Rezension über:

Birgit Botz: Glas als künstlerischer Werkstoff. Gestaltung und Vermittlung mit Recyclingglas, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2007, 143 S., ISBN 978-3-496-01378-5, EUR 29,90
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Rezension von:
Susanne Gierczynski-Richter
Hamburg
Redaktionelle Betreuung:
Michaela Braesel
Empfohlene Zitierweise:
Susanne Gierczynski-Richter: Rezension von: Birgit Botz: Glas als künstlerischer Werkstoff. Gestaltung und Vermittlung mit Recyclingglas, Berlin: Dietrich Reimer Verlag 2007, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 9 [15.09.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/09/16910.html


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Birgit Botz: Glas als künstlerischer Werkstoff

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Es gibt einen weiten Assoziations-Raum für Glas: Als Werkstoff erfüllt es im alltäglichen Gebrauch vielfältigste Funktionen. Im künstlerischen Prozess prägte Glas eine stilistische und ikonografische Traditionslinie, die vom Mittelalter bis in die Gegenwart eine eigenständige Historie ausbildete. Als "Frau der Praxis" sucht Birgit Botz den Werkstoff Glas in seiner "Randexistenz [...] sowohl in der pädagogischen Arbeit" als auch in "Kunst und Handwerk" "historisch zu begründen" (9). "Eine phänomenologische Untersuchung des Werkstoffs" soll die besonderen Möglichkeiten mit anschließenden "Lernzielen, die in der Vermittlungsarbeit mit Glas" liegen, verdeutlichen (9). Neben diesem didaktischen Anspruch will die Arbeit die "Möglichkeiten des experimentell vermittelnden Einsatzes von Recyclingglas" eruieren, um schlussendlich "eine Grundlagenuntersuchung über Chancen und Grenzen der Vermittlungsarbeit mit Glas [zu] sein" (9).

Über vier Kapitel hinweg vermittelt Botz "statements" zu dem antipodisch veranlagten Materialcharakter des Glases, das sie zwischen "Kunstobjekt" und "Wegwerf- und Recyclingstoff" verortet (10). Interessante Aspekte vermittelt das Kapitel der "Geschichte des Glasrecyclings" (16-19), in dem Botz anschaulich die "Wiederverwertung [...] der Glasabfälle" beschreibt, den Beruf des "wandernden Glashändlers" und schließlich "mit dem Wandel zur Konsumgesellschaft im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts" (18) den Verlust des traditionell hochwertigen Materialcharakters des Glases hin zum Glasobjekt "als massenhafter Gebrauchsartikel" konstatiert (18). Das Kapitel über "Die Isolation der Glaskunst in Kunstgeschichte und Vermittlung" (20ff.) offenbart ein grundlegendes Manko der Untersuchung: Eine präzise definitorische Unterscheidung zwischen funktionsgebundenen und primär zweckfreien künstlerischen Aspekten der Verwendung des Werkstoffes Glas nimmt die Arbeit nicht vor. Dadurch geraten je nach Themenorientierung der Untersuchung Aspekte des Glases als Gebrauchsglas, als kunsthandwerkliches Produkt, als architektonisch gebundene - zum Teil monumentale - Glasmalerei oder als zu bearbeitender Werkstoff in der kunstpädagogischen Arbeit ohne jede Unterscheidung in den Blickpunkt. Dementsprechend bleibt auch die Datierungsarbeit bei Botz auf der Strecke, was unter anderem zu immensen Unschärfen in der Darstellung der Entwicklung der "Glasszene" führt (23-26).

Der Aspekt der Materialikonologie wird assoziationsreich eingeleitet (31ff.), ohne eine wissenschaftlich fundiert zu nennende Abfederung in der kunsthistorischen Forschung zu erhalten. Vom "kostbaren Charakter" bis zur "Wertlosigkeit", vom "Symbol für Zerstörung und Vernichtung, wie die so genannte 'Reichskristallnacht' von 1933 belegt" bis zum Aspekt des "Transzendenten und Immateriellen" (32ff.), erstellt Botz eine material-ikonologisch getragene Assoziationskette, die ungeordnet daherkommt und dem Blick der "Wahrsagerin [in] eine Kristallkugel" (33) gleicht. Von "edel und rein", über "exotisch" bis hin zum "Alltags- und Abfallprodukt" versucht Botz im Folgenden Glas als künstlerischen Werkstoff in der offiziellen Kunstgeschichte zu verorten. Daran anschließend wird die "gesellschaftliche Bedeutung" des Glases als Material "für Entwicklung und Fortschritt einer Kultur" in den Blick genommen: "Der Einfluss neuer Glaserzeugnisse auf die Welt- und Selbstwahrnehmung des Menschen wird auch auf unzähligen anderen Gebieten deutlich: Allein durch die Entwicklung hochwertiger Linsen, die für Mikroskope und Teleskope Verwendung fanden, drang der Mensch in Bereiche des Makro- und Mikrokosmos vor, die seinen Sinn für die Wirklichkeit radikal veränderten" (54).

