Claire Laux / François-Joseph Ruggiu / Pierre Singaravélou (eds.): Au sommet de l'empire / At the Top of the Empire. Les élites européennes dans les colonies (XVIe-XXe siècle) / European Elites in the Colonies (16th-20th Century) (= Enjeux Internationaux / International Issues; 5), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2009, 326 S., ISBN 978-90-5201-536-1, EUR 45,90
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Thomas Morlang: Rebellion in der Südsee. Der Aufstand auf Ponape gegen die deutschen Kolonialherren 1910/1911, Berlin: Ch. Links Verlag 2010
Hermann Mückler: Kolonialismus in Ozeanien, Wien: facultas 2012
Ulrike Lindner: Koloniale Begegnungen. Deutschland und Großbritannien als Imperialmächte in Afrika 1880-1914, Frankfurt/M.: Campus 2011
Nitin Sinha: Communication and Colonialism in Eastern India. Bihar, 1760s-1880s, London: Anthem Press 2012
Ulrike Schaper: Koloniale Verhandlungen. Gerichtsbarkeit, Verwaltung und Herrschaft in Kamerun 1884-1916, Frankfurt/M.: Campus 2012
Die Etablierung europäischer Handels- und Siedlungskolonien in außereuropäischen Räumen war stets mit der Migration von Europäern verbunden. Selbst in Territorien, welche einer minimalen Präsenz bedurften (wie im Falle einiger Faktoreien vor dem 19. Jahrhundert, oder in jenem von reinen "Ausbeutungskolonien") finden wir zumindest im Hinblick auf den Verwaltungsapparat stets eine temporäre "Arbeitsmigration" vor. Obgleich Versuche existieren, das imperial mind von solchen Verwaltungsfunktionären (und anderen europäischen Siedlern) herauszuarbeiten (klassisch ist hier etwa für den französischen Fall im subsaharischen Afrika die Monographie "Rulers of Empire" von William B. Cohen), ist ein systematischer komparativer Zugang eine nützliche Bereicherung der Debatte. Die Herausgeber des vorliegenden Bandes haben hier nun eine lange Zeitperspektive gewählt - zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert -, die auf der einen Seite Gewinn bringend Vergleiche stimuliert, auf der anderen Seite aber auch Fälle aneinanderreiht, deren Vergleichbarkeit in Frage gestellt werden darf.
Interessant ist hierbei gerade für den Zugang zu frühneuzeitlichen Imperien die Frage, inwieweit es sich bei den Verwaltungseliten um "imperiale Eliten" handelte, die von lokalen Bindungen losgelöst in verschiedenen geographischen Regionen dieser Imperien zu agieren verstanden. Dies wird von Mafalda Soares da Cunha für den portugiesischen Fall entschieden bejaht, denn das kreolische, das heißt in dem Fall vor Ort geborene, europäische Element geht in der Verwaltung der Kolonien erheblich zurück - wobei die Autorin auf verschiedene geographische Subsysteme innerhalb des ersten und zweiten portugiesischen Imperiums hinweist. Lyndal Roper zeigt unter Zusammenfassung ihrer zahlreichen früheren Studien in elaborierter Form die Existenz einer solchen Imperialelite mit einer entsprechenden auf das Kolonialreich bezogenen Haltung für die nordamerikanische Ostküste und die britische Präsenz in den Amerikas. Donald Fyson verdeutlicht demgegenüber für den Fall des britisch eroberten französischen Kanadas nach 1763, dass zumindest anfänglich das lokale Element in der Verwaltung des Territoriums stark blieb, und frankophone Eliten neben britischen Funktionären aus dem Mutterlande und Neusiedlern einen Teil ihres Einflusses im Verwaltungsapparat behielten. Schließlich charakterisiert Youri Akimov die Woiwoden in Russlands entstehendem sibirischen Imperium als eine Gruppe, die zwar auch für temporäre Verwaltungsarbeit vorgesehen war, aber über keinerlei reichsbezogene korporative Ethik verfügte und die eigene Funktion eher zu Plünderungen und Selbstbereicherung nutzte.
Das Problem des spezifischen Lebensstils von europäischen Kolonialeliten (und Siedlern) wird vor allem in zwei Beiträgen breiter analysiert. Leonard Blussé betrachtet die Entwicklung der Gesellschaft des urbanen Batavia in Niederländisch-Indien, von einer räumlich engen (und beengten) Handelsfaktorei hin zu einer weitläufigen, durch opulent angelegte Villen geprägte Verwaltungsstadt eines Handelsimperiums im Verlaufe des 18. Jahrhunderts. Elizabeth Buettner, in einem stark auf Romanliteratur gestützten Zugang, diskutiert die Selbstwahrnehmung vom indischen Subkontinent zurückkehrender Siedler und Funktionäre, welche bei Eintreffen in Großbritannien oftmals ihren geminderten Sozialstatus beklagten.
