Tim Geiger / Amit Das Gupta / Tim Szatkowski (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1980 (= Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland), München: Oldenbourg 2011, 2 Bde., LXXXIX + 2115 S., ISBN 978-3-486-70219-4, EUR 148,00
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Katrin Rupprecht: Der deutsch-isländische Fischereizonenstreit 1972-1976. Krisenfall für die NATO? Anhand der Akten des Auswärtigen Amtes, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011
Michael Ploetz / Matthias Peter / Jens Jost Hofmann (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1988, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2019
Amit Das Gupta / Tim Geiger / Matthias Peter / Fabian Hilfrich / Mechthild Lindemann (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1977. Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, München: Oldenbourg 2008
Michael Ploetz / Tim Szatkowski (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1979. Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, München: Oldenbourg 2010
Mechthild Lindemann / Michael Mayer (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1962, München: Oldenbourg 2010
William Glenn Gray: Trading Power. West Germany's Rise to Global Influence, 1963-1975 , Cambridge: Cambridge University Press 2023
Andrew S. Tompkins: Better Active than Radioactive! Anti-Nuclear Protest in 1970s France and West Germany, Oxford: Oxford University Press 2016
Maria Höhn / Martin Klimke: A Breath of Freedom. The Civil Rights Struggle, African American GIs, and Germany, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2010
Tim Szatkowski: Gaddafis Libyen und die Bundesrepublik Deutschland 1969 bis 1982, München: Oldenbourg 2013
Tim Geiger / Matthias Peter / Mechthild Lindemann (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1983, München: Oldenbourg 2014
Tim Szatkowski / Daniela Taschler (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1984. Band I: 1. Januar bis 30. Juni, Band II: 1. Juli bis 31. Dezember, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2015
Alle bedeutenderen westlichen Staaten leisten sich nach wie vor das Projekt, die Akten zu ihrer auswärtigen Politik zu publizieren. Während Frankreich mit seiner jüngsten Reihe bis 1968 gekommen ist, gelangen in den USA die letzten Bände zur Amtszeit von Nixon bzw. Ford (bis 1976) in die Öffentlichkeit (36 Bände zu dieser Administration liegen vor). Die britische Seite ist weit zurück, behilft sich aber gelegentlich mit Befreiungsschlägen wie einer elektronischen Publikation zu 1989. Da ist die bundesdeutsche Edition, die seit 1993 jährlich mit schöner Regelmäßigkeit mit dem Abstand von dreißig Jahren von den Ereignissen und damit auch zur Archivfreigabe ein umfängliches Konvolut vorlegt, auch im Vergleich zu weiteren Ländern nach wie vor international führend. Sie bleibt auch der Sache nach in fast allen Aspekten vorbildlich. Noch schöner wäre es ja, wenn man - dem US-Vorbild folgend - die Bände gleich elektronisch zugänglich machte, denn das ermöglicht bequemere und auch weiterreichende Forschungen. Auch die Lücke, die zunächst bis 1962 vorlag, scheint bald geschlossen werden zu können.
Dieser Band folgt den bewährten Grundsätzen der Vorgängerbände: chronologische Auflistung der Dokumente mit einem knappen Regest zu Anfang; am Ende dann ein getrenntes Namen- und Sachregister von 165 Seiten, welche eine Erschließung des Bandes nach thematischen Interessen erst möglich macht. Da steckt viel Arbeit drin, im Grunde erschließt sich die Edition auch vornehmlich über dieses zur Verfügung gestellte Hilfsmittel. Das gleiche lässt sich von den Anmerkungen zu den insgesamt 376 Dokumenten sagen. Penibel werden Namen oder angespielte Sachverhalte erfasst, Vor- und Nachgänge benannt, häufig auch aus nicht gedruckten Beständen weitere Erläuterungen oder Dokumente im charakteristischen Auszug wieder gegeben, Bearbeitungen erwähnt etc. Gelegentlich umfasst das bis zu zwei Dritteln der Seite. Dies Verfahren lässt insgesamt keine Wünsche offen. Eine Kleinigkeit nur: die fett gedruckten Überschriften der Einzeldokumente benennen zumeist den Charakter des Dokuments (Aufzeichnung von ...; Runderlass des.., Botschafter... an das Auswärtige Amt). Dann aber heißt es auch: "Gespräch des Bundeskanzlers Schmidt mit Premierministerin Thatcher in Chequers" (Dok. 93). Nur letzteres Notat sollte man weiterführen, sonst ist es bei fortlaufender Lektüre (wie sie der Rezensent unternommen hat) mühseliger das je zentrale Thema (das im Regest zu Beginn der Edition steht) ausfindig zu machen. Wenn in Dokument 31 eine "Aufzeichnung des Kapitän zur See Maurer" über die Unterstützung afghanischer Freiheitsbewegungen gedruckt wird, erfährt der Leser erst aus dem Namenregister, dass es sich bei diesem um ein Mitglied des Planungsstabes im Auswärtigen Amt handelte.
