Otto Scheib: Die innerchristlichen Religionsgespräche im Abendland. Regionale Verbreitung, institutionelle Gestalt, theologische Themen, kirchenpolitische Funktion. Mit besonderer Berücksichtigung des konfessionellen Zeitalters (1517-1689) (= Wolfenbütteler Forschungen; Bd. 122), Wiesbaden: Harrassowitz 2009, 3 Bde., 1005 S., ISBN 978-3-447-06133-9, EUR 198,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Alexander Koller: Nuntiaturberichte aus Deutschland nebst ergänzenden Aktenstücken. Nuntiaturen des Orazio Malaspina und des Ottavio Santacroce. Interim des Cesare dell'Arena (1578-1581), Berlin: De Gruyter 2012
Marco Hofheinz / Wolfgang Lienemann / Martin Sallmann (Hgg.): Calvins Erbe. Beiträge zur Wirkungsgeschichte Johannes Calvins, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011
Johannes Meier: Bis an die Ränder der Welt. Wege des Katholizismus im Zeitalter der Reformation und des Barock, Münster: Aschendorff 2018
Das vorliegende monumentale Werk ist das Ergebnis der jahrzehntelangen Beschäftigung des Verfassers mit einer Entwicklungsgeschichte der "innerchristlichen Religionsgespräche", die ihn seit seiner 1976 erschienenen Dissertation über die Hamburger Religionsgespräche der 1520er Jahre nicht mehr losgelassen hat. Eine Vorentscheidung über Struktur und Aufbau des Werks fällt dabei nicht nur durch den weit angelegten Rahmen (ganz Europa, die gesamte frühe Neuzeit), sondern insbesondere durch die extrem weite Definition des Untersuchungsgegenstands. Scheib versteht unter Religionsgespräch "alle mehr oder minder theologischen Gespräche zwischen den religiösen beziehungsweise theologischen Vorkämpfern der entstehenden oder etablierten Religionen oder innerreligiöser Konfessionen und Glaubensrichtungen [...], die der Entscheidung kontroverser religiöser Fragen oder der Einigung in ihnen dienten, gleichgültig, ob sie privat oder öffentlich waren und in welcher Form sie abgehalten wurden" (22). Mit anderen Worten wird hier eine Einschränkung auf öffentlich-obrigkeitliche Religionsgespräche (etwa Irene Dingel) oder interreligiöse bzw. interkonfessionelle Diskussionen, die von akademischen Disputationen oder innerkonfessionellen Schul- und Richtungsstreitigkeiten zu unterscheiden wären (Hubert Jedin, Remigius Bäumer), abgelehnt. Ergebnis ist ein nahezu unumgrenztes Forschungsfeld, in dem durch Sichtung und Verzeichnung aller Berichte über religiöse Gespräche erst einmal Grundlagenarbeit zu leisten war, was Scheib selbst betont (19).
Als wichtige institutionelle Vorbilder und Bezugspunkte macht er die Diskussionen mit den Donatisten durch Augustinus, die scholastisch-universitäre Disputation der mittelalterlichen Universitäten, auf die das VIII. Buch der Topik des Aristoteles eingewirkt hat, sowie die mittelalterlichen Religions- und Missionsgespräche und Ketzerverhöre aus. Für das Spätmittelalter waren die Disputationen und Reunionsgespräche mit der Ostkirche und den Hussiten wichtig. Als nun Luther und die Reformation (besonders Zwingli) keine Instanz außer Heiliger Schrift und Vernunft mehr gelten ließen, musste das Religionsgespräch zur "einzigen Institution der interkonfessionellen Streitentscheidung oder der Reunion werden" (52, 72), die Zeit der "neuzeitlichen Religionsgespräche" begann. Mit der Verlagerung der Diskussion in die Territorien bekamen diese dann bald dort, aber auch in den Städten, einen ausgesprochen obrigkeitlichen Charakter; Meinungsverschiedenheiten im reformatorischen Lager führten zu "innerprotestantischen Klärungsgesprächen" (104). Nach 1548 gab es in den nun festgefügten konfessionellen Blöcken im Reich immer zahlreichere Stimmen, die Religionsgespräche zur Erreichung eines Religionsvergleichs nicht als zielführend, ja als gefährlich betrachteten, was dann besonders für die Zeit nach dem Scheitern des Wormser Kolloquiums 1557 galt. Mit der Ausbreitung der Reformation, besonders des Calvinismus, verbreiteten sich die Religionsgespräche vom Reich in die meisten europäischen Länder; besonders in Frankreich, den Niederlanden, England und Osteuropa spielten sie eine wichtige Rolle. Für die zahlreichen, meist durch ein kräftemäßiges Ungleichgewicht gekennzeichneten Diskussionen der Katholiken mit den Hugenotten in Frankreich propagierten die Jesuiten Jean Gontery und dann vor allem François Véron eine "méthode nouvelle", die von den Calvinisten verlangte, ihre gesamte Praxis und Lehre aus der Schrift ohne vernunftgemäße Konklusionen zu rechtfertigen, um so deren Schriftprinzip ad absurdum zu führen. Zugleich lässt sich im Laufe der Zeit eine inhaltliche Entwicklung hin zu theologischen Prinzipienfragen konstatieren.
