Petra Marx / Uwe Gast (Red.): Die Glasgemälde-Sammlung des Freiherrn vom Stein (= Patrimonia; 300), Münster: LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte 2007, 112 S., ISBN 978-3-88789-155-8, EUR 12,00
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Für die "Ausschmückung" (7) des gotischen Turmes seines Nassauischen Schlosses erwarb der preußische Staatsminister und Reformpolitiker Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein 1814/15 insgesamt 51 Scheiben unterschiedlicher Standorte, von denen bis heute 20 Scheiben überkommen sind (7,12).
Anlass für die vorliegende Publikation war der Erwerb der Stein'schen Glasmalerei-Sammlung im Jahr 2005 durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und das Land Nordrhein-Westfalen für das LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster. Als "eines der bedeutendsten Ensemble der mittelalterlichen Kunst in Deutschland" (4) gepriesen, umfasst es - entsprechend der Vorgabe des freiherrlichen Sammlers - vornehmlich figürliche Glasmalereien des 13./14. Jahrhunderts (14).
Der zentrale Textbeitrag von Petra Marx erarbeitet neben der Genese der Sammlung deren relevanten kulturhistorischen Kontext. Es war die "patriotisch motivierte Wiederentdeckung der mittelalterlichen Kunst im frühen 19. Jahrhundert", (7) die ein entsprechendes Augenmerk auch auf die Glasmalerei richten ließ. Dass ein im gotischen Stil errichteter Turm Glasmalereien desselben Stils aufweisen sollte, galt als stimmiges Ausstattungsprinzip jener Jahre und jener historistischen Überzeugung, die alles andere als schon denkmalpflegerische Ausprägung besaß. Binnen relativ kurzer Zeit von nur einem Jahr gelang es Freiherr vom Stein 26 Scheiben aus dem Chor der Dausenauer Kastorkirche, 21 Scheiben aus der Stiftskirche in Arnstein, sowie je eine Scheibe aus Schweighausen und Oberlahnstein zu erstehen (12). "Nach einer im Juli 1815 mit Johann Wolfgang Goethe unternommenen [...] Rheinfahrt" (12) erstand Stein zwei Glasmalereien aus der Kölner Dominikanerinnenkirche. Die genauen Anbringungsorte der unterschiedlichen Glasmalereien in den Fensteröffnungen des neogotischen Turmes bleiben bis heute nicht zur Gänze nachvollziehbar (13).
Es entspricht dem Charakter der Glasmalerei, mit ihrem Anbringungsort, der Architektur und der darin befindlichen Fensterlaibung, aufs Engste verknüpft zu sein. Eine Wandlung der Funktion und Nutzung des Turmes hatten die Glasmalereien stets mitzuvollziehen: Ursprünglich war der Turm als Ausdruck des "politischen Neubeginns Deutschlands nach 1815 aus einer glanzvollen Vergangenheit heraus" (8) geplant worden. Nach Jahren der Flucht und des Exils konzipierte Stein den Turm schließlich "als Gedenkstätte für den Kriegshelden Gerhard von Scharnhorst" (9). "Nach dem Rückzug Steins aus der aktiven Politik kam es 1815/16" schließlich zu einer vorrangig privaten Nutzung des Turms und seiner Glasmalereien (11). "Die wie Spolien eingesetzten alten Gläser verliehen dem Bauwerk [...] historische Authentizität" (18), so Petra Marx, und, "indem Stein in den Kapellenraum u.a. die Kölner Scheiben mit den abgebildeten Donatoren einsetzen ließ, wiederholte er den mittelalterlichen Stiftungsakt." (19)
Die Autoren Daniel Parello und Uwe Gast übernehmen im anschließenden Katalogteil die Beschreibung und kunsthistorische Verortung der 20 Glasmalereien der Stein'schen Sammlung. Zu den fünf, nach ihrem Stifter benannten, "Gerlachus-Scheiben" aus der Zeit um 1170/80 aus dem Westchor der Arnsteiner Prämonstratenser-Klosterkirche bemerkt Parello, dass die Fragen nach "dem ursprünglichen Bildprogramm oder dem künstlerischen Umfeld" bislang offen seien (32).
