Jonathan M. Bloom / Sheila S. Blair (eds.): The Grove Encyclopedia of Islamic Art and Architecture, Oxford: Oxford University Press 2009, CII + 1586 S., ISBN 978-0-19-530991-1, USD 395,00
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Die erste Fachenzyklopädie auf dem Gebiet der islamischen Kunstgeschichte liegt nun vor. Bislang konnten sich Kunsthistoriker auf das "Dictionary of Art", Islamwissenschaftler auf die "Encyclopaedia of Islam" stützen, die zum Teil auch die islamische Kunstgeschichte abdecken. Gegenüber beiden kann die "Grove Encyclopaedia of Islamic Art and Architecture", neben dem Vorteil des handlichen Umfangs, den speziellen Zuschnitt auf ihr Fachgebiet für sich beanspruchen. Für Islamwissenschaftler bietet sie die Möglichkeit, sich in Kurzform mit Informationen zu künstlerischen Fragestellungen zu versorgen, die in der "Encyclopaedia of Islam" hinter historischen, geographischen und religionsbezogenen Inhalten zurücktraten. Gegenüber dem "Dictionary of Art" setzt sich die "Grove Encyclopaedia" weniger deutlich ab, ist sie doch zu einem guten Teil eben aus ihr extrahiert worden. Durch die Neukonzeption im Ganzen und Überarbeitung im Einzelnen erscheint sie jedoch als eigenständiges Werk.
Die Herausgeber, die sich bereits mit dem Islam-bezogenen Abschnitt des "Dictionary of Art" profiliert hatten, können als derzeit prominentestes Autorenpaar der islamischen Kunstgeschichte gelten. Mit ihrem wissenschaftlichen Werk haben sie nicht nur in ihren jeweiligen Kerngebieten der fatimidischen Kunst (J. Bloom) und der Kunst Irans unter den Ilkhanen (Sh. Blair) Bedeutendes geleistet. Sie sind mit zahlreichen Beiträgen zu anderen Themen der islamischen Kunst hervorgetreten, vor allem aber sind sie als Autoren eines der beiden 'textbooks' zur islamischen Kunstgeschichte in der Reihe der "Pelican History of Art" jedem Studierenden des Faches vertraut. Man kann sich für ein solches Nachschlagewerk keine geeigneteren Herausgeber wünschen.
Eine erste Stichprobe gibt einen Eindruck von der Qualität der Recherche und der Breite des Materials, das in einzelnen Artikeln verarbeitet wurde: Artikel zu geographischen Stichworten wie "Damascus" oder "Buchara" informieren jeweils in der nötigen Knappheit über die Stadtentwicklung und gehen dann auf eine enge Auswahl wichtigster Bauten ein. Viele Artikel zu Künstlern und Architekten, wie z.B. der iranischen Malerfamilie Ghaffari oder dem Baumeister Qavam ad-Din Shirazi, bewältigen glänzend das Format des Lexikonartikels. Etwas ausführlichere Einträge umreißen sinnvoll die Entwicklung einer Gattung oder Form, wie z.B. "Stucco" oder "Muqarnas". Unter dem Stichwort "Tent" wird ein beeindruckendes Kompendium der verschiedenen Zeltformen komprimiert dargeboten. Ungewöhnlich anregend wirkt der Artikel "Sinan", in dem auf die Darstellung seines Œuvres ein Abschnitt "Working method and style" folgt, der weitergehende Überlegungen enthält. Dass gelegentlich auch ein veralteter Wissensstand wiedergegeben wird, lässt sich bei einem Werk dieser Art kaum vermeiden. Selten erscheinen regelrechte Missgriffe wie in dem Eintrag "Dome", dessen karge 23 Zeilen in der Aussage gipfeln, islamische Architekten hätten die Kuppel in Iran und Zentralasien eingeführt.
Die Auswahl in den Literaturangaben führt zwangsläufig zu Lücken. Zwar haben die Herausgeber versucht, auch fremdsprachige Werke zu berücksichtigen und die Angaben gegenüber dem "Dictionary of Art" systematisch zu aktualisieren. Dennoch ist Kritik angebracht. Nicht-englische Titel fehlen in vielen Fällen leider auch dann, wenn sie Standardwerke darstellen und leicht zugänglich sind. Als Beispiel sei der Abschnitt zur Architektur in Iran, 1500-1900, genannt: Markus Ritters einschlägiges Buch zur qajarischen Architektur [1] bleibt ungenannt; stattdessen werden zweitklassige Aufsätze angeführt, die z.T. exakt gleichzeitig und im selben Verlag publiziert wurden wie das genannte Werk.
Anders als der Text der einzelnen Artikel wirft die Gesamtkonzeption des Werks Fragen auf: Welche Prinzipien haben Auswahl und Umfang der Lemmata bestimmt? Auf den ersten Blick ist hier eine große Bandbreite, ja ein Reichtum der Kategorien zu sehen, der eine Fülle möglicher Nutzungsansätze verspricht. Beispielsweise erhalten nicht nur Künstler, sondern auch Sammler und Autoren eigene Einträge. Jedoch erscheint die Auswahl merkwürdig, vielleicht von Zufällen bestimmt: Warum sind die Sammler Barlow und Kevorkian berücksichtigt, Gulbenkian aber nicht? Warum sucht man vergeblich einen Eintrag zu Yahya b. Mahmud al-Wasiti, der immerhin die bekannteste arabische Bilderhandschrift signierte? Über den Index wird man unter "al-Wasiti" auf die Zeilen verwiesen, die ihm unter "Subject matter. IX. magic" gewidmet sind; der einschlägige Abschnitt in dem langen Artikel "Illustration" ist aber leider unter dem Vornamen "Yahya" indiziert.
