Jörg Sonntag: Klosterleben im Spiegel des Zeichenhaften. Symbolisches Denken und Handeln hochmittelalterlicher Mönche zwischen Dauer und Wandel, Regel und Gewohnheit (= Vita regularis. Ordnungen und Deutungen religiosen Lebens im Mittelalter; Bd. 35), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2008, XII + 750 S., ISBN 978-3-8258-1033-7, EUR 69,90
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Mittelalterliche Lebensweisen auf ihren Zeichencharakter hin zu befragen, den Verweischarakter von Handlungen und Gesten zu beschreiben oder symbolische Ordnungen bzw. Zuordnungen zu analysieren, ist thematisch in der jüngeren Forschung inzwischen etabliert. Es zeigt sich jedoch, dass gerade die universellen gesellschaftlichen Zeichen- und Verweissysteme an heutigen institutionellen wissenschaftspolitischen Grenzen nicht halt machen. Auch im Bereich der Mediävistik wurden von verschiedenen Disziplinen, sei es in der Philosophie, Ästhetik, Kunstgeschichte oder in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, um nur einige exponierte Bereiche zu nennen, immer wieder Ansätze erprobt, Zeichenprozesse wissenschaftlich zu erschließen. Der Materialreichtum, die Vielfalt der Gegenstände, aber auch die Vernetzungen und Abhängigkeiten innerhalb gesellschaftlicher, sie determinierender Prozesse zwingen zu dialogisch gestalteten interdisziplinären Forschungsansätzen und -projekten. Insofern ist die von Jörg Sonntag vorgelegte Dissertation, die unter der Leitung von Gert Melville im Umfeld des Dresdener Sonderforschungsbereiches 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit" entstand, mutig, aber auch beachtlich. Das für die Veröffentlichung "stark gekürzt(e)", immerhin noch 750 Seiten umfassende Werk, lässt bereits rein quantitativ das Problem, oder sollte man besser sagen, den Spagat einer solchen Unternehmung erahnen.
Der Autor untersucht auf der Basis normativer Quellen symbolisches Handeln und Denken im abendländischen Mönchtum. Im Mittelpunkt steht der Klosteralltag des benediktinisch geprägten Mönchtums, ausgehend von Cluny, über die lothringischen Einflüsse durch Gorze, den Kreis der Hirsauer Reform bis hin zu den Zisterziensern mit all seinen Facetten. Eine derart umfassende Studie ist bisher noch nicht erfolgt, insofern betritt Sonntag hier in gewisser Weise Neuland.
Im einleitenden Kapitel werden Forschungsstand und Analysemethoden referiert und kritisch reflektiert. Während die spezifischen Arbeiten zum Thema relativ stringent abgehandelt werden können, gestaltet sich die methodische Grundlegung in Bezug auf die Zeichentheorie als äußerst schwierig, denn es gibt hinsichtlich des Zeichen- bzw. Symbolbegriffs weder einen Konsens in der zeitgenössischen Semiotik, noch war das Begriffsverständnis mittelalterlicher Autoren homogen. Sonntags Rückgriff auf zeichentheoretische Ansätze von Augustinus und Hugo von St. Viktor scheint mit Blick auf das benediktinische Klosterleben und die dort angestrebte Spiritualität nachvollziehbar und auch sinnvoll, wenngleich Theorie (Denken) und Praxis (Alltagshandeln) auch im Kloster nicht zusammenfallen müssen. Die hermeneutische Erschließung normativer Quellen, auch dessen ist sich der Autor bewusst, hat ebenfalls ihre Tücken. Dabei geht es nicht nur um die Vollständigkeit der darin geschilderten Tagesabläufe, sondern auch um deren Geltung. Derartige Dokumente wurden nicht zwingend zeitnah aktualisiert, selbst bei den Zisterziensern nicht. Andererseits besaßen die Texte eine Bedeutung, die über eine Sammlung praktischer Handlungsanweisungen hinausgeht, so dass im Alltag Veränderungen vorgenommen werden konnten, die schriftlich nicht vermerkt werden mussten. Schließlich spiegeln normative Texte angestrebte Maßstäbe wieder, deren Differenz zum realen Leben nur schwer ergründbar ist.
