Gabriele Mante: Die deutschsprachige prähistorische Archäologie. Eine Ideengeschichte im Zeichen von Wissenschaft, Politik und europäischen Werten (= Internationale Hochschulschriften; Bd. 467), Münster: Waxmann 2007, 279 S., ISBN 978-3-8309-1691-8, EUR 29,90
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
In ihrer 2004 vorgelegten Dissertation verortet Gabriele Mante die Ideengeschichte der deutschsprachigen prähistorischen Archäologie im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und europäischen Werten. Der Schwerpunkt der in einer gekürzten Fassung publizierten Untersuchung liegt auf der Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Ihr erklärtes Ziel ist das "Nachzeichnen ausgewählter traditioneller und innovativer Paradigmata unter Rückgriff auf einige prägnante Fallbeispiele, Konzepte und Schlüsselfiguren" und weniger die wertende Analyse. Mante geht es darum, "Unterschiede und Gemeinsamkeiten der ost- und westdeutschen Forschung exemplarisch" herauszuarbeiten. Quellengrundlage sind prähistorische Fachliteratur, ausgewählte theoretische Aufsätze, Monographien und Übersichtswerke sowie Gespräche mit Fachvertretern und deren Korrespondenz (16).
Mante orientiert sich an der Auffassung Johan Callmers über das "empirische Wesen der Archäologie". Die Frage nach dem historischen Ort von Menschen und ihrem Handeln beinhalte einerseits die "Strukturen und Regelhaftigkeiten" des menschlichen Denkens und Handelns und andererseits die Charakterisierung des Verhältnisses von "Mensch und Umwelt über verschiedene Zeiten" hinweg (23f.). Mante beginnt mit einem knappen forschungsgeschichtlichen Abriss über die Theoriebildung in der deutschsprachigen Prähistorie, dem sich ein längeres Kapitel über die Traditionen archäologischer Praxis anschließt. Eine getrennte Darstellung der antiquarischen, der regionalistischen und der universalistischen Ansätze, wie von ihr vorgenommen, sei jedoch nur in ihrer spezifischen Forschungsperspektive sinnvoll, da diese Ansätze praktisch in der prähistorischen Archäologie miteinander vernetzt existierten.
Im dritten Kapitel beschreibt Mante die ihrer Ansicht nach begrenzte Rezeption des Historischen Materialismus durch die Prähistoriker der DDR. Sie vertritt die Auffassung, dass zwar die "Ideologisierung der DDR-Prähistorie [...] praktisch gescheitert" sei, dass sie sich jedoch theoretisch in den "sprachlich-begrifflichen, Semantischen Umbauten" durchgesetzt habe. Mante spricht von einem "Phänomen der theoretischen Ideologisierung durch Semantische Umbauten", weil alle sich einem Zwang anpassen und "marxistische Floskeln auf irgendeine Weise in ihre[n] Publikationen" hätten unterbringen müssen (112). Der Umstand, dass Marx und Engels häufig unter Bezug auf ur- und frühgeschichtliche Prämissen argumentierten, habe dies erleichtert. "Ökonomisch determinierte Begrifflichkeiten" seien der von ihnen verfassten "Primärliteratur entlehnt und durch die Fachsprache der Prähistorie rezipiert" worden. Die DDR-Archäologen hätten so verfahren müssen, um "ihre Arbeiten in den Druck geben zu können" (127).
Leider lässt die schmale Quellenbasis wenig Spielraum zur Differenzierung dieser These zu. Mante stützt sich hauptsächlich auf zwei Arbeiten (92): Das von Hermann Behrens 1984 vorgelegte Buch, "Die Ur- und Frühgeschichtswissenschaft in der DDR von 1945 bis 1980. Miterlebte und mitverantwortete Forschungsgeschichte" und die 1992 angefertigte Diplomarbeit von Johannes Wiens, "Die Ur- und Frühgeschichtsforschung in der DDR. Aspekte und Probleme der Vergangenheitsbewältigung". Behrens, von 1959 bis 1980 Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle/Saale, schrieb aus der Sicht des Zeitzeugen, der teils polemisch mit ehemaligen Kollegen abrechnete, ein Umstand, der die zeitgeschichtliche Perspektive der Arbeit sichtlich einschränkt.
