Franz Machilek: Jan Hus (um 1372-1415). Prediger, Theologe, Reformator (= Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung. Vereinsschriften der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum; 78/79), Münster: Aschendorff 2019, 271 S., ISBN 978-3-402-11099-7, EUR 29,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Johannes Meier: Bis an die Ränder der Welt. Wege des Katholizismus im Zeitalter der Reformation und des Barock, Münster: Aschendorff 2018
Marco Hofheinz / Wolfgang Lienemann / Martin Sallmann (Hgg.): Calvins Erbe. Beiträge zur Wirkungsgeschichte Johannes Calvins, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011
Bernd Roeck: Der Morgen der Welt. Geschichte der Renaissance, München: C.H.Beck 2017
Mit der hier anzuzeigenden Biografie legt Franz Machilek, ehemaliger Direktor des Bamberger Staatsarchivs und ausgewiesener Kenner der spätmittelalterlichen Frömmigkeits- und Kirchengeschichte, eine Synthese zu Leben, Werk und Wirkung des Jan Hus vor. Diese bündelt die Ergebnisse der internationalen Hus-Forschung, gerade auch was die Publikationen zum Jubiläumsjahr 2015 angeht.
Hus ist für Machilek zu Recht nur vor dem Hintergrund der breiten kirchlichen (bischöflichen, monastischen und akademischen) Reformtraditionen in Böhmen und besonders in dessen prosperierender Hauptstadt Prag im 14. und 15. Jahrhundert zu verstehen, zu deren Erforschung der Autor selbst viel beigetragen hat. Sie zielten auf moralische Erneuerung und Verinnerlichung; deren wichtige Medien waren die Predigt, aber auch Erbauungsschriften. Das Aufgreifen der Kirchenreform und die Orientierung am Gebot Gottes anstatt an menschlicher Selbstsucht und Habgier bedingten, dass Hus dem eigenen Anliegen eine evidente (moralische) Legitimität zuschrieb. Hus' Lebensweg ist durch seinen akademischen Aufstieg an der Prager Universität und ab 1402 durch seine Predigttätigkeit an der sogenannten Bethlehemskapelle geprägt. Entscheidend wurde die einsetzende Wyclif-Rezeption, mit der ein vor allem tschechisch geprägter Reformkreis (Realismus) sich gegen den vorherrschenden Nominalismus, der besonders von deutschen Magistri vertreten wurde, stellte. Zugleich entzweite sich an John Wyclif um 1400 das Lager der Reformer, da der Engländer für die gemäßigten unter ihnen als verurteilter Ketzer galt. Eine Liste von 45 Wyclif-Artikeln wurde von der Universitätsmehrheit verurteilt, war aber hart umkämpft (vor allem Remanenzlehre in der Eucharistie; Gültigkeit der Sakramente von sündigen Priestern). Erst allmählich kam es zum Bruch mit dem Erzbischof (1406/07), dann mit König Wenzel (ab 1412, als Hus den Kreuzzugsablass angriff); beim Hus-Prozess wird die entscheidende Rolle der Prager Hus-Gegner, auch aus dem Kreis seiner ehemaligen Freunde, Lehrer und Gesinnungsgenossen, betont. Er selbst ging nach Konstanz, weil er mit Jan von Jessenitz hoffte, vor dem Konzil über das Gesetz Christi disputieren und die Konzilsväter so überzeugen und sich verteidigen zu können. Stattdessen wurde der Ketzerprozess fortgeführt, bei dem Hus zwar die Anschuldigungen zurückwies, aber nicht widerrufen wollte, was er niemals gelehrt habe. König Sigismund, der seine Geleitzusage wohl nicht für den Fall einer Häresieverurteilung ausgesprochen hatte, aber doch zunächst Skrupel empfand, lies ihn schließlich endgültig fallen. Nach Beichte und Absolution wurde Hus verbrannt, worauf seine Anhänger ihn als Märtyrer und seine Gegner als Verräter und Geleitbrecher stilisierten. Hus habe sich, so Machilek, für die Reformbewegung geopfert (199).
Eine der großen Fragen der Hus-Forschung lautet seit Jahrzehnten, ob Hus nach damaligem Verständnis wirklich Häretiker, also Wyclif-Anhänger im eigentlichen Sinn, gewesen ist, oder ob er eben ein moralischer Rigorist war, der sich von dem Rigoristen Wyclif zwar nicht formell distanzieren wollte, aber keinen dogmatischen Wyclifismus vertrat. Zwar habe, so die Vertreter der letztgenannten Position, auch Hus reiche, unwürdige, sündige Priester stark kritisiert, aber nicht die dogmatische Ungültigkeit von deren Sakramenten gelehrt. Zwar habe er betont, dass die eigentliche Kirche diejenige der Erwählten sei, damit aber mit Augustinus nicht geleugnet, dass auch die sichtbare, institutionelle Kirche, zu der auch Sünder gehören, in einem anderen Sinn ebenfalls Kirche sei. Zu diesen Streitfragen - auch zu wichtigen anderen theologischen Problemen - etwa der Bewertung des umfangreichsten Werks von Hus, dem Sentenzenkommentar - referiert Machilek die Forschung, ohne selbst eindeutig Stellung zu beziehen. Hus der moralisch-rechtgläubige Rigorist, der nur Opfer seiner (und der des Jan von Jessenitz) Verteidigungsstrategie war, oder Hus der Ketzer, der die damalige Kirche untergraben habe und dem man seine Radikalität nicht posthum rauben dürfe: diese Frage ist noch immer nicht endgültig entschieden, vielleicht bleibt sie auch nicht lösbar, da Hus bewusst mehrdeutig geblieben ist. Er selbst hat sich schon deshalb nicht als Ketzer verstanden, weil nur derjenige einer sei, der hartnäckig gegen die Heilige Schrift als die lex Dei lehre.
So ist eine ungemein nützliche - gerade, was die zahlreichen, Forschungsgeschichte und Forschungsliteratur referierenden Passagen angeht - Überblicksdarstellung entstanden. Die verschiedenen Aspekte der Debatten um Hus, auch hinsichtlich der politischen Ebene und der Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen (es entwickelte sich im Kreis um Hus früh ein tschechisches Erwählungsbewusstsein), sind ausgewogen dargestellt. Man wird es vielleicht etwas schade finden, dass der Autor selbst oft beim Referieren stehen bleibt, sodass seine eigene Position höchstens indirekt anklingt. Für eine Einführung in den Gegenstand ist diese Zurückhaltung aber auch von Vorteil. Machilek zielt mit dem Begriff "Reformator" bewusst auf Zusammenhänge zur Reformation des 16. Jahrhundert. Während hier der Rekurs Luthers und anderer auf Hus vielfach in der Forschung behandelt worden ist, verspricht eine breiter angelegte Untersuchung, die auch nach der Rezeption von Rollen und Praktiken fragt und auch das Fortwirken antihussitischer Formationen mit einbezieht, für die Zukunft noch reiche Forschungseinsichten.
Klaus Unterburger