Alan Allport: Demobbed. Coming Home After the Second World War, New Haven / London: Yale University Press 2009, X + 265 S., ISBN 978-0-300-14043-9, GBP 20,00
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Zu Beginn eines Krieges wird mobilgemacht. Munition wird bestellt, Truppenteile werden aktiviert, in Marsch gesetzt. Vor allem: Menschen werden aus ihrem alltäglichen Lebensumfeld herausgerissen und ohne Vorwarnung zu Soldaten gemacht. Darüber weiß der Militärhistoriker einiges - die Mechanismen sind immer wieder untersucht und beschrieben worden.
Weniger wissen wir darüber, was mit den beteiligten Menschen nach dem Krieg passiert. Alan Allport hat sich diese Frage für Großbritannien gestellt. Wie war das, als innerhalb eines guten Jahres rund vier Millionen Männer und auch Frauen entlassen und ins Zivilleben geschickt wurden?
Das Thema ist vielschichtig, und ein Verdienst von Allports Arbeit besteht darin, dass er den vielen Aspekten gerecht wird, ohne den roten Faden zu verlieren. Er beginnt damit, wie die britischen Streitkräfte das Entlassungsverfahren organisieren. Wer darf zuerst nach Hause, wer muss bleiben? Die Erfahrungen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs waren desaströs gewesen. Dieses Mal sollte es besser werden, zumal die neu ins Amt gekommene Labour-Regierung ihre Mehrheit im Unterhaus zum Teil den Stimmen der Soldaten verdankte. Die wiederum erwarteten von "ihrer" Regierung ein zügiges, durchschaubares und gerechtes Verfahren. Wie Allport aufzeigt, ist das auch - bei Kritik im einzelnen - im wesentlichen gelungen.
Was geschah dann? Die meisten Männer kamen in Familien zurück, zu Ehefrauen und Kindern, die sie oft seit Jahren nicht gesehen hatten. Das Frauenbild hatte sich seitdem verändert, und mit ihm das Männerbild. Nicht allen fiel es leicht, sich in einer neuen Rolle auch in der Familie zurecht zu finden. Nicht immer waren Kinder in der Lage, diesen Fremden als jenen Vater anzuerkennen, von dem ihnen die Mutter über Jahre hinweg erzählt hatte, vor allem, wenn er sich jetzt als verschlossen, mürrisch, oder aber als herrisch und pedantisch erwies.
Nicht alle Beziehungen hielten der Belastung stand, ganz zu schweigen von jenen Ehen, in denen einer oder beide Partner in der Zeit der Trennung fremdgegangen waren. Was hatten die Männer in Italien, in Deutschland getrieben? Medienberichte, oft maßlos übertrieben, aber doch wirkungsvoll, stellten klar, dass "fratting", also der Verstoß gegen das Fraternisierungsverbot, schnell die Regel geworden war. Umgekehrt hatten auch Frauen die Einsamkeit im kriegsgeschüttelten England nicht ausgehalten. Allports Buch beginnt mit der erschütternden Geschichte jener Mutter von vier Kindern, die das fünfte Kind - dieses aber von einem italienischen Kriegsgefangenen - erwartet, als ihr Mann aus dem Krieg nach Hause kommt: vor den Augen seiner vier Kinder ersticht er die hochschwangere Frau, wird aber von einem Schöffengericht lediglich des Totschlags (und nicht des Mordes) schuldig gesprochen. Offensichtlich hatten die Geschworenen Verständnis für die Tat eines Soldaten an seiner "untreuen" Ehefrau gehabt. Aber häufig gingen Ehen auch weniger dramatisch zu Ende: während des Krieges hatten viele junge Leute schnell, oft überstürzt geheiratet. Die Scheidungszahlen in Großbritannien erreichten in den unmittelbaren Nachkriegsjahren ein bis dahin unerreichtes Niveau.
