Rezension über:

Daniela Taschler / Tim Szatkowski / Christoph Johannes Franzen (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1989, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2020, 2 Bde., XCVIII + 1975 S., ISBN 978-3-11-066217-7, EUR 154,95
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Rezension von:
Jost Dülffer
Köln
Redaktionelle Betreuung:
Peter Helmberger
Empfohlene Zitierweise:
Jost Dülffer: Rezension von: Daniela Taschler / Tim Szatkowski / Christoph Johannes Franzen (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1989, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2020, in: sehepunkte 20 (2020), Nr. 6 [15.06.2020], URL: https://www.sehepunkte.de
/2020/06/34331.html


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Daniela Taschler / Tim Szatkowski / Christoph Johannes Franzen (Bearb.): Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1989

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"Wenn sich [...] die Reformentwicklungen im Osten weiter verfestigen und ausweiten, wenn sie vor allem auch in der DDR Fuß fassen, wenn zugleich die Wiener Verhandlungen [über konventionelle Streitkräfte und Vertrauensbildung] in einer ersten Phase erfolgreich verlaufen und dem weiteren Etappenziel einer nichtoffensiven Verteidigungsstruktur der beiden Bündnisse zugeführt werden, wenn der KSZE-Prozeß, die Ost-West-Beziehungen insgesamt dynamisch und kooperativ vorankommen, dann würden ggf. in den 90er Jahren auch auf das deutsche Problem als den entscheidenden politischen, ideologischen, wirtschaftlichen und militärstrategischen Knotenpunkt des Ost-West-Konfliktes unweigerlich neue Fragen aufkommen." Das notierte der Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt, Klaus-Jürgen Citron, am 4. Juli 1989 als mögliche Richtungen in einer sowjetischen Reformdiskussion (Nr. 205, 924). Diese vorsichtigen Überlegungen, der Optativ vieler Voraussetzungen, kennzeichnen gut die Stimmung der Diplomaten, gut vier Monate vor dem Fall der Berliner Mauer, der alles ändern oder zumindest beschleunigen sollte. Im Jahr 1989 beschleunigte sich nicht nur die deutsche Frage, sondern es war ein Epochenjahr für den Globalen Norden.

Das Institut für Zeitgeschichte legt nun im 27. Jahr mit der Präzision eines Uhrwerks seine Auswahledition der Akten des Auswärtigen Amtes vor, genau 30 Jahre nach den Ereignissen. Enthielten die bisherigen Publikationen oft forschungsleitende, erste Freigaben von Aktenstücken, so war das dieses Mal anders, und zwar national wie international, der Bedeutung der Ereignisse gemäß. Schon 1998 erschien eine "Fondsedition" der Akten des Kanzleramtes unter dem griffigen Titel "Der Kanzler gibt die Akten frei", eine merkwürdige Serenissismus-Werbung mit dem damaligen Amtsinhaber Helmut Kohl, in der seine Sicht der Dinge auf 1300 Seiten Quellen einen deutlichen Vorsprung erreichte. Die seriöse Publikation war natürlich erfreulich für die Forschung. Eine Edition zur russischen Seite aus dem Gorbatschow-Archiv folgte 2006, auf Deutsch gut editiert 2011. Es erstaunt nicht, dass auch die chronologisch sonst weit gegenüber den Deutschen hinterherhinkenden britischen wie französischen wissenschaftlichen Aktenpublikation bereits 20 Jahre nach den Ereignissen, also 2010 erschienen. Das Auswärtige Amt und damit Anteil und Sicht Hans-Dietrich Genschers am Vereinigungsprozess wurde erstmals in einer Sonderedition dieser Serie zum 25. Jahrestag, also 2015 vorgelegt, angereichert durch Dokumente des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR. Nur die USA, deren "Foreign Relations" lange Zeit die führende Edition bildete (sie ist zu Trumps Zeiten in eine schwere Krise geraten) taten nichts dergleichen; doch sind zentrale Bestände der dort üblichen Presidential Library, hier also für George H.W. Bush, online zugänglich. Reihen-Herausgeber Andreas Wirsching legt diese und andere Zusammenhänge einleitend klar dar. Bei dieser Sachlage entschied man sich - sicher richtig - bereits gedruckte Dokumente nicht noch einmal zu veröffentlichen, in den Anmerkungen dann aber auf diese hinzuweisen. Ferner gibt es Verweise auf die Gegenüberlieferung in den anderen Dokumentensammlungen, die erfreulich, aber angesichts des sonst nicht üblichen zeitlichen Vorsprungs der AAPD nicht möglich sind.

Die genannten anderen Editionen betreffen ganz überwiegend die sich zuspitzende deutsche Frage; nur hierfür wurden die meisten wichtigen Dokumente veröffentlicht, die mit Schwerpunkt ins Jahr 1990 hineinreichen. Dass 1989 das Jahr des Mauerfalls wurde, konnte jedoch zu Anfang noch niemand wissen. So deckt auch dieser Band die übliche, weltweite Außenpolitik der BRD ab, alle Kontinente inclusive Australien. Beim Malischen Präsidenten erkundigt sich Kanzler Kohl u.a. über die Südafrika-Frage (Nr. 97), die insgesamt große Beachtung findet. Ging es doch um Reformen, aber auch um Sanktionen, bei denen die Bundesrepublik in einer UN-Resolution wegen mangelnder Umsetzung getadelt wurde (Nr. 379), aber auch um die von Bonn unterstützten Unabhängigkeitsbestrebungen Namibias. Die vor allem wirtschaftliche Kooperation in Lateinamerika wird genau beobachtet. Es ist unmöglich, diese Vielfalt in einer knappen Rezension zu würdigen.

