Altay Coskun: Großzügige Praxis der Bürgerrechtsvergabe in Rom? Zwischen Mythos und Wirklichkeit (= Colloquia Academica. Reihe: Geisteswissenschaften; Nr. 2009 / 1), Mainz: Akademie der Wissenschaften und der Literatur 2009, 41 S., ISBN 978-3-515-09350-7, EUR 9,00
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Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um einen für die Druckfassung erweiterten (7 A. 1) Vortrag von Altay Coşkun (University of Waterloo/Ontario) im Rahmen der Veranstaltungsreihe Colloquia Academica, gehalten am 18.04.2008. Neben zwei Karten und einer Abbildung ist dem Vortrag ein abstract und eine umfangreiche Auswahlbibliographie (33-40) beigefügt.
Der mündlichen Präsentation Rechnung tragend ist die Studie in sieben Segmente unterteilt. Im ersten Abschnitt (7-9) führt Coşkun über die tagespolitisch höchst aktuelle Debatte um die Inklusion und Exklusion von Individuen oder ganzen Bevölkerungsgruppen im Rahmen eines Staatsverbandes oder eines föderativen Systems zu seiner Fragestellung, wie es um die von der althistorischen Forschung bislang postulierte Inklusivität des populus Romanus bestellt ist. Er eröffnet seine Argumentation mit einem kurzen Abriss (9-13) über die Entwicklung des römischen Staatsgebietes und der unterschiedlichen Bürgerrechtsformen vom 4. Jahrhundert v. Chr. bis zum Bundesgenossenkrieg (91-87 v. Chr.), wobei er teilweise bis ins 2. Jahrhundert n. Chr. ausgreift. Coşkun verweist in diesem Zusammenhang auf die Möglichkeit der Fremdenausweisung (11) und den punktuell auftretenden Widerstand einerseits der Senatsmehrheit gegen die Vergabe des Bürgerrechts als politisches Instrument zur Schaffung von Klientelverbänden und andererseits der plebs urbana, die in einer großzügigen Erweiterung des Bürgerverbandes eine Gefährdung ihres bislang exklusiven Zugriffs auf Vorrechte (z. B. den Erwerb von subventioniertem Getreide) sah (13). Im dritten Abschnitt (13-21) stellt Coşkun prägnante literarische, archäologische und epigraphische Quellen aus dem Zeitraum zwischen dem Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. und dem 2. Jahrhundert n. Chr. vor, die bislang vor allem von den Forschern herangezogen wurden, die die Inklusivität des römischen Bürgerrechtssystems als Grundlage der Herrschaftsstabilisierung betonten. Coşkun leugnet die "hohe Inklusionsbereitschaft der Römer" (21) nicht und nennt die "sich indes kontinuierlich an die Umwelt anpassende Aufnahmefähigkeit der Römer ein[en] zentrale[n] Schlüssel zum Verständnis der außergewöhnlichen Stabilität ihres Reiches" (21). Er wendet den Blick jedoch auf die "Grenzen der Offenheit" (21), die dann erreicht sind, wenn sich die Fremden als nicht "loyal und nützlich" (21) erweisen.
Der fünfte Abschnitt (22-27) ist dem Forschungsüberblick zum Themenfeld Bürgerrecht und Behandlung der Fremden in der gängigen Rechtspraxis gewidmet. Hierbei ordnet er zu Recht das zeitlich und geographisch schwankende Interesse der Wissenschaftler den forschungsgeschichtlichen Traditionen und den periodisch auftretenden Trends zu. Dies schlägt sich dann zum Teil in völlig konträren Forschungsmeinungen nieder, wie es z. B. in den aktuellen Debatten zur antiken Demographie zu beobachten ist (25). Coşkun selbst widmet sich exemplarisch im sechsten Abschnitt (28-31) der Frage nach der Substanz des ius migrandi der Latiner [1], wobei er die Auffassung einer "latinischen Stammesgemeinschaft" und einer "Kontinuität einer [...] Rechtsgemeinschaft mit den Latinern" (28) stark in Zweifel zieht. Die Nachrichten über die "Massenausweisung" (30) von Latinern durch den Senat in den Jahren 187 (Liv. 39,3,4-6) und 177 (Liv. 41,8,9-12) deutet er dementsprechend als die rechtmäßige Ausweisung von Fremden, die sich keinen rechtlichen Anspruch auf den Verbleib in Rom erworben haben, womit sich die "unbeschränkte Niederlassungsfreiheit" (31) des ius migrandi als eine "moderne Fiktion" (31) entpuppt, deren forschungsgeschichtliches Entstehen wohl auf die von Coşkun angesprochenen nationalstaatlichen Einigungstendenzen des 19. Jahrhunderts (26) zurückgeführt werden kann. Der letzte Abschnitt (32-33) stellt schließlich eine Zusammenfassung und eine Präsentation der Ergebnisse dar: Er konstatiert eine für antike Verhältnisse "überdurchschnittliche Bereitschaft zur Bürgerrechtsvergabe an Fremde" (32) in Rom, gibt jedoch zu bedenken, dass die Vergabe des Bürgerrechts ein Herrschaftsmittel war, welches von den Römern kontrolliert und mit Bedacht eingesetzt wurde. Im Vordergrund dieser machtpolitischen Erwägungen standen klar das "Bestreben nach Herrschaftsstabilisierung und eigener Wohlstandsmehrung" (32).
Insgesamt gesehen strahlt diese schmale Publikation viele Impulse aus, die die Diskussionen um die Bürgerrechtsvergabe an Fremde in Rom und die Bedeutung des ius Latii bereichern, aber auch den aktuellen Debatten um Inklusion und Exklusion einen wissenschaftlichen Denkanstoß versetzen können.
Anmerkung:
[1] Dieser Abschnitt gibt in aller Kürze die Fragestellung und die Ergebnisse seiner Monographie "Bürgerrechtsentzug oder Fremdenausweisung? Studien zu den Rechten von Latinern und weiteren Fremden sowie zum Bürgerrechtswechsel in der Römischen Republik (5. bis frühes 1. Jh. v. Chr.)", Stuttgart 2009, wieder.
Iris Samotta