Editorisch handelt es sich nach wie vor um eine Fondsedition, d.h. im Kern fanden nur Akten des Auswärtigen Amtes Berücksichtigung. Aber gerade die vielen Gespräche des Bundeskanzlers sind aus den Akten des Kanzleramtes gehoben, einige fanden sich anscheinend auch nur im Depositum Helmut Schmidts im Archiv der sozialen Demokratie. Diese Erweiterung der Basis war notwendig für den Ertrag der Edition. Gibt es eigentlich auch Genschers persönliche Papiere, die weiteren Aufschluss versprechen könnten?
1980 war ein spannendes Jahr in dem neu aufgeflammten Kalten Krieg: Ende 1979 wurde der NATO-Doppelbeschluss gefasst, die Sowjetunion marschierte Weihnachten 1979 in Afghanistan ein. Im Iran hatten revolutionäre Studenten in der US-Botschaft Geiseln genommen; in der zweiten Jahreshälfte spitzte sich die innenpolitische Krise in Polen zu. Präsident Jimmy Carter wurde Anfang November 1980 abgewählt; Ronald Reagan war der President elect. Auch in der Bundesrepublik fanden Wahlen statt, welche - wie erwartet - die sozialliberale Koalition im Amt bestätigten. Zu diesen "großen" Fragen kommen eine Fülle weiterer Probleme hinzu. Die MBFR-Verhandlungen über Rüstungskontrolle stagnierten; die erste Phase der KSZE-Folgekonferenz in Madrid stand bisweilen am Rande des Abbruchs. Verdichtungen ergaben sich gerade im südlichen Afrika -Namibia, wo sich Genscher im Rahmen einer Fünf-Mächte-Gruppe um Lösungen bemühte. Auch Libyen und der Diktator Gaddafi, über dessen erratische Persönlichkeit man sich keine Illusionen machte, fand einige Aufmerksamkeit, galt das Land doch als Waffenlager der Sowjetunion.
Lesefrüchte im Einzelnen sind beliebig. Kanzler Schmidt erklärte dem Philosophen Karl Popper am 4. Dezember in London (Dok. 348), ihm sei es in neun Monaten nicht gelungen den USA klarzumachen, dass es im Verhältnis zur Sowjetunion einer "grand strategy" bedürfe, "nicht nur um militärische Hardware. Die amerikanische Führungsstruktur ist diffus und unstet. Das wird sich auch in den nächsten Jahren nicht grundlegend ändern. Die amerikanische Führung könnte jetzt berechenbarer werden, eventuell aber auch weniger vorsichtig." Den Höhepunkt des Bandes stellt Schmidts und Genschers Besuch in Moskau in der Jahresmitte dar (Dok. 192-195). Dem deutschen Kanzler seien - so zu Breschnew - bei den Kranzniederlegungen die Tränen bei der Erinnerung an das Leid "vor mehr als 35 Jahren, an dem Sie wie ich teilhatten" gekommen. "Ich weiß, dass Sie genauso mit Entsetzen an die Möglichkeit eines Krieges denken wie ich. In diesem Punkt habe ich unbegrenztes Vertrauen in Sie" (1041). Aber dennoch versuchten die Deutschen in der gefährlichen Nachrüstungsfrage direkte Gespräche zwischen den beiden Supermächte in Gang zu bringen, zunächst einmal die letzten Chancen auf eine Ratifizierung von SALT II auszuloten (das gelang bekanntlich nicht). Schmidt legte großen Wert auf ein Gespräch mit dem sowjetischen Verteidigungsminister Ustinow, bei dem sich die beiden Rüstungsprofis auf zwölf Druckseiten die wechselseitigen Auslegungen von Vor- und Nachrüstung vorhielten - ohne Ergebnis (Dok. 194).
