Elisabeth Herrmann-Otto: Sklaverei und Freilassung in der griechisch-römischen Welt (= Studienbücher Antike; Bd. 15), Hildesheim: Olms 2009, 263 S., ISBN 978-3-487-14251-7, EUR 19,80
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Seitdem Joseph Vogt vor sechs Jahrzehnten das von ihm initiierte Mainzer Akademieprojekt "Forschungen zur antiken Sklaverei" vorgestellt hat, sind in der nach dieser Thematik benannten Reihe 38 Monographien erschienen. Heinz Heinen, der derzeitige Leiter dieses Projektes, wies kürzlich in dem von ihm herausgegebenen Sammelband "Antike Sklaverei: Rückblick und Ausblick" (Stuttgart 2010) darauf hin, dass "die Erforschung der Sklaverei ein Stück der Weltgeschichte, ein globales, Epochen und Kontinente übergreifendes Thema" ist, aber "noch keine adäquate Gesamtdarstellung gefunden" hat. In dem vorliegenden "Studienbuch" bietet Elisabeth Herrmann-Otto nunmehr einen fundierten Überblick über die Sklaverei in Griechenland und Rom. Ihr Buch entspricht den Vorgaben Joseph Vogts (Sklaverei und Humanität, Ergänzungsheft zur 2. Auflage, Wiesbaden 1983, 2), die Sklaverei "ohne jede Voreingenommenheit methodisch zu interpretieren".
In der Einleitung analysiert die Verfasserin ausführlich die Beurteilung der Sklaverei in antiken Theorien (16-36). Es wird deutlich, dass die Bewertung dieser Einrichtung in der Literatur sehr unterschiedlich ist. Die Verfasserin verweist beispielsweise auf die These des Alkidamas von Eleia, der nach der Befreiung der messenischen Heloten von der Herrschaft der Spartaner durch Intervention der Thebaner (370/69 v.Chr.) verkündete (Scholion zu Aristoteles, Rhetorica 1373b1), dass niemand als Sklave geschaffen worden ist. Demgegenüber rechtfertigte Platon (Nomoi 806 d-e) die Helotie, und Aristoteles (Politika 1254a17-24; 1255a1-3) vertrat die Auffassung, dass nicht jede Art von Sklaverei dem Naturrecht widerspricht. Gleichwohl hält Aristoteles (Ethica Nikomachea 1161b5-8) Freundschaften zwischen Freien und Sklaven für möglich, weil Sklaven selbstverständlich auch Menschen sind. Es ist der Verfasserin hervorragend gelungen, die angedeuteten Widersprüche zu analysieren und zu erklären, warum es in der griechischen und römischen Welt faktisch keine Bestrebungen gab, die eine Aufhebung der Sklaverei zu erreichen vermochten. Aufschlussreich sind auch ihre rezeptionsgeschichtlichen Ausführungen zur Bewertung der antiken Sklaverei im politischen Diskurs der Neuzeit.
Im Anschluss an ihre wissenschaftstheoretischen Analysen bietet sie einen umfangreichen Überblick über die Sklavenhaltung in der mykenischen, der griechischen und der hellenistischen Welt. Erfreulich ist hier vor allem ihre Widerlegung einer immer noch von einigen Forschern vertretenen These, dass die athenische Demokratie nur auf der Basis der Sklavenhaltung politisch funktionsfähig gewesen sei. Nicht jeder athenische Bürger hatte Sklaven zur Verfügung, die während seiner Teilnahme an einer Tagung der Volksversammlung notwendige Arbeiten in der Landwirtschaft oder in Gewerbebetrieben fortführen konnten. Im Übrigen wurde durch Vorbereitungen im Rat der 500 und durch Beachtung der Tagesordnung erreicht, dass in aller Regel die Agenda der Versammlung zügig erledigt wurden.
