Ronald Findlay / Kevin H. O'Rourke: Power and Plenty. Trade, War, and the World Economy in the Second Millennium, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2007, xxvi + 619 S., ISBN 978-0-691-11854-3, GBP 23,95
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Globalisierung ist in aller Munde und zu ihren wirtschaftlich zentralen Bereichen zählt der internationale Handel. Ronald Findlay - Professor for Economics an der Columbia University in New York und in der Forschung breit ausgewiesen für internationalen Handel, wirtschaftliche Entwicklung und politische Ökonomie - sowie Kevin H. O'Rourke - Professor for Economics am Trinity College in Dublin und trotz einer Generation jünger als sein Ko-Autor, gleichfalls ein anerkannter Experte für die Geschichte der Globalisierung - haben sich nun mit dem vorliegenden Band das Ziel gestellt, die Wechselbeziehung zwischen der Entwicklung des interregionalen Handels auf der einen Seite und den langfristigen weltweiten wirtschaftlichen und politischen Veränderungen auf der anderen Seite im letzten Jahrtausend aufzuzeigen und zu erklären (XVI). Dabei gehen sie von der These aus, dass die heutige Globalisierung nur aus einem Prozess jahrhundertealter ungleicher wirtschaftlicher Entwicklung zu erklären ist. Eine solcherart fokussierte Darstellung liegt bisher auch nicht vor und stellt zweifelsohne einen gewaltigen Anspruch dar. Dabei werden die Tücken eines solchen Vorhabens bereits in der Einleitung thematisiert: nur eine davon ist die Gefahr, zwischen der Scylla des Eurozentrismus und der Charybdis des Sinozentrismus hin und her gezogen zu werden. In der Gesamtsicht zeigt sich für die Autoren, dass der Handel in dem größten Teil ihres Untersuchungszeitraums stark von Krieg und Frieden und damit dem politischen und militärischen Gleichgewicht zwischen den beteiligten Mächten abhängig war.
Ihre Darstellung gliedert sich in zehn Kapitel, wobei im ersten methodologische Fragen erörtert und an Hand geographischer als auch kultureller Indikatoren die sieben Weltregionen definiert werden, deren wirtschaftliche Verbindungen zu Beginn der Betrachtung am Beginn des zweiten Milleniums eine Rolle spielen. Diese Regionen werden später ergänzt. Eine solche Einteilung ist zweifelsohne notwendig, um den Gesamtgegenstand überhaupt beherrschen zu können. Die damit verbundenen Probleme sowohl der Abgrenzung als auch Einebnung von Unterschieden liegen auf der Hand. Gleichwohl werden in der weiteren Darstellung auch Binnendifferenzen innerhalb dieser Weltregionen behandelt. Im zweiten Kapitel werden die Beziehungen dieser Regionen an der Wende zum zweiten Jahrtausend dargestellt, wobei die islamische Welt die einzige Region war, die in direkten Kontakt mit allen anderen betrachteten stand, und Westeuropa zu dieser Zeit die wenigsten Verbindungen mit anderen Regionen aufwies. Das dritte Kapitel widmet sich dem Welthandel in den ersten 500 Jahren des zweiten Jahrtausends, die wesentlich durch das mongolische Imperium geprägt waren, das die eurasische Landmasse verband und den Fernhandel vom Atlantik bis zum Japanischen Meer stimulierte. Die Pest - in ihrer Ausbreitung auch dadurch begünstigt - sorgte über eine Zunahme der Realeinkommen wiederum für einen Anstieg der Bevölkerung, der Produktion und der Preise in der gesamten Welt, insbesondere aber in Westeuropa und Südostasien. Damit wurden die Voraussetzungen geschaffen für die Großen Entdeckungen, deren Folgen sowohl für die Neue Welt als auch Europa, Afrika und Asien Gegenstand des vierten Kapitels sind, das den Zeitraum von 1500 bis 1650 behandelt. Besonders wichtig war in diesem Zusammenhang der weltweite Silberhandel im 16. Jahrhundert. Das fünfte Kapitel geht auf den Kampf um die Hegemonie in der entstehenden Weltwirtschaft zwischen den Niederlanden, Frankreich und Großbritannien während des Merkantilismus sowie die Landexpansion Russlands und Chinas ein. Hier geht es den Autoren auch darum, entgegen viel verbreiteter Klischees die asiatischen Völker nicht nur als passive Akteure zu zeigen.
