André Kirchhofer / Daniel Krämer / Christoph Maria Merki u.a. (Hgg.): Nachhaltige Geschichte. Festschrift für Christian Pfister, Zürich: Chronos Verlag 2009, 397 S., ISBN 978-3-0340-0992-8, EUR 31,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Hansjörg Küster: Der Wald. Natur und Geschichte, München: C.H.Beck 2019
Elisabeth Weinberger: Waldnutzung und Waldgewerbe in Altbayern im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2001
Frank Uekötter: Von der Rauchplage zur ökologischen Revolution. Eine Geschichte der Luftverschmutzung in Deutschland und den USA 1880-1970, Essen: Klartext 2003
Kurt W. Alt / Rauschenberger Natascha (Hgg.): Ökohistorische Reflexionen. Mensch und Umwelt zwischen Steinzeit und Silicon Valley, Freiburg/Brsg.: Rombach 2001
Georg Menting: Die kurze Geschichte des Waldes. Plädoyer für eine drastische Kürzung der nacheiszeitlichen Waldgeschichte, Andernach: Mantis 2002
"Nachhaltige Entwicklung" ist eine Festschrift zum 65. Geburtstag und damit auch zur Emeritierung von Prof. Dr. Christian Pfister, dem renommierten Schweizer Klimahistoriker. Dem Sammelband ist ein Bild des Jubilars vorangestellt, auf dem er in lässiger Haltung einen Apfel vor sich schweben lässt. Ein passendes Bild für das Kunststück, quer zur disziplinären Ordnung an Schweizer Universitäten Karriere zu machen und sein Gebiet, die historische Klimaforschung, zu etablieren.
Pfisters interdisziplinäre Konzeption einer Klimageschichte ist von großer Relevanz für das Verständnis des anthropogenen Klimawandels. Es ist kein Zufall, dass er im Jahr 2000 als erster mit dem Eduard Brückner Preis für herausragende Leistungen in der Klimaforschung ausgezeichnet wurde. Wie einst Brückner interessiert sich Pfister für den Einfluss historischer Klimaschwankungen auf Migration, Getreideernten, nationale Ökonomien und politische Verhältnisse. In Pfisters Werk findet sich der allseits geforderte Brückenschlag zwischen Natur- und Kulturwissenschaften. Er schreibt an einer zutiefst menschlichen Klimageschichte, in der die erhobenen Daten, die Ereignisse und ihre Deutung in einer unauflöslichen Wechselbeziehung stehen.
Die Würdigungen von Pfisters Lebenswerk zu Beginn des Sammelbandes stammen denn auch aus so unterschiedlichen Disziplinen wie der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte (Krämer, Summermatter), der Geographie (Messerli), der Geschichte (Holenstein) und der Humanökologie (Sieferle). Aus unterschiedlicher Perspektive zeigen diese Beiträge, dass Pfister der Natur wieder Einzug in die Geschichtsschreibung verschafft hat, ohne den Kurzschlüssen eines Naturdeterminismus zu unterliegen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die eigenwilligen und immer der historisch-ethnographischen Dokumentation verpflichteten Arbeiten Pfisters einer Eingemeindung in übergeordnete Theorien eher entgegenstehen. Gerade darin, und das machen insbesondere diese Einleitungsbeiträge deutlich, liegen der Charme und die Besonderheit von Pfisters Ansatz: "Es sollte jedoch deutlich werden, dass die Umweltgeschichte nicht einen bestimmten Gegenstand hat, sondern dass es sich bei ihr um eine spezifische Perspektive auf die Gegenstände der Geschichte handelt." (Sieferle, 44).
Der Hauptteil des Sammelbandes ist in vier große Themenbereiche gegliedert, die für das umfangreiche Werk dieses singulären Wissenschaftlers stehen: Klimageschichte, Naturkatastrophen, Regionalgeschichte sowie Verkehrs- und Energiegeschichte. Der Schwerpunkt Klimageschichte nimmt hierbei einen zentralen Stellenwert in Pfisters Schaffen ein. Ihm gelang das Kunststück, aus der Dokumentation von Proxys menschlichen und natürlichen Ursprungs gesellschaftswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Einsichten zu gewinnen. Als ein faszinierendes Beispiel führt Wheeler die klimahistorische Auswertung von Logbüchern an, während die Kollegen Pfisters aus der naturwissenschaftlichen Klimaforschung (Wanner et al.) den Wert von solchen Proxys in ihrem Beitrag über die Entstehung der Kleinen Eiszeit aus klimatologischer Sicht aufzeigen. In einem Übersichtsbeitrag zeigt Brázdil die Bedeutung der historischen Klimaforschung und deren Potential für die Rekonstruktion des europäischen Klimas auf - einem Thema, dem sich Pfister in Zukunft verstärkt widmen wird. Angesichts der Relevanz dieser Thematik für die Rekonstruktion vergangener Klimata ist es erstaunlich, dass es sich bei der historischen Klimaforschung vielerorts um eine noch so marginale Disziplin handelt, wie der Beitrag von Barriendos aus Spanien zeigt.