Der enorme Umfang des Untersuchungsgegenstandes, der selbst Ketzerverhöre noch mitunter berücksichtigt, bedingt, dass das Ergebnis eher ein umfassendes, zur Weiterforschung nützliches Nachschlagewerk geworden ist. Dass sich zahlreiche kleinere Fehler eingeschlichen haben, war dabei vielleicht nur schwer zu vermeiden. Gravierend nachteiliger ist, dass beim Verzeichnen von Anlass und Verlauf der Gespräche in den einzelnen Ländern die theologische inhaltliche Entwicklung, ja der gesamte religionshistorische Rahmen nicht etwa aus dem Verlauf und den materialen Gegenständen der Diskussionen geschöpft wurde, sondern dem Verfasser von vorne herein weitgehend feststand. In dieses Geschichtsbild werden die Gespräche integriert, nicht dasselbe durch diese korrigiert. So ist ein mitunter überholter und zumindest einseitiger inhaltlicher Erzählrahmen der rote Faden, der die einzelnen Initiativen zusammenhält. Hierzu zählt etwa ein etwas anachronistisches Verständnis von "kirchlichem Lehramt" (etwa 59f., 68, 137 und öfter), das vielfach doch erst Resultat einer weit späteren innerkatholischen Entwicklung war, die Auffassung, dass schon nach 1530 beide Seiten im Reich ihre konfessionelle Auffassung "verabsolutierten" und eine Einigung ohnehin unmöglich gewesen sei (297, 301), die Abwertung der Vermittlungstheologie als für den Katholizismus illusorisch und schädlich (300f.), eine Deutung der religiösen Entwicklung, die immer mehr zu einem Gegenstand des "Staates" und damit enttheologisiert, von diesem machtpolitisch funktionalisiert und säkularisiert worden sei (z.B. 506). Die zentrale Frage nach einer funktionellen (Wahrheitsfindung) oder eher symbolisch-expressiven (öffentliche Legitimation einer gefällten Entscheidung) Seite der Gespräche und des Bezugs und der Entwicklung dieser Dimensionen wird kaum gestellt, vielmehr etwas unterkomplex die "Machtpolitik" der frühmodernen Staaten bedauert. Letztlich steht der Verfasser dem Instrument "Religionsgespräch" sehr reserviert gegenüber (501); Unionsgespräche und Kontroversdiskussionen machen auf ihn den Eindruck "eines ewigen Kreislaufs ohne Fortschritt und Erfolg" (505). Den Leistungen von Vermittlungstheologen und besonders der Aufklärung steht er kritisch gegenüber, gerade letztere wird als seichter Rationalismus zu undifferenziert abgewertet.
Auf diese Weise bewahrheitet sich die Selbsteinschätzung des Verfassers (11, 644), dass bei der Weite (der Definition und damit) des Untersuchungsgegenstandes an Vollständigkeit nicht gedacht werden kann und der Hauptwert der Studie in einem in dieser Fülle noch niemals zusammengestellten Verzeichnis der einzelnen Kolloquien mitsamt der Quellen und der wichtigsten Literatur liegt. Weiterführende Analysen und Auswertungen werden dadurch erleichtert; schon deshalb muss man dem Fleiß des Verfassers dankbar sein.
Klaus Unterburger