Melvyn P. Leffler / Odd Arne Westad (eds.): The Cambridge History of the Cold War, Cambridge: Cambridge University Press 2009, 3 Bde.; LIV + 1999 S., ISBN 978-0-521-83938-9, GBP 275,00
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Der Kalte Krieg dauerte über vierzig Jahre, bevor er für viele überraschend endete. In dieser Zeit hat er wie kaum ein anderes Ereignis die Welt geprägt - militärisch, politisch, wirtschaftlich und auch kulturell. Nicht zuletzt deshalb hat er auch in der Historiographie sowohl während seiner Existenz als auch nach seinem Ende eine enorme Aufmerksamkeit erfahren. Hinzu kommt, dass wir seit dem Ende des Kalten Krieges auf zahlreiche erstmals zugängliche Archivquellen zurückgreifen können, vor allem, aber beileibe nicht nur aus dem ehemals sowjetisch dominierten Teil der Welt. Dies allein macht das Schreiben eines Handbuchs zur Geschichte des Kalten Krieges, das möglichst all dessen Facetten gerecht werden will, zu einem schwierigen Projekt, zumal wenn man sich nicht auf Politik, Militär und Wirtschaft konzentrieren, sondern, gegenwärtigen Forschungstrends entsprechend, auch das weite Feld der Kultur mit einbeziehen will.
Melvyn Leffler und Odd Arne Westad, die beide mit zentralen neueren Arbeiten zur Geschichte des Kalten Krieges hervorgetreten sind, haben diese Aufgabe gelöst, indem sie ein monumentales, dreibändiges Sammelwerk zu dem Thema herausgegeben haben. Dabei machen sie aus der Not, dass kaum ein Historiker eine "'definitive' history of the Cold War" (Westad, I, 2) für möglich hält, eine Tugend, indem sie 75 renommierte Autoren versammeln, die sich in 72 Beiträgen auf rund 2000 Seiten einzelnen Aspekten der Geschichte des Kalten Krieges widmen. Die übergroße Mehrzahl der Beiträger ist in den Vereinigten Staaten und Großbritannien tätig. Auch wenn es zum Teil dem Horizont der Herausgeber geschuldet sein mag, zeigt dies doch auch, dass in beiden Staaten - im Unterschied etwa zu Deutschland, aus dem nur vier der Beiträger stammen - offensichtlich noch ein reges wissenschaftliches Interesse an dem Thema besteht.
Die drei Bände folgen einer groben chronologischen Ordnung, so dass der erste vor allem den Ursprüngen und der Entwicklung des Kalten Krieges bis 1962, der zweite der darauf folgenden, vor allem von Krisen und Entspannung geprägten Ära bis zur Mitte der 1970er Jahre und der dritte der Endphase seit 1975 gewidmet ist. Die Aufsätze, die mit rund 20 Seiten eher kurz gehalten sind, befassen sich mit einem breiten Spektrum an Themen. In jedem Band widmen sich gleich mehrere Beiträge den USA und der Sowjetunion als den beiden zentralen Kontrahenten. Hinzu kommen weitere Länderstudien, etwa zu Großbritannien zwischen 1945 und 1955, zum gaullistischen Frankreich, zur Spaltung und Wiedervereinigung Deutschlands, zu Kuba und zu China, insbesondere in seinem Verhältnis zur Sowjetunion. Betrachtet werden darüber hinaus einzelne Weltregionen - West-, Ost- und Südosteuropa, die Mittelmeerregion, der Nahe Osten, Japan, Südostasien, Mittelamerika und das südliche Afrika; einzelne herausgehobene Krisen wie etwa der Korea-Krieg, die Kubakrise sowie die Iran-/Afghanistan-Krise erhalten ebenfalls eigene Kapitel. Neben diesen primär politikgeschichtlichen Aufsätzen stehen Beiträge zu Sachthemen wie der Ideologie, der Wirtschaft, den Kernwaffen, den Geheimdiensten, der Wissenschaft und Technologie, der Biosphäre (!), den Menschenrechten, den transnationalen Organisationen, gesellschaftlichen Entwicklungen wie Migration, Gesundheitsfürsorge und Bevölkerungspolitik und der Kultur. Schließlich finden sich auch zu übergreifenden Fragen etwa nach den "grand strategies" im Kalten Krieg oder nach den Ursachen für dessen Ende eigene Abhandlungen. Die Bände enthalten überdies jeweils einen "bibliographical essay", der die neueste weiterführende Literatur zu jedem Beitrag sachkundig behandelt, sowie ein kombiniertes Personen- und Sachregister.