Den Kern der Edition bilden Gespräche von Kanzler und Außenminister mit ausländischen Staatspersonen. Viele davon ereigneten sich auf internationalen Konferenzen. Der Weltwirtschaftsgipfel in Paris wird nur zusammenfassend in einem Runderlass berichtet (Nr. 231). Auch sonst spielen diverse Wirtschafts- und Finanzfragen eine große Rolle. Im NATO-Rahmen, in den Diskussionen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit, aber auch im Europarat oder - besonders ergiebig - Vierergespräche der politischen Direktoren der Außenämter zwischen Bonn, Paris, London und Washington. Oft sind das Kurzprotokolle, die Wortmeldung an Wortmeldung reihen. Nach den großen Abrüstungserfolgen des INF-Vertrages von 1987 sträubte sich die Bundesrepublik gegen eine dritte Nulllösung für Kurzstreckenraketen. Die Wiener Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte und Vertrauensbildung, dazu der KSZE-Prozess mit einer Fülle weiterer Konferenzen, incl. zivilgesellschaftlicher Konsultationen (Nr. 191, 192) stechen hier hervor. Breit geht es um das Chemiewaffenverbot und den Abzug entsprechender Waffen.

In der ersten Jahreshälfte berichten die Bonner Diplomaten zumeist informiert und abwägend über die Reformprozesse in China und den Staaten des bisherigen Ostblocks - von Moskau über Bukarest und Budapest bis Warschau und Prag. Besonders die Beziehungen zu Polen bilden aufgrund der hohen Verschuldung des Landes ein auch international diskutiertes Problem, das mit Kohls Besuch während des Mauerfalls auf dieser Ebene vorerst gelöst wurde. Aber auch die Ständige Vertretung in Ost-Berlin lieferte - wie die anderen - insgesamt nüchterne Berichte mit Skepsis über die Erfolgsaussichten dortiger Reformen. Einig war man sich in der Bonner Regierung durchweg, nicht zur Destabilisierung beitragen zu wollen; bei den Botschaftsflüchtlingen aus der DDR gab es jedoch keinen Zweifel über die Hilfe für diese Deutschen, womit sich das Ende der DDR beschleunigte. Das meiste ist mittlerweile längst erforscht und Allgemeingut. Es fallen auf die sich wiederholenden ständigen Gespräche führender Bonner Politiker im Rahmen der unterschiedlichen Partner des westlichen Bündnisses. Früh machen auch deutsche Diplomaten deutlich, was heute evident ist, dass Mitterrand (Nr. 360) oder Thatcher (Nr.356) die deutsche Frage skeptisch sahen, anders der neue Präsident George H.W. Bush (Nr. 364). Das waren Ansichten, die in den bilateralen Gesprächen von Genscher und Kohl mit diesen nicht vorkommen.

Angesichts der zahlreichen Vorveröffentlichungen hatten es die Bearbeiter nicht leicht. Zum gewiss zentralen Besuch Gorbatschows in der Bundesrepublik vom 12.- 15. Juni werden zwei Gesprächsprotokolle zwischen ihm und Genscher gedruckt (Nr. 178, 179); aber das erste war bereits in der früheren AA-Veröffentlichung gedruckt (auch sonst sind mehrere Dokumente entgegen der anderslautenden Versicherung, lt. Anmerkungen, schon veröffentlicht; die damit betriebene Publikationspolitik bleibt unklar). Dass es mehrere Gespräche Kohls mit Gorbatschow gab, erfährt man zwar, aber nur aus den Anmerkungen im zusammenfassenden Runderlass an die diplomatischen Vertretungen (Nr. 182). Das führt zu der allgemeineren Kritik und Anregung: Irgendwo findet sich wohl immer der Hinweis auf die bereits veröffentlichten zentralen BRD-Dokumente, aber das ist nicht gerade nutzerfreundlich. Kann man diese nicht mit im laufenden Text wie üblich chronologisch mit einer eigenen Ziffer oder auch anders wenigstens benennen, nicht zitieren (fiktiv etwa: Nr. 161a oder: nur a)? Aus der bisher üblichen Reihe fallen gelegentliche Besprechungen Kohls mit einigen Bundesministern, aber auch Vorlagen oder gar Protokolle des Auswärtigen Ausschusses. So etwas gehört eigentlich in die jeweiligen Editionen der Kabinettsprotokolle oder des entsprechenden Ausschusses. Erfreulich, wenn auch über auswärtige Besuche von Oppositionspolitikern wie Vogel oder Ehmke, von Diplomaten aufgezeichnet, berichtet wird. Man kann sich streiten, ob etwa 14 Seiten für mehr oder weniger (nicht-öffentliche) Festreden der Staatschefs zum NATO-Gipfel sein müssen (Nr. 152), und nicht jeder Bericht aus dem bisherigen "Ostblock" ist ergiebig. Der Wechsel der Dokumentenüberschriften (z. B., angemessen: "Deutsch-amerikanisches Regierungsgespräch in Washington", Nr. 112 vs. dem leeren: "Aufzeichnung Referat 424", Nr. 52) ist schon in früheren Rezensionen zur Serie kritisiert worden. Insgesamt bleibt aber der bemerkenswert hohe Stand der Edition mit allen Anmerkungen, Registern etc. hervorzuheben. Die AAPD sind und bleiben ein wichtiger Markstein für Erforschung der Außenpolitik der alten BRD - und wohl auch künftig des vereinigten Deutschland.

Jost Dülffer