Lilian Landes: Carl Wilhelm Hübner (1814-1879). Genre und Zeitgeschichte im deutschen Vormärz (= Kunstwissenschaftliche Studien; Bd. 149), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2008, 608 S., ISBN 978-3-422-06788-2, EUR 49,90
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Das beeindruckende Buch von Lilian Landes startet mit einer gehörigen Untertreibung. Verspricht es doch im Titel weniger, als es tatsächlich bietet. Denn es beschäftigt sich nicht nur mit der Einordnung eines bestimmten Schaffenssegments des Malers Hübner in den kulturpolitischen Kontext des deutschen Vormärz. Es exemplifiziert darüber hinaus dessen späteres Schaffen, stellt es in ein facettenreiches Panorama der seinerzeitigen Düsseldorfer Kunstszene und legt erstmals einen (bebilderten) Werkkatalog vor. Allein ein solches Verzeichnis verleiht der Arbeit der Autorin den Status eines Standardwerks (zumal auch der Anhang mit Quellen- und Literaturverzeichnis quantitativ und qualitativ überzeugt). Landes hat das Thema 2007 als Doktorarbeit am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München eingereicht. Die daraus hervorgegangene Publikation enthält sich dankenswerterweise aller prätentiösen Wissenschaftsrituale, die man in Dissertationen sonst gerne findet. Der Deutsche Kunstverlag hat den Band in gewohnt gediegener und schöner Aufmachung herausgebracht.
Hübner war ein zu Lebzeiten bekannter und gefeierter Maler, nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern europaweit und vorübergehend in den Vereinigten Staaten, in denen überhaupt Arbeiten der Düsseldorfer Schule gerne gekauft und gesammelt wurden. Unter der Überschrift "Die Neue Welt nach 1848" widmet Landes diesem spannenden Aspekt der Rezeptionsgeschichte ein eigenes Kapitel (329ff.). Heute dürfte der in Königsberg geborene Hübner weitgehend nur Insidern vertraut sein (der von Hubertus Kohle 2008 herausgegebene Band VII aus der Reihe "Geschichte der bildenden Kunst in Deutschland", München / Berlin / London / New York, geht allerdings relativ ausführlich auf diesen Künstler ein). Die Degradierung Hübners im Valorisierungskatalog der Kunstgeschichte erklärt sich daraus, dass seine Malerei weder in das kanonisierte Entwicklungsmodell einer spezifisch formal bzw. autoreferentiell gesteuerten Avantgarde passt noch höchsten Qualitätsansprüchen selbst eines konventionellen Erwartungshorizontes genügt (Landes unterstreicht an vielen Stellen die künstlerische Zweitrangigkeit, ohne dieses Urteil allerdings wirklich zu begründen). Warum es dennoch sinnvoll und notwendig ist, Hübner und sein Œuvre - ein, wie die Autorin selbst anmerkt, scheinbar verstaubtes Thema - in den wissenschaftlichen Diskurs einzubringen, das demonstriert das vorliegende Buch auf überzeugende Art und Weise.
Im Mittelpunkt des Interesses stehen die kurz vor und bald nach der Revolution 1848 entstandenen Gemälde Hübners - insbesondere "Die schlesischen Weber" (das lange Zeit berühmteste Exemplum der Düsseldorfer Schule) oder "Das Jagdrecht" (die zweifellos unkonventionellste Komposition dieses Künstlers) -, die in die Gattung der Genremalerei eine von den Zeitgenossen entsprechend verstandene Sozialthematik einfließen lassen. Zu Recht wird von Landes dieser, gemessen am Begriff des Sozialkritischen, neutralere Terminus gewählt, um zu verdeutlichen, dass sich die quasi tagespolitische Parteinahme der einschlägigen Bilder (schlesischer Weberaufstand!) von jeder dezidiert sozialistischen Ideologie freihielt. Zu Recht verdeutlicht Landes aber auch, dass mit jenen bildkompositorisch nach wie vor dem akademischen Reglement gehorchenden, ikonografisch jedoch daraus ausbrechenden Sujets die eskapistische "Innerlichkeit" des Biedermeier ein starkes Gegengewicht erhielt. Letztlich erweist sich das vormärzliche Werk Hübners als visuelles Paradigma für die Typik einer der bekanntesten Umbruchzeiten der deutschen Geschichte. Fazit: Die "im Bild betriebene Poetisierung" der Realität teilt das gesamte Schaffen Hübners (also nicht nur das des Vormärz) mit der deutschen Frühromantik à la Caspar David Friedrich oder Runge, ebenso wie die nationale Note, um aber letztendlich immer wieder ins akademische Lager "spätnazarenischer Romantik" zurückzukehren (400).
