Jeffrey A. Auerbach / Peter H. Hoffenberg (eds.): Britain, the Empire, and the World at the Great Exhibition of 1851, Aldershot: Ashgate 2008, XVIII + 219 S., ISBN 978-0-7546-6241-9, GBP 55,00
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Jede Epoche hat ihren eigenen Blick auf die Vergangenheit und bewertet damit auch bekannte Ereignisse immer wieder neu. Diese Grundweisheit moderner Geschichtswissenschaft haben sich Jeffrey A. Auerbach und Peter H. Hoffenberg für die Londoner Weltausstellung von 1851 umzusetzen vorgenommen. Vorliegender Sammelband will ein Zentralereignis des 19. Jahrhunderts in den Fragehorizont unserer Gegenwart einordnen und aus gegenwärtiger Perspektive betrachten. Die Great Exhibition wird als Auftaktereignis des ersten Globalisierungsschubes gewertet, der wachsenden Wohlstand durch Handel und Industrie versprach, die wirtschaftliche wie auch die politische Liberalisierung anstrebte und die grundsätzliche Gleichberechtigung aller Menschen und Völker propagierte.
Globalisierung wird dabei nicht, wie von heutigen so genannten Globalisierungsgegnern, als Kampfbegriff gegen eine kommerzialisierte, den Profitinteressen des Großkapitals untergeordnete Wirtschaftsordnung verwendet, sondern als Sammelbegriff, der die Zukunftshoffnungen bündelt, die sich aus allgemeinen Menschenrechten, Freihandel, Industrie und Fortschritt für alle Menschen ergeben sollten. Auffällig ist auch die Akzentverschiebung hin zu einer explizit politischen Perspektive. Noch vor wenigen Jahren privilegierte kulturalistische und auch wirtschaftshistorische Fragestellungen treten in den Hintergrund. Statt dessen wird die Great Exhibition als Bild des politischen Tableaus der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgefasst, zentriert um Großbritannien als Kolonial- und Vormacht, die zugleich Vorbild zu sein beanspruchte in Fragen der Industrialisierung, des Freihandels und der politischen Liberalisierung.
Das Verhältnis zu den anderen Staaten sei dabei, so betonen die Herausgeber, nicht allein durch Unterordnungs- oder gar Unterdrückungsverhältnisse gekennzeichnet gewesen, die insbesondere eine bürgertumskritische Historiographie bislang betont hatte. Vielmehr seien facettenreiche bilaterale Aushandlungsprozesse zu beobachten. Um dies zu zeigen, verlässt der Sammelband die Hauptstraße britischer Außenbeziehungen und wendet sich Ländern und Regionen zu, die schon von den Zeitgenossen der Weltausstellung geringere Aufmerksamkeit erhielten. Statt der größten Kolonie Indien werden Irland, Neuseeland und Australien untersucht; der an der Weltausstellung ablesbare Blick auf die deutschen Staaten und auf Russland steht anstelle der Beschäftigung mit der kontinentaleuropäischen Vormacht Frankreich; und die bislang vor allem auf Lateinamerika, insbesondere Mexiko, angewandte Bezeichnung "informal Empire" für Großbritanniens politische und kulturelle Einflusssphäre außerhalb seines Herrschaftsbereichs wird hier für das Osmanische Reich und für China erprobt.
Paul Young gießt allerdings ein wenig Wermut in die Liberalisierungs- und Globalisierungseuphorie. Wenn sie auch die Veranstalter der Great Exhibition beflügelte, so sei das Ziel eines fairen und freien Austausches zwischen den verschiedenen Völkern und Nationen doch 1851 (noch) nicht erreicht worden. Wirkliche Globalisierung, sei für das 19. Jahrhundert eine "Mission Impossible" (3) gewesen. Das viktorianische Großbritannien sei zu stark in Überlegenheitsdünkel bis hin zu offenem Rassismus gefangen gewesen. Tatsächlich habe es wenig fairen Handel zwischen Gleichen gegeben, dazu gelegentliche Versuche, Unzivilisierte oder weniger Fortschrittliche zu belehren und zu bekehren. In der Hauptsache sei es doch um die Erschließung neuer Rohstoff- und Absatzmärkte und um die Sicherung politischer Einflusssphären gegangen und damit um die Sicherung von wirtschaftlichen und politischen Suprematieansprüchen.