Es mag billig sein, die Auswahl geographisch definierter Einträge zu kritisieren - jedoch machen sich Inkonsistenz und fehlende Logik hier besonders stark bemerkbar. Beispielsweise wäre ein Artikel zu Khargird in Ostiran mit seiner großartigen Madrasa mehr als angemessen gewesen, zumal wenn schon Orte wie Kuva in Usbekistan berücksichtigt sind. Zugunsten einer etwas breiteren Auswahl hätte man gerne auf überflüssige Querverweise von Stichworten verzichtet, unter denen ohnehin niemand sucht, wie etwa "Dawlat Qatar" mit Verweis auf "Qatar", "Bteddin" zu "Bayt al-Din" oder "Crac de Montréal" zu "Krak de Monreal" (wobei letzteres wiederum die Frage aufwirft, warum hier nicht unter dem in der islamischen Welt gängigen Namen al-Shaubak rubriziert wurde. Zu dem vergleichbaren Ort al-Karak existiert wiederum kein Eintrag).
Im Rahmen eines Nachschlagewerks erscheinen auch die umfangreichen Artikel schwierig, die als Abhandlungen über ganze Sachgebiete gewissermaßen eigene Bücher im Buch darstellen: Das gilt vor allem für "Architecture" (144 Seiten) und "Illustration" (77 Seiten), in denen jeweils die Geschichte einer ganzen Gattung über viele Jahrhunderte dargestellt wird. Allerdings wird das Auffinden einzelner Abschnitte durch die Untergliederung erleichtert, sodass eine gewisse Benutzbarkeit gewährleistet ist. Schmerzlich vermisst man dagegen Einträge zu manchen Inhalten, die man als bedeutend für die islamische Kunstgeschichte einschätzen würde: "Moon" und "Crescent" ergeben keine Treffer, "Paradise" wird unter "Subject matter, II. religious themes" knapp abgehandelt. Die Kaʿba ist nur eine Kolumne im Eintrag zu Mekka wert.
Die Textredaktion erscheint insgesamt ordentlich. Verschreibungen konzentrieren sich auf fremdsprachige Namen und Begriffe. Die Frage der Transliteration wurde befriedigend gelöst, indem die Lemmata in einer popularisierten Schreibweise erscheinen, ergänzt durch eine transliterierte Version in Klammern. Dabei wird aber ein bestimmtes Niveau der Fehlerhaftigkeit nicht überwunden; so geraten z.B. Apostroph, Hamza und ʿAin ständig durcheinander. Problematisch erscheint, dass die einzelnen Artikel nicht mit den Namen der Autoren versehen sind. Begründet wird diese Praxis mit der Umarbeitung von Artikeln aus dem "Dictionary of Art" durch die Herausgeber. Nach den Copyright-Bestimmungen mag dieses Vorgehen gerechtfertigt sein; der intellektuellen Transparenz ist damit nicht gedient.
Leider lässt die Ausstattung der drei Bände stark zu wünschen übrig. Nicht nur die Typographie, sondern auch der gräuliche Druck und die sechs bis zwölf unbedruckten Seiten am Ende jedes Bandes verraten, wie wenig Sorgfalt auf die Produktion verwandt wurde.
Unbefriedigend ist die Qualität der Landkarten und Pläne, von denen ein großer Teil ohne redaktionelle Überarbeitung aus anderen Kontexten übernommen wurde. Ein Beispiel unter vielen ist der Stadtplan von Istanbul (II 316): Eine Zeitstellung wird nicht angegeben; der Kartentitel "Map of Istanbul" ist irreführend, denn dargestellt sind die byzantinischen Hauptstraßen und Plätze, und von den acht bezifferten Bauten sind nur fünf in der Legende bezeichnet. Bei den Abbildungen wurde zwar nicht an der Anzahl, aber an der Qualität gespart. Die Mängel sind zum größten Teil auf die schlechte Reproduktion zurückzuführen - viele Bilder sind zu klein, falsch beschnitten und vor allem grau und kontrastarm -, in manchen Fällen aber auch auf die Vorlagen. Ein besonders betrübliches, aber leider nicht vereinzeltes Beispiel ist die ganzseitige Abb. 27 (I 123).
Offenbar hat bei der Herstellung der Enzyklopädie eine Sparsamkeit gewaltet, deren Resultat vor allem angesichts des stolzen Verkaufspreises zum Teil enttäuscht. So ist mit der "Grove Encyclopaedia of Islamic Art and Architecture" nicht der große Wurf geglückt, den man den Herausgebern zugetraut hätte. Das ist umso bedauerlicher, als sie vermutlich auf längere Sicht das einzige Nachschlagewerk bleiben wird, das sich diesem Fachgebiet widmet. Immerhin: Wer sich mit islamischer Kunstgeschichte intensiv beschäftigt, wird sie zur Hand nehmen. Wer sich rasch über einzelne Epochen informieren möchte, ist mit den existierenden Überblickswerken besser bedient.
Anmerkung:
[1] Markus Ritter: Moscheen und Madrasabauten in Iran 1785-1848. Architektur zwischen Rückgriff und Neuerung, Leiden 2006.
Lorenz Korn