Im sechsten Kapitel wird ein speziellerer Blick auf die Industrielle Revolution in Westeuropa im Allgemeinen und Großbritannien im Besonderen geworfen, mit der bekanntlich der Durchbruch zum modernen Wirtschaftswachstum erfolgte. Sie wird hier als Kulminationspunkt längerer historischer Prozesse betrachtet, die auch die Interaktion aller Weltregionen durch Handel und Technologietransfer als auch durch den Einsatz bewaffneter Kräfte mit einschließt. Einerseits sehen die Autoren die Wirtschaftsgeschichte der folgenden zwei Jahrhunderte als Konsequenz jener Entwicklungen, die in der Industriellen Revolution ihren Ausgangspunkt hatten: die Great Divergence der Einkommen zwischen den verschiedenen Regionen, da sich die neuen Technologien nur teilweise über den Globus ausbreiteten; die Great Specialization zwischen dem industriell entwickelten "Zentrum" und einer rohstoffproduzierenden Peripherie; der Druck, die Landwirtschaft in den Industrieländern und das Gewerbe in den Peripherieländern zu schützen sowie das allmähliche Verschwinden dieser Trends mit der Ausbreitung der Industriellen Revolution über einen immer größeren Teil des Erdballs. Jedoch setzten sich diese Entwicklungen nicht glatt durch, sondern wurden durch politische Faktoren wesentlich beeinflusst. Als entscheidend dabei sehen Autoren die Folgen dreier größerer Weltkriege: der Napoleonischen Kriege, die das Zeitalter des Merkantilismus beendeten, sowie des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Diese Kriege und ihre wirtschaftlichen Erfordernisse hatten solch grundlegende und langfristige Folgen für die Entwicklung der Weltwirtschaft, dass sie von den Autoren zum Ausgangspunkt der folgenden drei Kapitel des Buches gemacht werden. Sie beleuchten im siebenten bis neunten Kapitel zunächst immer den jeweiligen Konflikt und gehen dann auf seine kurz und langfristigen Wirkungen ein. Dadurch entstehen zwar interessante Perspektiven, aber ob man die Entwicklungen des langen 19. Jahrhunderts den Folgen der Napoleonischen Kriege zuschreiben kann, erscheint ebenso problematisch, wie das Auseinanderreißen der Zusammenhänge zwischen Ersten Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise und Zweiter Weltkrieg. Andererseits wird mit dieser Zäsurensetzung stärker betont, in welchem Maß die Charakteristika der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg durch letzteren und seine Vorgeschichte bestimmt wurden.
Das lange 19. Jahrhundert, dem das siebente Kapitel gewidmet ist, wurde von Großbritannien und dem europäischen Imperialismus bestimmt. Wirtschaftlich spielte die Ausbreitung der Dampftechnologie und die damit verbundene drastische Senkung der Transportkosten die entscheidende Rolle. Die Autoren betonen, dass dadurch bereits früh in diesem Jahrhundert - nicht wie in der Masse der Literatur erst im letzten Drittel - eine neue Form der Globalisierung entstand. Die neue Qualität des internationalen Handels zeigte sich in seiner Intensität, aber auch seiner Struktur. Zugleich bildet sich die schon erwähnte Great Specialization heraus. Das Ende dieser Periode war aber bereits durch einen Rückschlag bei der Globalisierung gekennzeichnet, da eine Vielzahl von Ländern aus Schutzgründen wieder die Zölle anhoben, während sich gleichzeitig in der Neuen Welt eine Abneigung gegen die Massenzuwanderung herausbildete. Das erste "goldene Zeitalter der Globalisierung" ging mit dem Ersten Weltkrieg zu Ende. Der bildet wiederum den Ausgangspunkt für die Darstellung der Zwischenkriegszeit im achten Kapitel. Während in den 1920er Jahren noch mit zweifelhaftem Erfolg versucht wurde, an die Erfolge der Weltwirtschaft vor der "Großen