Die Themenfülle ist auf den einleitend aufgeführten Ansatz zurückzuführen, über die engen Grenzen der Diplomatiegeschichte hinaus "demography and consumption, women and youth, science and technology, culture and race" zu diskutieren. Die Entwicklung des Kalten Krieges, so die Herausgeber weiter, "cannot be comprehended without attention to such matters" (XV). Der Ansatz wird freilich nicht ganz eingelöst - das Gender- und das Rassenproblem etwa werden nur in wenigen Beiträgen gestreift. Außerdem überwiegen die politikgeschichtlichen gegenüber den wirtschaftshistorischen und kulturgeschichtlichen Betrachtungen - was im übrigen kein Fehler ist. Überdies verdeutlichen etwa die Ausführungen von Nicholas J. Cull über Literatur, Film und Rundfunk weniger deren Einfluss auf den Kalten Krieg, sondern eher umgekehrt, wie sich dieser auf die genannten Medien auswirkte. Aufgrund der Struktur, die unterschiedliche Akteure, Krisenszenarien und Weltgegenden berücksichtigt, ergeben sich notwendigerweise auch Überschneidungen und zum Teil sogar Widersprüche, die die Herausgeber nicht geglättet haben. So widersprechen sich etwa Charles Maier und David S. Painter im ersten Band des Werkes im Hinblick auf die Bedeutung, die der Verfügung über Rohstoffe im Kalten Krieg zukam: Während Maier darin keine Ursache für eine Rivalität zwischen beiden Kontrahenten sieht, da jede Seite "was plentifully endowed with strategically important commodities, including oil" (54), behauptet Painter das genaue Gegenteil: "Control of strategic raw materials played a key role in the origins and outcome of World War II and continued to be a source of power and policy during the Cold War." (486) [1] Dieser Mangel an Eindeutigkeit ist der Preis für die von den Herausgebern angestrebte und an sich lobenswerte Pluralität der Beiträge.
Wie wird in dem Grundlagenwerk der Kalte Krieg insgesamt definiert? In seinem Einführungsbeitrag bezeichnet Westad diesen als "an ideological confrontation with two powerful states at its center"; außerdem habe er sich dadurch ausgezeichnet, dass er die Welt durch den massiven Einsatz von Nuklearwaffen mit Vernichtung bedrohte. Ergebnis waren Zukunftsängste und zunehmende Unsicherheit "about that perfectibility of humankind which the opening of the twentieth century had seemed to promise" (I, 19). Durchaus konsequent widmen sich daher eine Reihe von Beiträgen auch der Rolle der Ideologie: Während es David Engerman in Band I um die sich ausschließenden ideologischen Ansprüche beider Seiten als Triebkräfte für den Ursprung des Kalten Krieges geht, behandelt Robert Jervis in Band II das damit eng verwandte Thema, wie die sowjetische und die amerikanische Identität durch den Kalten Krieg geformt wurden. Schließlich zeigt Jan-Werner Müller im dritten Band, wie zwischen 1970 und 1989 im Diskurs von westeuropäischen, nordamerikanischen und ostmitteleuropäischen Intellektuellen das Ende des ideologischen Zeitalters eingeläutet wurde.
Doch entscheidend für die säkulare Auseinandersetzung war, dass sich die unterschiedlichen Ideologien mit zwei Machtstaaten verbanden, die wiederum Allianzen bildeten und in der Konfrontation mit dem jeweils anderen strategische Vorteile zu erlangen oder Vorstöße abzuwehren suchten. Vor diesem Hintergrund sind die zahlreichen, durchweg lesenswerten Beiträge zu den "Cold War strategies" der USA und der Sowjetunion in den unterschiedlichsten Phasen des Konflikts zu sehen. Denn bei aller Bedeutung, die man heute sozial- und kulturgeschichtlichen Fragen beimisst, handelte es sich im Kern um eine machtpolitische Auseinandersetzung, die sich, worauf die Bände ebenfalls eindrucksvoll verweisen, auf zahlreiche Regionen der Welt erstreckte. Dass die Konflikte in den relevanten Weltregionen ebenfalls fundiert behandelt werden, verdanken wir sicher zu einem guten Teil Westad, der selbst ein Standardwerk zu den Interventionen der Supermächte in der Dritten Welt vorgelegt hat.