Martin Thomas betrachtet in einer den state of the art der gewaltigen Literatur zu algerischen Konflikten und Algerienkrieg souverän erfassenden Synthese die Blockadefunktion, welche die französischen Siedler in Nordafrika gegen jegliche Reorientierung der kolonialen Politik (inklusive gegen jedwede verstärkte Assimilationspolitik für die nordafrikanischen Muslime) innehatten. Gianluca Podestá zeichnet die Entwicklung der italienischen Siedlungspolitik in Eritrea, Somalia und Äthiopien während der kurzen italienischen Besatzungsphase nach, und bietet interessante Perspektiven zum Imperium als Experimentierfeld faschistischer Politik und als Raum sozialen Aufstiegs über höhere Löhne, stützt sich in seinen Ausführungen jedoch praktisch ausschließlich auf seine eigenen Monographien und Aufsätze. Elsbeth Locher-Scholten untersucht ähnlich wie Thomas das Phänomen der Verwaltung von Siedlungskolonien an der Schnittstelle von Siedlerpräsenz und Verwaltungspolitik, kehrt jedoch eher zur Frage einer imperialen Identität zurück. Sie zeigt, dass am Ende des 19. Jahrhunderts sowohl die europäischen Siedler als auch die Verwaltungseliten in Niederländisch-Indien sich wieder zunehmend an Praktiken und Haltungen im niederländischen Mutterland orientierten.
Für das subsaharische Afrika als einen der wichtigsten Kolonialräume des 20. Jahrhunderts bietet der Sammelband zwei Beispiele, in welchen ein imperial mind sich nicht durchsetzen sollte. Amandine Lauro und Valérie Piette kennzeichnen den Belgischen Kongo als ein Territorium, dem belgische Verwaltungseliten, wann immer möglich, fern blieben. Der schlechte Ruf der Kolonie selbst wie der kolonialen Karriere machte die Identifikation mit der "imperialen Mission" relativ unattraktiv. Interessanterweise trifft dies, wie Winfried Speitkamp zeigt, auch für das kurzlebige deutsche Kolonialreich zu. Auch hier war die koloniale Tätigkeit wenig prestigefördernd, und galt langfristig - zumal dann auch nach dem Verlust der Kolonien - eher als Merkmal einer "Subkultur-Elite" denn als Teil einer respektablen und karriereförderlichen Aktivität. Es wäre freilich den Herausgebern bzw. den beiden Kommentatoren innerhalb des Bandes überlassen gewesen, darauf hinzuweisen, dass in den anderen Fällen - dem britischen, französischen, und portugiesischen Fall - diese Identifikation mit dem afrikanischen Kolonialreich durchaus sehr stark vorhanden war.
Es ist bedauerlich, dass in dem Band das Gegenüber von europäischen Siedlern und Verwaltungsbeamten ambivalenter bleibt, als dies sein müsste - letztlich ist ungeklärt, was mit "europäischer Elite" eigentlich genau gemeint sein will. Die einleitende Synthese von François-Charles Mougel berührt diesen zentralen Punkt nicht wirklich und arbeitet auch nicht genügend die fundamentalen Unterschiede von frühneuzeitlichen und neuzeitlichen Imperien heraus, was hilfreich gewesen wäre. Pierre Guillaumes Schlusskapitel ist viel zu kurz geraten und geht nicht wirklich in die Tiefe der Thematik. Nichtsdestoweniger muss man für den gesamten Band (wie auch für die durchaus gelungene historiographische Betrachtung des Elitenthemas mit Bezug auf die koloniale Erfahrung, die die Autoren zum Anfang bieten) eine positive Bewertung ziehen: ein wichtiges und zumindest für das 19. und 20. Jahrhundert über die letzten drei Jahrzehnte ins Hintertreffen geratenes Thema ist sinnvoll wieder aufgeworfen worden; der Band bietet wichtige Stimuli; und viele der Aufsätze sind für sich äußerst ansprechend und für das Gesamtthema anregend. In einem Feld, in welchem es an frischen systematischen Beiträgen zuletzt erheblich fehlte, ist ein solches Angebot von daher sehr zu begrüßen und sollte die Debatte über den europäischen Teil "kolonialer Identitäten" wieder anzufachen helfen.
Alexander Keese