Rezension über:

Stephen V. Tracy: Pericles. A sourcebook and reader, Oakland: University of California Press 2009, XXIII + 219 S., ISBN 978-0-520-25603-3, USD 48,00
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Rezension von:
Karl-Wilhelm Welwei
Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Karl-Wilhelm Welwei: Rezension von: Stephen V. Tracy: Pericles. A sourcebook and reader, Oakland: University of California Press 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 2 [15.02.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/02/16134.html


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Stephen V. Tracy: Pericles

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Es handelt sich um ein Textbuch, das Lehrern, Studierenden und älteren Schülerinnen und Schülern eine Hilfe zum Verständnis einer der faszinierendsten Persönlichkeiten der Antike sein soll und gut lesbare und kommentierte Übersetzungen einer Reihe von Quellen zur Vita und zur Politik des Perikles enthält.

In der Einleitung skizziert Tracy die Geschichte Athens im 5. Jahrhundert v. Chr. Er benutzt hier verschiedentlich eine missverständliche Terminologie, indem er den Delisch-Attischen Seebund als "Athenian Empire" und die Verfassung Athens in der Pentekonaëtie als "radikale Demokratie" bezeichnet. Der Begriff "Empire" lässt sich nicht einfach auf den athenischen Machtbereich zwischen 478/77 v. Chr. und dem Peloponnesischen Krieg anwenden, und die Vorstellung von einer "radikalen Demokratie" in Athen orientiert sich an einer antidemokratischen Agitation in jener Zeit. Missverständlich ist dementsprechend auch Tracys Charakterisierung der Politik des Ephialtes als "radikal" (15). Nach Tracys Auffassung soll Ephialtes den Areopag von einem einst einflussreichen politischen Gremium, das eine Bastion aristokratischer Macht gewesen sei, auf seine Funktionen als Gerichtshof zur Aburteilung von Kapitalverbrechen herabgestuft haben. Das zentrale politische Entscheidungsorgan war aber in Athen bereits seit Kleisthenes die Ekklesia.

Auch das Bestreben, möglichst kurze Informationen zu bieten, kann leicht zu Missverständnissen führen. Tracy führt beispielsweise aus (16), dass Perikles fast drei Jahrzehnte "Strategos" gewesen sei. Wir wissen aber lediglich, dass Perikles nach der Ostrakisierung des Thukydides Melesiou kontinuierlich in das Strategenamt gewählt wurde.

Im Zentrum der Quellenanalysen Tracys steht selbstverständlich das Periklesbild im Werk des Thukydides. Ausführlich erörtert Tracy die Rolle des Perikles im Verlauf der athenisch-spartanischen Verhandlungen im Winter 432/31 vor Beginn des Peloponnesischen Krieges. In seinen Erläuterungen zu der von Thukydides (1,139-145) stilisierten sogenannten ersten Periklesrede verweist Tracy mit Nachdruck auf die Aussage des Perikles, dass die Athener den spartanischen Forderungen nicht nachgeben dürfen. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn Tracy in diesem Kontext auch die These des Perikles von der zwangsläufigen Eskalation der Konflikte zwischen großen Mächten erörtert hätte.

Die berühmte Gefallenenrede des Perikles (Thukydides 2,35-45) charakterisiert Tracy mit Recht als "brillante Darstellung der athenischen Demokratie" (79). Er schöpft aber nicht alle Interpretationsmöglichkeiten aus. So vermisst man zum Beispiel eine Erörterung des Bildes, das hier von anderen politischen Organisationsformen mit eindeutigen Hinweisen auf die Lebenswelt der Spartaner gezeichnet wird.

Gut herausgearbeitet hat Tracy den Kontrast zwischen der Gefallenenrede und Thukydides' Schilderung der großen Seuche und ihrer Auswirkungen. Erfreulicherweise hinterfragt Tracy auch das Periklesbild des Thukydides. Er verweist darauf, dass Perikles keinesfalls gleichsam im Alleingang die Athener auf den Höhepunkt ihrer Macht geführt hat und die Ekklesia stets die letzte Entscheidung treffen musste. Vielleicht wäre dies noch deutlicher hervorgehoben worden, wenn Tracy den Begriff arché bei Thukydides 2,65,10 nicht mit "rule", sondern mit "leadership" übersetzt hätte.

Man vermisst allerdings in dem vorliegenden Buch eine detaillierte kritische Wertung der Kriegsschuldfrage. Perikles war 432/31 sicherlich nicht bestrebt, auf jeden Fall einen Krieg mit Sparta zu vermeiden. Tracy klammert freilich die Kritik an Perikles in der Überlieferung nicht aus. An erster Stelle ist hier der Komödienspott zu nennen, der allerdings Karikaturen liefert und insofern eine Quelle sui generis darstellt. In den Schlusskapiteln sucht Tracy zu eruieren, welchen Einfluss die Persönlichkeit des Perikles auf spätere Autoren ausgeübt hat.

Als Quellensammlung und Textbuch ist dieser schmale Band zweifellos eine Fundgrube. Zur weiterführenden Lektüre werden indes nur englischsprachige Bücher empfohlen. Es wäre dringend zu wünschen, dass in der angelsächsischen Altertumswissenschaft der Trend zur Abkoppelung von der internationalen Forschung endlich abgeschwächt würde.

Karl-Wilhelm Welwei