Mit dem Thema "Recycling als kulturelle Praxis" beschließt Botz den Theorieteil der Untersuchung, bekennt sich zum Recyclen als "Lebenseinstellung" (57) und kommt anschließend zum Herzstück der Arbeit: Kapitel fünf bis acht widmen sich der kunstpädagogischen Praxis mit dem Werkstoff Glas. Ausgehend von der Prämisse, dass Glas als Werkstoff "bei der Kanonbildung der schulischen Werktechniken" (58) neben anderen Materialfeldern isoliert da steht, erarbeitet Botz mögliche Lernziele. Neben einer Werkstoffkunde und Werktechniken geht die Autorin über den Bezug von Glas in Kultur und Alltag, unter anderem auch auf die Verletzungsgefahren beim Werken mit Glas und auf die ökologische Dimension von Recycling ein (59-65). Werktechniken bei einem Umgang mit Glas in der kunstpädagogischen Arbeit werden schließlich auch an ökonomische und ökologische Aspekte geknüpft und methodologische Voraussetzungen reichen von Beschreibungen zu Unterrichtssituationen beim Umgang mit Glaswerktechniken bis zu ästhetischen Aspekten der Produktionsbedingungen. Kapitel 7 vermittelt schließlich einen Überblick über unterschiedliche Techniken der Glasbearbeitung, wobei Botz zwischen Verfahren der Materialbearbeitung unterscheidet, die "bei Raumtemperatur" arbeiten "und jenen weitaus komplexeren, [die] einen anschließenden Brand im Ofen erfordern" (82). Im abschließenden Kapitel werden zwei Unterrichtsprojekte beschrieben, die "je nach Eignung mit Kindern oder Erwachsenen, in der Praxis erprobt" wurden (96ff.). Die Schlussbetrachtung führt noch einmal das grundlegende Problem aus, von dem die Autorin ausgeht: Glas sei als "Medium künstlerischer Gestaltung" nicht derart im "kulturellen Bewusstsein" verankert, wie die Werkstoffe Holz, Ton oder Stein. Insbesondere stehe die Kunstpädagogik, so die Autorin, "in der Pflicht, diese Lücke zu füllen" (111), indem der Werkstoff Glas für die Vermittlung aufgearbeitet werde. Sowohl seien "in nächster Zeit" "in der Werkzeugentwicklung und im Ofenbau" als auch in sicherheitstechnischer Hinsicht Entwicklungen zu erwarten, die eine "öffentliche Verfügbarkeit der Technik" vorantrieben (112).

Die Untersuchung ist als Appell für eine Bewusstseinserweiterung zum Umgang mit dem Werkstoff Glas zu lesen und zugleich als kunstpädagogischer Erfahrungsbericht, der auf die vielfältigen Möglichkeiten im Unterricht mit dem gläsernen Material hinweist. In dieser Hinsicht ist der Autorin eine anschauliche - das heißt praxisnahe - und inspirationsreiche Beschreibung gelungen. Was der Publikation allerdings vorzuwerfen ist, ist die mangelhafte Erarbeitung des aktuellen Forschungsstandes, speziell im Bereich der theoretischen und kunsthistorischen Kapitel. Die Arbeit nimmt sich viel vor, indem sie neben den gewählten Gebieten der Kunstpädagogik, der Kunstgeschichte, der Soziologie und der Philosophie sich dem Werkstoff Glas anzunähern sucht. Allein, die Kontextualisierung des Werkstoffs Glas innerhalb der gewählten Forschungsgebiete erfolgt primär unter dem Blickpunkt, Glas als Ergebnis eines Produktionsvorgangs zu sehen und vernachlässigt die Abgrenzung der jeweiligen Kontexte: Glas als Gebrauchsglas, als sakrale Monumentalmalerei, als architektonisches Medium etc.

Und wenn Botz ihre Schlussbetrachtung resümierend einleitet mit der Beobachtung, dass "der traditionelle Zweig der Glasherstellung und -bearbeitung [...] ein im Niedergang befindlicher Berufsstand" sei (111), so bleibt entgegenzuhalten, dass die Zeiten, da "Glashütten für die Besiedelung ganzer Regionen und die Entstehung von Gemeinschaften, in denen das schmelzbare Material im Mittelpunkt des kulturellen Lebens stand" (111), vielleicht nicht mehr zurückzuholen sind, dass aber eine Glasmalerei von Gerhard Richter für den Kölner Dom doch einen enormen Widerhall sowohl auf der Ebene der Besucher-Öffentlichkeit als auch innerhalb der Gilde der Kunsthistoriker erzeugte. Als künstlerischer Werkstoff betrachtet, umfasst Glas ein weites Spektrum an Verwendungsmöglichkeiten, weshalb eine Unterscheidung in die eine oder andere Funktion sehr präzise erfolgen muss ohne sich in einem diffus anmutenden Vielerlei zu verzetteln. Die vorliegende Arbeit trägt diesem Forschungsanspruch nicht immer Rechnung, bietet aber eine Bereicherung in Hinblick auf ihren zum Teil sehr persönlich affizierten Assoziationsreichtum und kunstpädagogischen Ansatz an.

Susanne Gierczynski-Richter