Genscher flog direkt nach Washington und berichtete schon am folgenden Tag seinem US-Kollegen Muskie (Dok. 196) von den Moskauer Verhandlungen. Generell nehmen die Vor- und Nachunterrichtungen der Partner über gehabte Gespräche mit anderen Politikern großen Raum in der Edition ein. Die Edition verzichtet auf Abdruck von multilateralen NATO-, aber auch von Geheimdienstdokumenten; gelegentlich kommen beide Quellengruppen aber doch auch indirekt vor. Gerade im Rahmen des Bundessicherheitsrates wurden alle einschlägigen Ressorts, so auch die Nachrichtendienste in die Vorbereitungen einbezogen. Enthalten sind auch viele sehr aussagekräftige Berichte von Staatssekretär Gaus, des Ständigen Vertreters in der DDR. Vor allem ein Bericht über deren Verhältnis zu Polen (Dok. 259 vom 4. September) liefert eine scharfe Analyse. Es überrascht, wie offen polnische Politiker auch und gerade im Westen die Dilemmata der inneren Krise mit Streiks und der Gründung von Solidarnosc berichteten. Im Dezember 1980 verdichteten sich Sorgen über eine sowjetische Intervention. Auf allen westlichen Kanälen suchte man eine Notfallplanung mit Vorhaltungen und Sanktionen zu entwerfen, die dann doch nicht zum Zuge kam.
Hier wie auch sonst spielten multilaterale Konsultationen eine große Rolle. Regelmäßig trafen sich die vier Direktoren der Außenämter der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Bundesrepublik; auf italienischer Seite fühlte man sich da zurückgesetzt. Wichtig blieben auch die Vierergespräche über Deutschlandfragen am Vorabend von NATO-Tagungen. Überraschend wenige Dokumente finden sich zu europäischen Fragen. Bemerkenswert ein Konzeptpapier aus dem Auswärtigen Amt angesichts der Stagnation der europäischen Integration (Dok. 274), über dessen Einbringung in die internationale Politik aber erst 1981 entschieden wurde.
Kanzler Schmidt sprach in Bezug auf den Doppelbeschluss und die Krisen zweimal von Kriegsgefahr (Dok. 130; in Dok. 132 erwähnte er - die damals auch öffentlich diskutierten - Parallelen zur Julikrise 1914). In ganz anderem Sinne kam die sowjetische Führung mehrfach auf ihre Wahrnehmung chinesischer Kriegsgefahr zu sprechen (Dok. 281), eine Einschätzung, die von bundesdeutscher Seite intern nicht geteilt wurde (Dok.318).
An vielen Punkten der Edition liest man sich gerne fest, weil die Themen, ihre Variationen und die entworfenen Lösungsmöglichkeiten so spannend sind. Häufig sind neben den Gesprächen bei Besuchen von Politikern anderer Länder oder in anderen Ländern auch Telefonate - gerade mit den wichtigsten westlichen Partnern - wiedergegeben. Die häufig fast wörtlichen Aufzeichnungen führen dann auch zu beträchtlichen Längen der Aufzeichnungen, die viel Platz einnehmen. In der Regel nicht gedruckt werden schriftliche Dokumente, die von ausländischen Staatsmännern überreicht wurden; aber auch hier gibt es Ausnahmen (Dok. 352).
Das Fazit insgesamt: eine unverzichtbare Lektüre nicht nur für jede Beschäftigung mit internationalen Beziehungen in dieser Zeit, eine Edition, deren Tempo und Niveau zu halten eine beachtliche Leistung darstellt, auf deren Fortsetzung die Forschung setzen kann.
Jost Dülffer