Auch der "nuklearen Komponente" des Kalten Krieges sind eigene Kapitel gewidmet: So geht es in Band I David Holloway um die Rolle der Atomwaffen bei der Eskalation des Kalten Kriegs bis 1962; Band II enthält einen Beitrag von William Burr und David Alan Rosenberg zur Fortsetzung des nuklearen Wettrüstens bis zu einem annähernden Patt Mitte der 1970er Jahre und einen weiteren Artikel über Verbreitung und Nichtverbreitung von Atomwaffen von Francis Gavin. Leider fehlt eine Fortsetzung der Geschichte der Nuklearrüstung und der Rüstungskontrollverhandlungen für die späten 1970er und 1980er Jahre im letzten Band. Das wird leider auch durch den Beitrag von Olav Njølstad zum Zusammenbruch der "superpower détente" nicht wettgemacht, der sich über die Ursachen der sowjetischen SS-20-Stationierung ausschweigt und allein Jimmy Carter das Verdienst zuschreibt, als Reaktion darauf unter anderem den NATO-Doppelbeschluss initiiert zu haben; über die entscheidende Rolle Helmut Schmidts fällt in diesem Zusammenhang kein Wort. Auch die darauf folgenden, 1983 zwar abgebrochenen, 1985 aber wieder aufgenommenen, letztlich erfolgreichen INF-Verhandlungen wären eine nähere Betrachtung wert gewesen. Eine weitere Fehlstelle, die auch schon anderen Kritikern aufgefallen ist, betrifft die regulären Streitkräfte sowie die konventionelle Rüstung von NATO und Warschauer Pakt sowie die hier einschlägigen Rüstungskontrollverhandlungen (MBFR) in Wien. [2]
Als letzter Kritikpunkt sei erwähnt, dass bei allen Verdiensten um die Erfassung der globalen Dimension des Kalten Krieges der europäische Schauplatz etwas zu kurz kommt. Das wird allein daran deutlich, dass zwar die Kubakrise mit einem eigenen, äußerst informativen Beitrag von James Hershberg in Band II gewürdigt wird, die vorangegangene, im Mauerbau kulminierende Berlin-Krise aber nicht. Und das obwohl Vojtech Mastny in seinem Beitrag zur sowjetischen Außenpolitik dazu schreibt: "The Berlin crisis [...] was in an important sense even more dangerous than the later Cuban Crisis. Neither side realized how close they came to a military conflict that could have occurred because of Khrushchev's disregard of the likely consequences of his actions." (I, 333). Auch das Besondere der westeuropäischen, vor allem der westdeutschen Entspannungspolitik unter Brandt wird in dem Beitrag von Jussi Hanhimäki nicht recht deutlich, obwohl er zu Recht schreibt, "that European Détente was, first and foremost, a European project" (II, 198). Dass es Brandt und dem Architekten der Neuen Ostpolitik, Egon Bahr, zumindest am Anfang noch um eine Transformation des Ostblocks ging, um langfristig zur Wiedervereinigung zu gelangen, wird in dem Beitrag an keiner Stelle erwähnt. Es ist symptomatisch, dass in dem Teil des "bibliographical essay" zu diesem Aufsatz nur englischsprachige Literatur aufgeführt wird.
Trotz aller Kritik im Einzelnen wird die Cambridge History of the Cold War noch für lange Zeit das maßgebliche Standardwerk zu diesem Thema bleiben, dessen Verbreitung durch den prohibitiv hohen Preis allerdings Grenzen gesetzt sein dürften.
Anmerkungen:
[1] Darauf hat auch Geoffrey Warner: The Cold War in retrospect, in: International Affairs 87 (2011), 177, hingewiesen.
[2] Ebenda, 176; Lawrence D. Freedman: Frostbitten. Decoding the Cold War. 20 Years Later, in: Foreign Affairs, März/April 2011, URL: http://www.foreignaffairs.com/articles/66033/lawrence-d-freedman/frostbitten (7.4.2011).
Hermann Wentker