Es ist unmöglich, in einer kurzen Rezension der Fülle des von Landes präsentierten Materials gerecht zu werden. Ich greife nur wenige Punkte heraus, die ich für besonders relevant halte: Der Gang, den die Malerei Hübners wie auch die Düsseldorfer Schule generell seit der Revolution 1848 bis zur Gründerzeit der 1870er-Jahre einschlägt, ist symptomatisch für die bereitwillige Rückkehr der deutschen Kunst (parallel zur politischen Kultur) zum "Gutbürgerlichen". Freilich, so groß war die Metamorphose ja gar nicht, machen doch die Untersuchungen von Landes deutlich, wie sehr auch die vormärzlichen Bilder Hübners an den gemäßigten Zeitgeschmack gebunden waren und keinesfalls eine gesellschaftlich revolutionäre Botschaft vermittelten. Diese Erkenntnis stellt die Forschung wieder auf den nüchternen Boden der Tatsachen und entlarvt den angeblichen Bruch zwischen der Gemütlichkeitsnische, in die sich der späte Hübner zurückgezogen habe, und der vorangehenden Sturm-und-Drang-Phase als interpretatorische Fiktion; ein Bruch, den vor allem die kunstgeschichtliche Forschung in der einstigen Sowjetunion (bereits seit den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts) und in der ehemaligen DDR betonte. Dort benützte man eine schriftliche Passage, in der Friedrich Engels "Die schlesischen Weber" als willkommene Agitation für den Sozialismus begrüßt hatte, um den vormärzlichen Hübner zu einen kritischen Realisten, zu einem wiederentdeckten deutschen Exponenten des sozialkritischen Realismus zu adeln, der leider nach 1848 wieder ins Kleinbürgerliche abgedriftet sei (38ff. und passim). Ende der 60er-Jahre verglich der Ausstellungskatalog "Bild der Klasse" Hübners "Schlesische Weber" gar mit Jacques Louis Davids "Schwur der Horatier" (aus dem Jahr 1784)!
Wichtige Passagen des Buches gehen auch auf die formale und inhaltliche Erzählfolge ein, die viele der sozialthematischen Arbeiten Hübners zusammenschließt. Diese quasi serielle Reihung korrespondiert mit dem Prinzip des feuilletonistischen Fortsetzungsromans (175). Beides, die gemalte und die literarische Spannungsstrategie, negiert, so Landes, die in der Frühromantik noch nobilitierte Kluft zwischen "genialem" Künstler-Individuum und "profaner" Gesellschaft und vertraut die künstlerischen Wert- und Akzeptanzkriterien dem populären Geschmack an (414f.).
Bei oberflächlichem Lesen scheint Landes das Mittel der Werkbeschreibung zu vernachlässigen. Doch dieser Eindruck täuscht. Denn Landes "dekonstruiert" das gewohnte Instrumentarium der Analyse, verteilt die einer Bildbeschreibung gewidmeten Passagen (samt der Präsentation einschlägiger Vorbilder Hübners) auf unterschiedliche Kapitel und deren Untersuchungsfelder (etwa die zeitsignifikante Wechselwirkung zwischen Literatur bzw. sozialer Lyrik und sozialem Genre, das Verhältnis von Bühne und Bild, die Ambiguität von Tradition und Innovation usw.). Hierin liegt die konsequent durchgeführte Methodik einer Abhandlung, die - neben ihren monografischen Meriten - immer dann zur Pflichtlektüre gehören sollte, wenn man das Motto "Kunst im Kontext" als entscheidende Prämisse für die (Neu-)Bewertung deutscher Malerei des 19. Jahrhunderts ansieht.
Norbert Wolf