Nicht nur die Frauen, auch das Land hatte sich verändert. Großbritannien litt nach den deutschen Bombenangriffen unter Wohnungsnot, Lebensmittel waren knapp, überteuert und von minderer Qualität. Medizinische Versorgung war vielfach problematisch und bis zur Einführung des National Health Service teuer. Für Soldaten, denen es in der Truppe zumeist an nichts gefehlt hatte, waren die neuen Lebensumstände nicht so, wie sie es sich bei der Rückfahrt aus der Ferne ausgemalt hatten.
Auch war es keineswegs so, dass die britische Gesellschaft die Heimkehrer mit offenen Armen aufnahm. Auch auf der Insel hatte man unter Entbehrungen gelitten, und manchem Tommy schlug das Vorurteil entgegen, er habe es sich in den letzten Jahren auf Kosten des Steuerzahlers gut gehen lassen. Natürlich war bekannt, dass die entlassenen Soldaten nicht nur den ausstehenden Sold nachgezahlt, sondern dazu noch ein ansehnliches Entlassungsgeld bekamen - auch das gelegentlich eine Quelle des Neids. Der Dienst in den Streitkräften hatte die Männer nicht nur in ihrem privaten Leben verändert, sondern auch ihre Einstellung zur Arbeit. Die Arbeitgeber waren zwar verpflichtet, die Heimgekehrten wieder einzustellen, aber das galt nur für sechs Monate, und wer sich bis dahin nicht wieder in den Berufsalltag eingelebt hatte, dem drohte häufig das Aus - angesichts eines erheblichen Arbeitskräftemangels allerdings zumeist nicht für lange Zeit.
In seinem letzten Kapitel geht Allport auf jene Rückkehrer ein, denen der Krieg neben den physischen auch psychische Wunden geschlagen hatte. Die Zeit war noch durchaus nicht reif für die offene gesellschaftliche Anerkennung psychischer Schäden als Gesundheitsstörung; entsprechend zögernd nahmen die Betroffenen die sehr wohl vorhandenen Hilfs- und Therapieangebote auf. Ganz besonders geschädigt waren die aus jahrelanger Kriegsgefangenschaft Heimgekehrten, vor allem jene, die lange Zeit in japanischen Lagern als Zwangsarbeiter ausgebeutet worden waren und oft nicht besser aussahen als die in Bergen-Belsen befreiten KZ-Häftlinge.
Insgesamt bewertet Allport die Demobilmachung als grundsätzlich gelungen, auch wenn er hier und da erhebliche Probleme aufzeigt. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle war die Integration der ehemaligen Soldaten bis zum Ende der vierziger Jahre geglückt. Allerdings bringt der Autor hier den Vergleich mit den USA ein: Das "GI-Bill" ermöglichte heimgekehrten amerikanischen Soldaten einen höherwertigen Bildungsabschluss; für viele US-Soldaten war das Ende des Krieges der Beginn ihres Aufstiegs in die Mittelklasse. Etwas Vergleichbares hat es in Großbritannien nicht gegeben. Ob die Ressourcen des verarmten, kriegsgeschädigten Landes dafür ausgereicht hätten, muss offen bleiben. Anders als die Demokraten jenseits des Atlantiks stand die Labour Party aber nicht für eine erhöhte soziale Mobilität, sondern für die Wahrung der bestehenden Sozialstrukturen (und damit ihrer Klientel) unter Verbesserung der materiellen Verhältnisse der Arbeiterklasse. Mancher Bergarbeiter, der es an der Front zum Offizier gebracht hatte, musste sich von seinen Kumpels zu Hause die Frage gefallen lassen, ob er sich jetzt für etwas Besseres halte. "Temporary gentlemen" nennt Allport diese Gruppe treffend.
So ist hier ein Buch entstanden, bei dem man höchstens bedauern könnte, dass über das Anekdotische hinaus hier oder da etwas mehr quantitative Analyse wünschenswert gewesen wäre. Insgesamt aber ist Allports Buch eine gut und flüssig erzählte, stringent argumentierende und mit einem belegten Ergebnis abschließende militärische Sozialgeschichte, die unseren Wissensstand erheblich erweitert.
Winfried Heinemann