Das zweite Kapitel analysiert das Kloster als "Imaginaire", wobei hinter dem Begriff "Imaginaire" weniger ein theoretisches Konzept zu vermuten ist, als vielmehr eine sprachliche Umschreibung der Vorstellungswelten, die die Mönche vom Klosterleben hatten. Der Schwerpunkt liegt hier vor allem auf der zeichenhaften Interpretation einer Lebensweise und deren dazugehöriger Institution. So wurde das Kloster als locus amoenus, als Werkstatt der guten Werke, als Ort der Zuflucht oder sicherer Hafen des Heils gegenüber den Anfechtungen in der Welt betrachtet, in dem die Mönche ein engelgleiches Leben führten, jedoch täglich auf der Hut sein mussten, um den Anfechtungen des Teufels zu widerstehen. Dem Mönchshabit kommt als unmittelbarer Schutzraum für den einzelnen Mönch eine besondere Bedeutung zu. Dabei ging es nicht nur um die apotropäische Dimension der Gewandung, des Schnittmusters und der Farbe, sondern auch um das identitätsstiftende Moment, vor allem im Reformmönchtum.
Das dritte Kapitel über das symbolische Handeln nach innen bildet den Hauptteil der Studie. Die zeichenhafte Interaktion der Mönche wird an verschiedenen alltagspraktischen, aber auch liturgisch bedeutsamen Handlungen dargelegt. Sonntag spannt den Bogen zwischen dem Eintritt des Laien ins Kloster, über das Noviziat, die Mönchsprofess bis hin zu dessen Tod. Bereits der Eintritt ins Kloster, das Noviziat und die feierliche Profess spiegeln in verschiedenen Etappen symbolisches Handeln, eingebunden in einen Übergangsritus. Insbesondere der letzte Akt des Aufnahmerituals mit Tonsur, Einkleidung und Gelöbnis weckt Assoziationen zum Leben Jesu mit Opfer, Tod und Wiedergeburt. Das streng hierarchisch organisierte Klosterleben benötigte neben den umfassenden spirituellen Konnotationen schon wegen des Schweigegebots visuelle und habituelle symbolische Formen der Ordnung, die eingeübt und dann befolgt wurden. An Fußwaschung, Inszenierung der Mahlgemeinschaft, Zeichensprache, Strategien der Konfliktbewältigung, Bestrafungen und Buße, aber auch an der Sorge um die Kranken bis hin zum Sterberitual kann Sonntag auf unterschiedlichen Ebenen zeichenhafte Bezüge herstellen, die entweder alltagspraktisch kommunikativ wirken, oder spirituell transzendent angelegt sind.
Das abschließende Kapitel über symbolisches Handeln nach außen beschreibt zeichenhafte Aspekte gegenüber Fremden und das Verhalten der Mönche in der Fremde. Das Mönchtum, das sich doch immer von der Welt zurückziehen wollte, konnte letztlich nicht ohne Interaktion mit der Welt bestehen. Insofern ist es nur konsequent auch diese kommunikative Ebene zeichenhaft auszugestalten. Der Empfang weltlicher Herrscher, die Aufnahme von Gästen und Pilgern, aber auch die Armenfürsorge sind immer von zeichenhaften Handlungen begleitet. Doch blieb hier die religiöse Trennung zwischen Kloster und Welt bestehen, wenngleich die räumliche sich nie konsequent umsetzen ließ, manchmal, wie bei der Fußwaschung im Kreuzgang, auch gar nicht erwünscht war.
Das Buch liefert eine beeindruckende Materialfülle und verfügt an manchen Stellen über einen beachtlichen Detailreichtum, der auch durch die graphische Aufbereitung übersichtlich bleibt. Die These, dass die klösterliche Ordnung über zeichenhafte Interaktion und symbolisches Denken maßgeblich strukturiert wurde, ist von Sonntag überzeugend dargelegt worden. Die Studie stellt eine wahre Fundgrube für all jene dar, die sich umfassender für die monastische Kultur interessieren und ist zudem gut lesbar geschrieben. Allerdings sind manche kreative Wortschöpfungen, die weder sprachlich bedingt, noch konzeptionell sinnvoll scheinen, unnötig. Gerade der Begriff des "Imaginaire", der für den Rezensenten oft imaginär blieb, hätte eine dichtere theoretische Beschreibung verdient. Die Grundlage der normativen Quellen führt natürlich zur Frage von Ideal und Wirklichkeit. Sonntag geht an einigen Stellen auch auf zeitgenössische Kritiker ein. Hier scheint eine Straffung des Textes zugunsten balancierender Aussagen wünschenswert. Auch verdiente die Gratwanderung zwischen Ritus und Ritual, auf die bereits Zimmermann (Ordensleben und Lebensstandard) aufmerksam machte, etwas mehr Beachtung. Bei allen kleineren Anmerkungen zu Details, die in einem so umfänglichen Buch noch gemacht werden könnten, ist dem Autor eine beeindruckende Studie gelungen, die zu einem Standardwerk monastischer Kultur avancieren kann.
Jens Rüffer