Auch die Bedeutung von Naturkatastrophen wird heute in der historischen Forschung im Licht des anthropogenen Klimawandels diskutiert. Pfister hat in vielen Beispielen gezeigt, wie Naturkatastrophen wirken, welche Deutungsmuster sie hervorrufen, wie sie zugleich zerstörerisch und produktiv sein können. Das gilt für ihre Rolle in der Entstehung der nationalen Schweizer Identität genauso wie für diejenige in den USA, wie Mauch in seinem Beitrag zeigt. Es gibt keine "Geschichte ohne Menschen", so Mauelshagen, und dies gilt umso mehr in Zeiten des anthropogenen Klimawandels. Die Bedeutung der mikrogeschichtlichen Forschungsansätze, wie sie für Pfisters Vorgehen charakteristisch sind, ist zentral für die Klimawirkungsforschung. Dies wird besonders deutlich beim Blick auf das Fremde, wie Janku in ihrem Beitrag über kulturelle Verhaltensmuster in historischen Katastrophenfällen in China eindrücklich zeigt. Demgegenüber nehmen sich die großen Entwürfe "in Zeiten der sich beschleunigenden Moderne" wie in Poliwodas Beitrag eher spekulativ aus. Werden Klimakriege die Folge davon sein, dass die Menschheit sich nur schwer an den Klimawandel anpassen kann? Große Fragen lösen sich bei Pfister immer wieder in Einzelfälle auf, die akribisch genau dokumentiert werden.
Pfisters Forschungen sind immer ethnographische Dokumentationen, und sie sind eng mit der Entwicklung der Computer verbunden. Der Aufbau von Archiven, die simple Dokumentation von ungeheuren Datenmengen zu einzelnen Regionen ist eine Leistung, die auch die Regionalforschung selbst verändert hat. Grenzen sind diesem Verfahren einer "histoire totale" kaum gesetzt, weder inhaltlich noch geographisch. Gerade die Beiträge zur Regionalgeschichte in diesem Sammelband zeigen einen Grundzug Pfisters gegen einen Naturdeterminismus oder Neopositivismus: es sind nie allein die Natur, das Klima oder das System, welche die Geschicke der Menschen lenken, sondern dem Menschen verbleibt immer ein Handlungsspielraum.
Pfister ist in der Schweiz als Klimaexperte bekannt, aber auch wegen seiner Thesen zum "1950er Syndrom". Die fallenden Energiepreise für fossile Energieträger in den fünfziger Jahren machten diese zu einer "Sattelzeit zwischen Industrie und Konsumgesellschaft" (Pfister), die sich vor allem in der Motorisierung der Gesellschaft zeigt. Der letzte Teil des Sammelbandes vereinigt Detailuntersuchungen zu Flug-, Auto- und Bahnverkehr, die diese Entwicklung und daraus entstehende Probleme thematisieren. Diese Arbeiten machen deutlich, dass Pfisters Geschichtsschreibung immer in der Gegenwart verankert ist.
Trotz der durchaus unterschiedlichen Qualität der einzelnen Beiträge ist es die gelungene Aufteilung in einzelne Forschungsschwerpunkte, die die Reichweite, Vielfalt und Relevanz von Pfisters Werk deutlich machen. Die historische Klimaforschung als eine zeitgemäße Fortschreibung der "histoire totale" der französischen Annales-Schule leistet einen Brückenschlag zwischen dem naturwissenschaftlichen Verständnis des Klimawandels und seiner gesellschaftlichen Bedeutung. Es sind nicht die großen übergreifenden Würfe, die zum Verständnis der Klimageschichte beitragen, sondern es sind die Einzelereignisse und ihre Deutung durch die Akteure, die eine menschliche Klimageschichte ausmachen. Der Sammelband liefert einen wertvollen Beitrag zur Konsolidierung der historischen Klimaforschung und weckt vor allem Lust darauf, Pfister selbst im Original (wieder) zu lesen.
Werner Krauß