Eine kleine, bislang wenig beachtete Präsentation untersucht Ewan Johnston mit Neuseelands Ausstellung auf der Great Exhibition. Er liest sie als Teil der Identitätskonstruktion der weißen Siedler, die sich auf die exotische Natur, auf Bodenschätze und indigene Kultur stützte. So sollte Neuseeland von anderen australasiatischen Kolonien unterscheidbar werden und als Handelspartner sowie als Auswanderungsziel attraktiv. Die Selbstdarstellung der neuseeländischen weißen Siedler wird insofern als Teil imperialer Propaganda gedeutet, freilich nicht als Fremdbestimmung aus dem Mutterland, sondern als in der Kolonie gelebte Überzeugung.
Die Bedeutung der Great Exhibition für die deutschen Staaten ist bereits unter vielen Aspekten untersucht worden. John R. Davis bietet dennoch Neues, indem er die Blickrichtung umkehrt. Er schaut weniger auf die Vorbildfunktion Englands für Deutschland, sondern nimmt die britische Wahrnehmung Deutschlands in den Blick. Die Staaten des Zollvereins bildeten immerhin den größten britischen Absatzmarkt Großbritanniens außerhalb des Empire. Zu denjenigen, die aufmerksam ostwärts über den Ärmelkanal schauten, gehörte Prinz Albert. Der deutschstämmige Gatte von Queen Victoria hoffte, durch die Great Exhibition die liberalen Kräfte zu stärken, um das nachrevolutionäre, im Griff der Reaktion befindliche Deutschland auf den liberalen Pfad zurückzuführen. Dennoch blieb die deutsche Präsentation im Schatten derjenigen Frankreichs. Mangelndes Interesse ging dabei mit Unkenntnis der deutschen politischen Verhältnisse und Empfindlichkeiten einher. So wurden die deutschen Mittelstaaten im offiziellen Katalog zwar zunächst einzeln genannt, im Textteil dann allerdings unter der Überschrift Preußen behandelt. Davis zeigt anhand der zeitgenössischen Publizistik, in welchem Maße die Staaten des Deutschen Bundes in britischen Augen als rückständig galten. Einige künstlerische Objekte fanden zwar Beachtung, doch Industrieprodukte galten entweder als überholt und altmodisch - was als Ergebnis protektionistischer Wirtschaftspolitik gewertet wurde - oder als Symbole undemokratischer Königsherrschaft, wenn es sich um nur für Monarchen bestimmte Luxusgüter handelte. Die Staaten des Zollvereins, die in den folgenden Jahren den take-off der Industrialisierung erleben sollten, wurden, so zeigt Davis auf, 1851 noch nicht als wirtschaftlich und wissenschaftlich dynamische Region wahrgenommen.
Der Sammelband setzt auf diese Weise interessante Akzente und zeigt, dass es auch zu intensiv erforschten Gegenständen immer wieder Neues zu sagen gibt. Er überzeugt durch seine stringente Komposition und die auch in den einzelnen Beiträgen befolgte Ausrichtung an der übergreifenden Fragestellung. Er bringt damit eine Reihe neuer Aspekte und Facetten in unsere Kenntnis von Großbritanniens Blick auf die Welt und seine Selbstverortung in der Welt zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Der anglozentrische Standpunkt setzt sich bis in die zentrale Auswahlbibliographie fort, die sich konsequent auf Werke in englischer Sprache beschränkt. Der Band führt damit über sein eigentliches Vorhaben hinaus vor, dass die Fragestellung des Historikers nicht nur von seinem zeitlichen, sondern ebenso von seinem räumlichen Standpunkt bestimmt wird.
Barbara Wolbring