Die beiden Glasmalereien "Heiliger Petrus" und "Heiliger Paulus" sind einige der wenigen Scheiben aus der Sammlung des Freiherrn vom Stein, deren ursprünglicher Standort nicht mit letzter Sicherheit benannt werden kann. Uwe Gast nimmt für die auf um 1260/70 zu datierenden Glasmalereien die Arnsteiner Prämonstratenser-Klosterkirche an, wofür er verschiedene Indizien anführt (43). Die stilistische Ausprägung der beiden Glasmalereien, ihre markante symbolhaltige Darstellung in der Reduzierung auf die Figuren mit den entsprechenden Marterwerkzeugen (45) und dem "Fehlen jeglicher modellierender Binnenzeichnung" (47) führt den Autor in letzter Konsequenz zu der Annahme einer rezeptionsgeschichtlichen Nähe zu Werkstätten in Trier und/oder Köln.
Für die beiden Glasmalereien "Muttergottes" (um 1290/1300) und "Heilige Gertrud" (um 1330/40), die Karl Freiherr vom Stein 1815 auf der bereits genannten Reise mit Johann Wolfgang von Goethe erwarb, kann der Ursprungsstandort in der Kölner Dominikanerinnen-Klosterkirche Sankt Gertrud als vergleichsweise gesichert gelten. Allein stilistische Unterschiede bei der figurativen Gestaltung lassen auf "unterschiedliche Entstehungszeiten beider Glasmalereien" schließen (51), während u.a. "die identischen Teppichhintergründe", "die offenbar für ein zweibahniges Maßwerkfenster bestimmt waren", auf die [lokale] "Zusammengehörigkeit der Scheiben" (54) verweisen.
Ein Jahr zuvor ließ Karl Freiherr vom Stein für seine projektierte mittelalterliche Turmverglasung aus dem Chorbereich der ehemaligen Dausenauer Pfarrkirche "26 Stück altgemahlte Fenster" (59) herausnehmen. Die Scheiben "Heiliger Nikolaus" und "Heilige Katharina" (beide um 1320) sind eben dort als "Produkte eines leistungsfähigen und exportorientierten Marburger Betriebs (während der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts)" (60) hervorgegangen.
Aus der ehemaligen Prämonstratenser-Klosterkirche in Arnstein stammen schließlich sieben Scheiben eines typologischen Zyklus mit Stiftern aus Arnstein und ein Fragment eines Thron Salomonis. Die Datierung wird auf um 1360/65 angesetzt, die Herstellung einer oberrheinischen oder mittelrheinischen/hessischen Werkstatt zugeschrieben.
Der Band präsentiert die solide Aufarbeitung einer Sammlung mittelalterlicher Glasmalereien des Privatsammlers Freiherr vom Stein. Als "Ensemble" sammlerischer Tätigkeit des frühen 19. Jahrhunderts betrachtet, geben die 20 Scheiben ein zeittypisches Zeugnis für ein historistisches Mittelalterverständnis ab, das hier - und das nimmt der Publikation jegliche wissenschaftliche Brisanz - ohne jede Hinterfragung und weitgehend kontextfrei dargestellt wird. Die Publikation der Scheiben, die von ihrem originären sakralen Standort entfernt und in den profanen Kontext eines Schloss-Turmes gestellt worden sind, hätte gut daran getan, die Umstände und Motivationen der Sammelleidenschaft des Karl Freiherr vom Stein näher zu hinterfragen und die Sammlung in den Kontext zeitgleich entstandener Privat-Sammlungen zu stellen. [1] So gesehen mangelt es der Publikation an kritischer Distanz zum eigenen aufbereiteten Konvolut, ohne damit allerdings ihre Werthaltigkeit wissenschaftlicher Provenienz-Arbeit einzubüßen.
Anmerkung:
[1] Vgl. Kat. Köln 1998. Himmelslicht. Europäische Glasmalerei im Jahrhundert des Kölner Dombaus (1248-1349), Katalog zur Ausstellung des Schnütgen-Museums in der Josef-Haubrich-Kunsthalle Köln, 20.11.1998 bis 7.03.1999, Köln 1998, 112, zu den Sammlungen von Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau (1740-1817), Wilhelm IX. von Hessen-Kassel, Herzog Karl Eugen von Württemberg (1737-1793), Graf Franz von Erbach (1754-1823), Freiherr Hans Carl von Zwierlein aus Geisenheim (1768-1850), Großherzog Ludwig I. von Hessen-Darmstadt, Regierungsrat Moritz Werner von Haxthausen (1780-1842), Domglasermeister und Optiker Wilhelm Laurenz Düssel (1765-1856), Bankier Abraham von Oppenheim (geb. 1804), Tabak- und Weinhändler Johann Heinrich Pleunissen (1731-1805), Heinrich Schieffer (1780-1847).
Susanne Gierczynski-Richter