Rezension über:

Yvonne Kleinmann (Hg.): Kommunikation durch symbolische Akte. Religiöse Heterogenität und politische Herrschaft in Polen-Litauen (= Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa; Bd. 35), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, 305 S., ISBN 978-3-515-09419-1, EUR 48,00
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Rezension von:
Karin Friedrich
University of Aberdeen
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Karin Friedrich: Rezension von: Yvonne Kleinmann (Hg.): Kommunikation durch symbolische Akte. Religiöse Heterogenität und politische Herrschaft in Polen-Litauen, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2010, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 3 [15.03.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/03/18638.html


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Yvonne Kleinmann (Hg.): Kommunikation durch symbolische Akte

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Mit dieser Sammlung von Beiträgen, die ihren Ursprung in einem Forschungskolloquium zur jüdischen Kultur in Polen-Litauen hat, legt Yvonne Kleinmann einen sorgfältig gegliederten Band vor. Das Thema hat Konjunktur. In Nachfolge der bis vor kurzem aktuellen Forschung zu Kommunikationsgeschichte und Kulturtransfer, die sich aus der Kulturanthropologie und postkolonialen Fragestellungen entwickelte, wird hier die Aussagekraft von Symbolen und Ritualen in der Geschichte Polen-Litauens untersucht. Dabei stehen Religionsgemeinschaften und -praktiken im Mittelpunkt.

Eine theoretische Einführung soll zeigen, wie Kommunikation durch Symbole in einem reaktiven Verhältnis zur Ausübung von Macht und Herrschaft sowie der Schaffung von Hierarchien steht. Die Zuhilfenahme älterer kulturphilosophischer (Ernst Cassirer), ethnographischer (Clifford Geertz) und soziologischer Perspektiven (Niklas Luhmann) führt dabei auf Pfade, die durch die Arbeiten Barbara Stollberg-Rilingers und Rudolf Schlögls zum politischen Ritual bekannt sind. Die Einleitung der Herausgeberin fasst die Berührungsmomente zwischen Cassirerschen und Luhmannschen Ideen mit den kulturhistorischen Arbeiten der letzten Jahre nützlich zusammen. Des Lesers Erwartungen steigen: kann der deduktive Versuch der Kulturinterpretation (Geertz) mit der induktiven Methode Luhmanns versöhnt werden oder gar zu einer neuen methodischen Synthese führen? Trotz der stimulierenden Beiträge von Volker Gottowik und Christian Preuße bleibt eine Antwort aus, da die beiden Autoren ihre Überlegungen in keine konkreten Fallstudien einbauen. Vielleicht entspricht dies auch nicht der Absicht der Herausgeberin, die betont, dass "im empirischen, zweiten Teil des Buches [...] keinem der skizzierten theoretischen Entwürfe Priorität eingeräumt" wird (13). Es fehlt nicht an interessanten Anstößen: man fragt sich beispielweise, ob Dogmatik als Resultat eines kommunikativen Prozesses wirklich Pluralisierung verursacht oder ob nicht eher der Einsatz von Dogmatik Pluralisierung verhindert (47). Die "hohe Abstraktion der Leitbegriffe", die Preuße feststellt, wird jedoch zum Problem, vor allem wenn es nach Luhmann tautologisch heißt, "nur Kommunikation könne kommunizieren" (40). Ist die Systemtheorie wirklich notwendig, um die ältere, zu recht kritisierte teleologische Fokussierung auf den Modernisierungsbegriff zu vermeiden? Die wertvollsten Impulse gibt der Aufsatz Preußes zum Thema Kommunikation im Raum, symbolische Grenzziehung, sowie selbstreflexive Kommunikation über die Religion. Dabei bleibt aber die zentrale Funktion historischer Akteure, die von Luhmann hintangestellt werden, unerlässlich. Da die Spannung zwischen ethnographischem und systemtheoretischem Theoriewerk nirgendwo harmonisiert wird, bleiben die beiden Beiträge des ersten Teils in ihrer Abstraktion isoliert, auch wenn die Autoren im Folgenden theoretische Anregungen mit unterschiedlichem Eifer und Erfolg aufgreifen.

