Andreas Pečar / Kai Trampedach (Hgg.): Die Bibel als politisches Argument. Voraussetzungen und Folgen biblizistischer Herrschaftslegitimation in der Vormoderne (= Historische Zeitschrift. Beihefte. Neue Folge; Bd. 43), München: Oldenbourg 2007, VII + 394 S., ISBN 978-3-486-64443-2, EUR 79,80
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Zu den gängigen Legitimationsstrategien monarchischer Herrschaft in der Vormoderne gehört der Rückgriff auf religiöse Argumente und insbesondere auf die Bibel als verbindlichen Text. Dabei ist dieser Rückgriff zwar universell, historisch variabel ist hingegen die Art und Weise, wie biblische Argumente in politische Diskurse eingebunden werden, auf welche Bibelstellen Bezug genommen wird und welche Gruppen sich ihrer bedienen.
Der vorliegende Sammelband, der aus einer 2005 abgehaltenen Tagung hervorging, thematisiert die Verwendung biblischer Argumente im Prozess der Legitimation. Dabei greift er - wie Trampedach und Pečar in ihrer Einleitung darlegen (1-18) - auf Überlegungen zurück, die Pocock und Skinner in verschiedenen Arbeiten vorgestellt, und in denen sie "politische Sprache" als Disposition von Sprechakten, als Grenze dessen, was "sagbar" ist, bestimmt haben.
Vier Leitfragen sollen die einzelnen Beiträge, die eine Zeitspanne von den Propheten des Alten Testamentes bis in die Frühe Neuzeit abdecken, miteinander verbinden: die Voraussetzungen biblizistischer Argumentation, das Verhältnis biblischer Argumente zu denen anderer politischer Sprachen, die Pluralität der im Rückgriff auf die Bibel erzeugten politischen Sprachen und schließlich Sprecher und Adressaten einer biblisch begründeten politischen Sprache (8).
Am Anfang steht der Beitrag von Markus Saur "Politische Argumentation in der alttestamentlichen Prophetie" (19-35), der zeigt, wie bei der Thematisierung der Rechtmäßigkeit der Königsherrschaft auf bekannte Traditionszusammenhänge zurückgegriffen, das direkte Bibelzitat zur Legitimation politischer Positionen genutzt und im Verlauf zunehmender Schriftlichkeit auch mit den Textträgern argumentiert wurde. Kai Trampedach weist in "Die Hasmonäer und das Problem der Theokratie" (37-65) nach, wie das Fehlen einer verbindlichen Interpretation biblischer Zeugnisse dazu führte, dass die theokratische Herrschaft des Herrschergeschlechts unter Verweis auf die Bibel legitimiert oder bestritten werden konnte.
Die folgenden vier Beiträge behandeln die hohe Kaiserzeit und Spätantike: Steffen Diefenbach betont in seiner Untersuchung zur frühchristlichen Apologetik (67-101) die Notwendigkeit eines geeigneten Kontextes, damit biblizistische Argumente ihre Wirkung entfalten konnten. Bernd Isele widmet sich der Rezeption alttestamentlicher Figuren im 4. Jahrhundert n.Chr., wobei er die Ambivalenz solcher Aktualisierungen herausstellt (103-118): Folgte für Konstantin aus der Parallelisierung mit Moses eine Stellung gleichzeitig als Herrscher und Kirchenführer, so bedeutete für seinen Nachfolger Konstantius II. der parallele Rückgriff durch den Alexandriner Bischof Athanasius, dass jener als neuer Pharao, und damit zugleich als Tyrann und Irrlehrer, diffamiert werden konnte. Hartmut Leppin (119-133) und Mischa Meier (135-158) thematisieren in der Folge den Rückgriff auf die Figur des David als vorbildlichen reuigen Sünder durch Ambrosius und Theodosius II.
Der umfangreichere Folgeteil widmet sich der Vormoderne: Zunächst fragt Walter Pohl nach der Bedeutung des alttestamentlichen Verbots exogamer Heiraten für die Begründung der Heiratspolitik der Karolinger (159-188). Karl Ubl und Thomas Prügl beschäftigen sich mit der Rezeption von Mt 16,15-19: Während Ubl hierbei vor allem den Widerspruch zwischen bußtheologischer und politischer Deutung bei der Begründung des päpstlichen Primatanspruches und dessen Folgen für die Begründung päpstlicher Macht darstellt (189-217), widmet sich Prügl (219-241) unterschiedlichen Argumentationsmodellen von Konziliaristen und Vertretern der päpstlichen Seite im Kontext des Basler Konzils.