Katastrophe" anzuknüpfen, waren die 1930er Jahre in Folge der Weltwirtschaftskrise eher durch die Abschottung der einzelnen Volkswirtschaften gegeneinander charakterisiert. Das neunte Kapitel befasst sich mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wobei politisch drei Entwicklungen hervorgehoben werden: die Etablierung der Pax Americana und der damit verbundenen multilateralen internationalen Institutionen, der Aufstieg und Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks sowie die umfassende Dekolonialisierung in der Dritten Welt. Diese Entwicklungen zusammengenommen bewirkten - und hier unterscheidet sich das Urteil der Autoren auch vom Mainstream der Literatur - zunächst eher eine Desintegration der Weltwirtschaft, was sich in den 1970er oder 1980er Jahren änderte. Erst zu dieser Zeit begannen Lateinamerika, Asien und Afrika - wo die Mehrheit der Menschheit lebte -, den Handel mit den anderen Teilen der Welt zu intensivieren. Gerade die Diffusion der industriellen Technologien in die Newly industrializing countries führten zu einem gewaltigen Anstieg der industriellen Exporte aus diesen Ländern - vor allem aus China und Indien - und zu einer Verringerung der Pro-Kopf-Einkommensunterschiede. Abschließend ziehen die Autoren im zehnten Kapitel Schlussfolgerungen für das 21. Jahrhundert aus ihrem historischen Überblick.
Insgesamt bietet der Band einen instruktiven, problemorientierten und alles in allem gut lesbaren Überblick über unser Wissen zum Welthandel im letzten Jahrtausend. Dabei erwartet den Leser auch manche Überraschung, wenn z.B. darauf verwiesen wird, dass die Preiskonvergenz - als Indikator für Marktintegration und damit Globalisierung - im 19. Jahrhundert überwiegend bereits in dessen erster Hälfte erzielt wurde (404). Allerdings ist der Text mitunter auch mit Details überladen, die über das Thema hinausführen (beispielsweise die verschiedenen Kriege in Nordamerika im 18. Jahrhundert, 252f.). Als Grundlage für ihre Darstellung greifen die Autoren auf eigene Arbeiten und die vorliegende Literatur zurück, wobei aber entsprechend den eigenen Arbeitsgebieten überwiegend cliometrische, also quantitativ vorgehende Studien herangezogen werden. Die zugrunde liegenden volkswirtschaftlichen Zusammenhänge erläutern sie auch theoretisch, ohne dass dabei technische Aspekte allzu sehr in den Vordergrund rücken. Zugleich bleiben aber auch andere methodische Zugänge nicht vollkommen außer acht. Auffällig ist allerdings, dass die ökonomische, mitunter sogar ökonomistische Argumentation dominiert, in der Macht beispielsweise lediglich als militärische und/oder politische Kategorie gedacht wird und Fragen nach Marktmacht und den daraus resultierenden Konsequenzen nicht oder bestenfalls am Rande aufscheinen. In diesem Kontext ist es vielleicht dann doch nicht nur Nachlässigkeit bei der Index-Erstellung geschuldet, dass dort Termini, die im Text durchaus genutzt und diskutiert werden, wie Imperialismus oder Dekolonialisierung, nicht auftauchen. Der aufmerksame Leser vermisst dort allerdings noch mehr Stichwörter. Bei einem Band mit solcher Breite ist es natürlich nicht überraschend, dass sich auch Einseitigkeiten und Verkürzungen darin finden: Beispielsweise wird Hitlers Machtergreifung - unter Rückgriff auf eine cliometrische Studie - allein mit der hohen Zahl von Arbeitslosen erklärt (451).
Die angeführten Kritikpunkte ändern aber nichts daran, dass Findlay und O'Rourke einen Band vorgelegt haben, der zukünftig als eines der Standardwerke zur Entwicklung und Erklärung des Welthandels gelten kann und allen daran Interessierten unbedingt ans Herz zu legen ist.
André Steiner