Da das Thema der Heterogenität sich wie ein roter Faden durch den Band zieht, fällt die genaue Abgrenzung des ersten thematischen Blocks ("Religiöse Heterogenität und Herrschaftspraxis") schwer. Michael Müllers Relativierung der Bedeutung des Augsburger "Religionsfriedens" durch Vergleich mit älteren, pragmatischen Konsenstraditionen in Ostmitteleuropa zeigt, wie wenig Vorbildfunktion diesem Ereignis in Europa zukam. Mit einer positiven Bewertung frühneuzeitlicher Toleranzregelungen fügt sich der Beitrag Adam Kaźmierczyks über magnatische und königliche Judenschutzpolitik an. Diese pragmatische Politik wurde allerdings im späteren 18. Jahrhundert durch eine Aufwertung der polnischen Städte und ihrer meist anti-jüdischen Stadtmagistrate untergraben, was die "Freiheit" der Juden in das Gegenteil, in ein "Hindernis der Modernisierung", verkehrte. Dieses Argument klingt etwas überspitzt, da das Hauptaugenmerk des Beitrags die Judenpolitik, nicht jedoch die allgemeine Situation der jüdische Bevölkerung in Polen-Litauen ist, die dieses Resultat relativieren würde.

Die anderen beiden Aufsätze der ersten Sektion liegen thematisch und geographisch weit auseinander. Christoph Augustynowicz untersucht den städtischen Herrschafts- und Konfessionsraum von Sandomierz. In seiner Betrachtung von Ritualmordanklagen im 18. Jahrhundert lautet die These, dass Ausgrenzung und Integration von Alterität gleichzeitig betrieben wurden. Dieses Ergebnis entwirft ein interessantes, pluralistisches Bild, doch kommt es besser ohne Theoriebezug aus. Die Analyse von Symbolen als Kommunikationsmittel gelingt schon eher im Beitrag Tetiana Grygorievas, die das politische und kulturelle Missverstehen der Politik der Pforte durch die polnischen Gesandten überzeugend mit dem Ritualverständnis Geertzs verbindet. Ein Missverständnis, allerdings ein bewusstes, fand auch in der Haltung von Nicht-Juden gegenüber den des Ritualmordes bezichtigten jüdischen Gemeinden statt. Es wäre wünschenswert gewesen, solche Parallelen aufeinander zu beziehen.

Um die Überwindung bzw. Unüberwindlichkeit von Grenzen geht es auch im zweiten Block zum Thema "Grenzkonstruktionen". Alle vier Aufsätze konzentrieren sich auf die Einbettung religiöser Identität in einen fremden Kontext. Myroslava Keryks Analyse der hybriden Natur der sakralen Kunst und Architektur in L'viv zeigt, dass jüdisch-christliche sowie uniert-orthodoxe Zusammenarbeit pragmatischen Gründen folgte, deren Resultat im Barockstil großer Teile osteuropäischer Städte bis heute evident bleibt. Judith Kalik präsentiert ein Sammelsurium von Fallstudien zu sexuellen Kontakten zwischen Juden und Christen. Wenn hier Grenzen überschritten wurden, ist doch am Ende nicht klar, was diese demonstrieren sollen: Dass Männer dämonisiert und Frauen idealisiert wurden und dass soziale Bindungen stärker als religiöse waren, wie die Autorin versichert, wird in keinem der Beispiele eindeutig bewiesen. Rechtliche Beziehungen sind auch das Thema von Magda Teters Beitrag, der in vielen Punkten den Resultaten Keryks widerspricht. Während einerseits jüdischer Sakralraum von "Verunreinigung" durch nicht-jüdische Ritualgegenstände geschützt wurde, bediente man sich doch christlicher Handwerker. Wurden Synagogenräuber anders als Kirchenräuber verurteilt, so wird nicht klar, wer solche Urteile fällen durfte und wie Legitimation entstand. Wer zog die Grenzen, und wer löste sie wieder auf? Die Abwesenheit der Handelnden wird durch Systemtheorie nicht befriedigend ersetzt. Der Beitrag Jan Doktórs stellt dagegen konkrete Akteure vor, die je nach Interessenlage die Frankistengemeinde förderten oder bekämpften. Doch geht es hier mehr um die Abgrenzung (Mangel an Kommunikation) einer religiösen Gemeinschaft vom Rest der Welt als um Kommunikation durch symbolische Akte.