Beide Arbeiten befinden sich zeitlich sehr nah am Untersuchungsgegenstand, ein Faktor, der besondere methodologische Berücksichtigung erfordert, damit er sich nicht hinderlich auf die Sicherheit des historischen Urteils einer Forschungsarbeit auswirkt. Da auch Mante danach fragt, ob es nicht noch zu früh sei, sich bereits jetzt mit der "ideologisch belasteten DDR-Prähistorie zu beschäftigen" (91) und sich mit ihrem Buch ausdrücklich an Studierende wendet, hätte sie auf diese Probleme hinweisen müssen. Denn es ist die spezifische Aufgabe der Fachdisziplin Zeitgeschichte, solche Methoden zu entwickeln, um mit ihnen zeitnahe Perioden historiographisch fundiert untersuchen, entschlüsseln und analysieren zu können. Insofern formuliert Gabriele Mante tatsächlich einen persönlichen Lektüre-Eindruck, wenn sie in dem in der DDR verfassten Germanenhandbuch "sozialgeschichtlich-wirtschaftsarchäologische Grundlagenforschung" sieht, "wie sie inhaltlich auch von der westdeutschen Prähistorie betrieben wurde" (126).
Abweichend davon stellt sie fest, dass die "institutionelle Zentralisierung der Forschung [...] die Voraussetzung für die theoretische Rezeption des Historischen Materialismus" und die entscheidende Grundlage prähistorischer Forschungsarbeit in der DDR gewesen sei (132). Im anschließenden Kapitel bezeichnet sie den westdeutschen idealistischen Forschungsansatz als eine theoretische Gegenposition dazu. Genau darin besteht das entscheidende Wesensmerkmal aller politisch-ideologischen Einflüsse auf Wissenschaft, dass sie zwangsläufig determinierend auf die subjektive Wahrnehmung der Befunde und auf ihre Interpretation einwirken. Mante bilanziert, dass ein Forscher bereits bei der "Typenfindung je nach Fragestellung zu unterschiedlichen Typenkategorien" gelangen könne, "erst recht jedoch bei der Typinterpretation" (172). Das trifft in ungleich größerem Ausmaß auf die Situation in der DDR zu, wo politische Rahmensetzungen zentrale Leitinstitute geschaffen hatten, die für die Abstimmung der Fragestellung in Wissenschaft und Forschung zuständig waren.
Die Frage nach der Innovationsfähigkeit der prähistorischen deutschsprachigen Forschung in den zurückliegenden Jahren bejaht Mante. Besonders in den Arbeiten jener Wissenschaftler sieht sie einen Paradigmenwechsel, die die anglo-amerikanischen Wandlungen zur kultur-anthropologischen Reflexion in der Archäologie nachvollzogen. Dabei erkennt sie in dem als "komplexes System" betrachteten archäologischen Kulturbegriff den Ausgangspunkt (191), mit dessen Hilfe ein "dynamischeres Bild des prähistorischen Menschen" entwickelt werden konnte (194).
Nach den kürzeren Abschnitten über die Europa-Bilder und über die Synthese von Wissenschaft, Politik und europäischen Werten (Kapitel 7) wendet sich Mante abschließend offenen Fragen zu, wie der nach der sprachlichen und semantischen Vergleichbarkeit von Äußerungen der führenden nationalsozialistischen und DDR-Archäologen. In dieser und der Skizzierung weiterer Probleme liegt die Stärke ihrer Forschungsarbeit. Es war ihre Absicht, nicht vorrangig die Tiefe, sondern mehr die Breite der Forschungsprobleme zu skizzieren. Mante hat ein weites wissenschaftsgeschichtliches Untersuchungsfeld angeschnitten und ein schmales Segment daraus beleuchtet. Ein Personenregister hätte die Studie abgerundet, ebenfalls ist hinsichtlich der notwendigen weiteren Forschungen der weitgehende Verzicht auf vertiefende Fußnoten zu bedauern. Dessen ungeachtet legt Mante einen wichtigen Überblick zur Spannweite der prähistorischen Ideengeschichte vor, der zum weiteren Nachdenken über das komplexe Beziehungsgeflecht von Wissenschaft und Politik anregt.
Thomas Widera