fakten verschiedenster Institutionen von Ministerien, über Kunstschulen zu privaten Zirkeln wird auf ihre Verflechtungen hin untersucht. So zeichnet Mason im ersten Kapitel (1-15) die britische Geschichte von Kunstschulen wie der Royal Accademy of Arts, der Government School of Design oder der SLADE School seit dem späten 18. Jahrhundert nach. Ihr Schwerpunkt liegt dabei auf der Beziehung von Kunst und Technik im britischen Ausbildungssystem. Die SLADE School wurde zu einem Zentrum für Kunst mit dem Computer, dafür gibt Mason im Wesentlichen zwei Gründe an: 1. die wechselseitige Abhängigkeit von Kunst und Design als eine industrielle und ökonomische Notwendigkeit im Zeitalter der industriellen Revolution und 2. den starken Einfluss der kinetischen Kunst in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Beides spannt sie ein in einen Bogen, der von Kunst und Design des 19. Jahrhunderts über die Kybernetik der 60er- und 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts, die Schriften des amerikanischen Kunsttheoretikers Jack Burnham sowie die von Walter Benjamin bis hin zu den Arbeiten des Künstlers Nicolas Schoeffer reicht. Letzterer wird wiederum in Verbindung mit Jean Tinguely und dem Ingenieur und Medienkunstpionier Billy Klüver gebracht. Als Stütze dieser teils hochspekulativen Argumentation dient die gemeinsame Präsenz dieser Akteure in der bereits erwähnten Ausstellung Cybernetic Serendipity (14-15). Und dementsprechend zieht Mason Kurzschlüsse wie diesen: "The new scientific development of cybernetics, a classification which cut across all traditional sciences, was to inform the gestation of computer arts by offering a means of constructing a framework for art production in which British artists in the post war period could consider new technologies and their impact on life." (15)
Das zweite Kapitel widmet sich der Beziehung der Independent Group [1] zur Kybernetik. In den Zeitrahmen dieser Verbindung fällt Charles Percy Snows "Zwei Kulturen" Debatte, die er 1956 initiierte. Mason zeichnet in diesem Zusammenhang eine Reihe wichtiger konträrer Ausstellungen nach, unter anderem "60 for 51" (London 1951) und "This is tomorrow" (London 1956), und verweist auf eine interessante Reihe von Publikationen die weitestgehend unbekannt sind. Ein Highlight bildet hier der Abdruck einer Doppelseite aus Berkeley's book "Brains or Machines that Think" von 1949, in dem die physische Kapazität der Informationsverarbeitung verschiedenster Medien - von Papier, über Film und Computer, Messer und Knoten bis hin zum menschlichen Gehirn - sorgsam tabellarisch verglichen wird. Die Tabelle ist kurios, ihr Inhalt phantastisch provokant und wäre eine genauere Analyse durchaus wert. Diese bleibt jedoch aus. Stattdessen erfahren wir, welche Institutionen in dem Buch erwähnt werden und dass wir dort Beschreibungen von Computern finden können. Im dritten Kapitel wird dahingehend argumentiert, dass Richard Hamilton die größte Relevanz für die nachfolgende Entwicklung der Computerkunst besitzt. In übertriebener Ausführlichkeit wird die Radikalität der britischen Kunstschulen in den 50er-Jahren proklamiert. Angeführt wird schließlich noch das Bauhaus; es bleibt aber unklar, welche Bedeutung es für die frühe Computerkunst hatte.
In den folgenden Kapiteln werden die Verflechtungen zwischen Künstlern und Institutionen aufgezeigt. Detaillierte Beschreibung zahlreicher Künstler, unter ihnen prominente wie Roy Ascott, Edward Ihnatowicz, Tony Longson, Stan Hayward, aber auch eine ganze Reihe von unbekannten beziehungsweise Mitarbeitern von universitären Instituten werden portraitiert mit Hinblick auf ihre Art, den Computer einzusetzen. Eine besondere Stellung wird wiederholt der SLADE School of Fine Art in den 70er-Jahren zuerkannt, die in ihrem Experimental Department ein außergewöhnliches Lehrprogramm anbot.
Das sich abzeichnende Muster wird klar: In einer Fülle von Jahreszahlen und Namen von Personen, Orten und Institutionen bleibt die Analyse größtenteils auf der Strecke.
Catherine Masons Arbeit ist im Umfeld des Projekts "Computer Arts, Contexts, Histories, etc" (CACHe) entstanden, das von 2002 bis 2005 an der School of History of Art and Visual Media, Birkbeck, der University of London durchgeführt wurde. Es ist sicher ein großes Verdienst, die Archive, die in diesem Zusammenhang erschlossen wurden, auf ihre personelle Verflechtung hin untersucht zu haben. Es wird sichtbar, dass in England eine progressive Atmosphäre herrschte, die es dem Computer - früher als in anderen Teilen der Welt - erlaubte, Einzug in die Kunsträume zu halten. Für diejenigen, die eng in diesem Umfeld Forschung betreiben, ist Masons Buch eine unersetzbare Hilfestellung. Für den an einer Weiterführung der Thematik Interessierten ist dieses Buch jedoch eher schwer zu verdauen und hinterlässt den faden Nachgeschmack einer historisierenden Disziplin, die sich zunehmend ihrer Analysefähigkeit beraubt.
Gefördert wurde das Projekt durch das britische Arts & Humanities Research Council. Charlie Gere und Paul Brown leiteten das Projekt, Catherine Mason und Nick Lambert unterstützten die Forschung durch ihre wissenschaftliche Mitarbeit (http://www.e-x-p.org/cache/index.HTM).
Anmerkung:
[1] Mason nennt Richard Hamilton, Eduardo Paolozzi, Nigel Henderson, William Turnbull, Lawrence Alloway und Reyner Banham als Mitglieder Gruppe zwischen 1952-55.
Christoph Klütsch