Der letzte Abschnitt, der diese Art der Kommunikation nochmals ins Visier nimmt, ist der kohärenteste. Die Beiträge greifen auch konsequent auf den Theorieteil zu Beginn des Bandes zurück. Während Hanna Węgrzynek eine Fallstudie aus den 1630er Jahren zum Streit zwischen Franziskanern und Juden um den sakralen Raum eines Friedhofs vorstellt, besticht Damien Tricoires Analyse des Marienpatronats am Beispiel der Schwarzen Madonna von Jasna Góra durch ihre Ausgewogenheit zwischen historischer Narration, historiographischer Untersuchung und Theoriebezug. Gleichzeitig entmythologisiert der Autor die Marienlegende. Die Stilisierung der Gottesmutter als Retterin Polens geschah anfangs durch eine konzertierte Kampagne katholischer Schriftlichkeit und königlicher Patronage. Nach dem Schwedenkrieg gewann jedoch ein republikanisch gefärbtes Marienpatronat die Oberhand, das zur Desakralisierung der Monarchie beitrug.

Funktionierte die Muttergottesfigur als symbolträchtiges Kommunikationsmedium, so konzentriert sich Yvonne Kleinmann in ihrem Aufsatz über das Latifundium Rzeszów auf die religiöse Symbolkraft der Sprache von Privilegientexten. Wiederum dient die Rechtsgeschichte der kulturhistorischen Analyse, da Rechtsquellen nicht nur normative, sondern auch soziale und kulturelle Aushandlungsprozesse widerspiegeln. Allerdings folgen manche Schlüsse vorschnell einem traditionellen Schema, das die politische "Fragmentierung" des polnisch-litauischen Staates voraussetzt. Der zu recht beobachteten Aufwertung des Lokalen entsprach nicht notwendigerweise die Abwertung alles Zentralen, jedenfalls nicht in der Art, wie es die ältere Historiographie will (253). Der Aufsatz betont erneut die Durchlässigkeit konfessioneller Grenzen zwischen Juden und Christen, eine Tendenz, die im 18. Jahrhundert von einer auf friedliche "concivilitas" abzielenden normativen Privilegiensprache fast schon aufklärerisch unterstützt wurde. Am Ende kehrt der Band zur Heiligenverehrung zurück, die nicht konfessionalisierend wirkte, sondern Grenzen zwischen konfessionellen Gruppen zu überwinden vermochte. Stefan Rohdewalds Beitrag zur Reaktion auf die Ermordung (1623) und Seligsprechung (1642) des unierten Polocker Bischofs Kuncevyč zeigt Erfolge und Grenzen der Identitätsstiftung durch die Vereinnahmung religiöser Symbolfiguren.

Es fehlt eine abschließende Betrachtung zu den oft widersprüchlichen Ergebnissen des Bandes. Dieser vermittelt jedoch beeindruckend die Komplexität des polnisch-litauischen Multikonfessionsstaates; die Fallbeispiele zeigen, wie ethnographische und soziologische Perspektiven nach wie vor zu neuen Erkenntnissen führen können. Eine gewisse Kohärenz gewährleistet die Fokussierung auf die Koexistenz verschiedener Kulte und Normen einer gemeinsamen Rzeczpospolita. Das politische Bindemittel, das dazu nötig war, kommt allerdings in den Analysen zu kurz. Der Band zeigt die Fähigkeit einer frühneuzeitlichen, auf Pragmatismus und ein gewisses Maß an Toleranz aufgebauten Zivilgesellschaft, sich selbst zu organisieren. Allein schon deshalb muss man ihn zusammen mit der Aufforderung empfehlen, kulturgeschichtliche Ansätze auf Ostmitteleuropa weiter auszudehnen.

Karin Friedrich