Marcus Sandl bemüht sich im Folgenden nachzuweisen, dass in der Reformation die Bibel zwar als Grundlage politischer Theorie aufgegeben wurde, damit jedoch keine Beschränkung auf einen geistlichen Sektor, sondern ganz im Gegenteil die Ausweitung des Geltungsanspruches auf die Welt als Ganzes verbunden war (243-271). Nicole Reinhardt untersucht die Verwendung biblischer Beispiele in Juan de Marianas "De Rege" (273-294): Sie kann dabei zeigen, wie Mariana historische und biblische Beispiele kombiniert und letzteren eine besondere Aussagekraft für die behandelte Frage nach der Legitimität des Tyrannenmordes abspricht. Die Stellung des Herrschers und das Verhältnis des Königs zur Geistlichkeit sind die Themen, die Andreas Pečar (295-314) und Ronald Asch (315-331) am Beispiel Jakobs I./VI. erörtern. Pečar geht dabei vor allem auf die Reaktion Jakobs gegenüber presbyterianischer Monarchiekritik ein, in welcher dieser aus 1. Sam. 8,9-20, einem Text, der von seinen Gegnern zur Beschreibung der Herrschaftspraxis eines Tyrannen genutzt wurde, die Herrschaftsrechte des Königs über das Volk ableitete. Eine vergleichbare Bedeutung hatte in England die Offenbarung des Johannes. Auch hier zeigt sich ein Kampf um die Deutungshoheit über den Text, den Jakob als Stütze einer nur Gott verantwortlichen Königsherrschaft verstand, während er für militante Protestanten zur Basis von Kritik gegen die Obrigkeit werden konnte.
Andreas Pietsch widmet sich anhand eines kleinen Traktates dem Problem, wie biblische Argumentation bei der Legitimation von Herrschaft stets die Gefahr birgt, ins Gegenteil verkehrt zu werden (333-348). Die Montage biblischer Argumente in dem Paul Boyer zugeschriebenen Pamphlet "L'image du souuerain ou 'illustre portaict des diuinitez mortelles" führt in ihrer Gesamtheit zu einem Zerrbild, in dem Monarch und Tyrann nicht mehr voneinander geschieden werden können. Den Widerspruch zwischen einer durch Erwartungen der Umwelt bedingten Sprache und der dem Text zugrunde liegenden Argumentationsstruktur macht Lothar Schilling an Bossuets "Politique tirée des propes paroles de l'Ecriture sainte" deutlich (349-370). Schilling zeigt, wie die Form mit ihren unzähligen Bibelbelegen auf der einen und die Argumentationsstruktur auf der anderen Seite, die auf traditionellen gallikanisch-legalistischen Argumenten beruht, kontrastieren. Am Ende des Durchgangs durch die Geschichte der Bibel als politisches Argument steht Hans-Dieter Metzgers Untersuchung zu Bibelkritik bei Thomas Hobbes (371-383): Metzger zeigt dabei, wie Hobbes die Bibel den Methoden der Textkritik unterwarf und damit - wenn auch nicht gewollt - die Aktualität des Heilsgeschehens in Frage stellte. Der Umgang von Hobbes mit der heiligen Schrift markiert dabei nach Meinung der Herausgeber eine Zäsur, die mit dem Beginn der Bibelkritik zugleich das Ende der Bibel als politisches Argument bedeutete.
Der Sammelband bietet kein Gesamtbild des Phänomens biblizistischer Herrschaftslegitimation - das ist bei der langen Geschichte biblisch begründeter Königsherrschaft auch nicht zu erwarten. Es gelingt aber, verschiedene Formen des Umgangs mit der Bibel im politischen Diskurs nachzuzeichnen, über die gelungene Einleitung - auch wenn die Nähe zu den theoretischen Vorüberlegungen in den verschiedenen Beiträgen unterschiedlich ausgeprägt ist - die Beiträge aufeinander zu beziehen, sowie einen lesenswerten Einblick in die Geschichte des Phänomens zu geben.
Jan Timmer