Ein spezielles Problem ist der Status abhängiger Landbevölkerungen, zu denen beispielsweise die Heloten in Sparta, die Penesten in Thessalien und die Klaroten und Mnoiten in Kreta zählten, die der Lexikograph und Rhetor Pollux (3,82) im 2. Jahrhundert n.Chr. als Personen "zwischen Freien und Sklaven" bezeichnete. Frau Herrmann-Otto weist mit Recht darauf hin, dass es diesen Status in Griechenland eigentlich nicht gab. Die Heloten, Penesten und Klaroten galten vielmehr als douloi.
Eine Art "Halbfreiheit" gab es auch im römischen Recht nicht. Der berühmte Jurist Ulpian (Digesta 1,14) nannte zwar in der Severerzeit neben den Freien und Sklaven als dritte Großgruppe die Freigelassenen, definierte diese aber als Personen, "die keine Sklaven mehr sind".
In den Kapiteln über die Sklaverei in Rom geht die Verfasserin davon aus, dass im frühen 5. Jahrhundert v.Chr. vor allem Kriegsgefangene und von auswärts gekaufte Personen den Status von Sklaven hatten. Sie beruft sich auf eine Regelung im Zwölftafelrecht, wonach ertappte unfreie Diebe vom tarpeischen Felsen gestürzt wurden. Allerdings räumt sie ein, dass die Quellenlage keine Rückschlüsse auf den Umfang der Sklavenhaltung im frühen Rom erlaubt.
Bemerkenswert ist ihr Hinweis (131) auf einen in Forschungen zu den Ursachen der Sklavenaufstände in Sizilien wenig erörterten Aspekt. Es handelt sich um die Nachlässigkeit römischer Magistrate gegenüber Magnaten griechischer Herkunft. Vor allem Hirtensklaven konnten sich der Aufsicht entziehen und regelrechte Räuberbanden bilden (133).
Erfreulich sind auch die Hinweise der Verfasserin auf Forschungsdesiderate. Dies betrifft etwa den Status spätrömischer coloni. Insgesamt gesehen hat sie eine solide Ausgangsposition für eine differenzierte Beurteilung der antiken Sklaverei gewonnen. Einen Schwerpunkt bildet hierbei das Verhältnis zwischen Freien und Sklaven. Die Verfasserin zeigt, dass auch in Rom die Lebensbedingungen der Sklaven recht unterschiedlich waren. Dies ist nicht nur auf die Art ihrer Beschäftigung zurückzuführen, sondern war auch weitgehend durch den Charakter ihrer jeweiligen Herren bedingt.
Im letzten Teil des Buches werden "Wege in die Freiheit" im Judentum und Christentum erörtert. Zudem erläutert die Verfasserin, dass in der Spätantike sich partiell ein heute schwer verständlicher Wandel vollzog, da Bettler, Witwen, Waisen, Kranke und alte Menschen überwiegend in stärkerem Maße ausgegrenzt wurden als Sklaven, obwohl letztere unfrei waren (217). Somit vermittelt die Verfasserin ein ambivalentes Bild der Sklavenhaltung und der Bewertung der Sklaven in Rom und im Imperium Romanum. Als exemplarisch hierfür betrachtet sie die Stellungnahmen der römischen Juristen, die zwar die Sklaverei als eine dem Naturrecht widersprechende Institution betrachteten, aber nicht als "widerrechtlich" verurteilten, weil sie als Einrichtung des "Völkergemeinrechts" gegolten hat. Da diese Rechtsinterpretation bis in die Spätantike dominierte, bestanden auch für die Kirchenväter Barrieren, die erklären, dass von ihnen keine generelle Aufhebung der Sklaverei gefordert wurde.
Das Buch von Frau Herrmann-Otto ist nicht nur für einen breiteren Leserkreis als Einführung in eine komplexe Thematik und für Studierende einer Reihe von Fächern als verlässliches Studienbuch zu empfehlen. Es bietet auch für Spezialisten wertvolle Informationen und Anregungen.
Karl-Wilhelm Welwei