Marcus Annaeus Lucanus: Bürgerkrieg. Lateinisch und deutsch. Eingeleitet, übersetzt und kommentiert von Detlev Hoffmann, Christoph Schliebitz und Hermann Stocker (= Edition Antike), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2011, 2 Bde., 572 S., ISBN 978-3-534-22989-5, EUR 49,90
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Charles Tesoriero (ed.): Lucan, Oxford: Oxford University Press 2010
Marcus Annaeus Lucanus: De bello civili / Der Bürgerkrieg. Lateinisch-Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Georg Luck, Stuttgart: Reclam 2009
Andrew Feldherr (ed.): The Cambridge Companion to the Roman Historians, Cambridge: Cambridge University Press 2009
Unter dem Prinzipat Neros verfasste der Dichter Marcus Annaeus Lucanus (39-65 n.Chr.) sein Bellum Civile, ein Epos über den Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius. Die Darstellung beginnt bei Caesars Überquerung des Rubicon, erlebt ihren Höhepunkt in der Schilderung der Schlacht von Pharsalos, reicht über Pompeius' Flucht und seine Enthauptung und bricht abrupt im 10. Buch inmitten der dramatischen Kämpfe Caesars in Alexandria ab.
Viele sprachliche und inhaltliche Besonderheiten heben Lucans Epos von der vergilischen Tradition ab; daraus resultierende Missverständnisse wie der Vorwurf des rhetorisch geprägten Manierismus oder die Zuweisung zur Geschichtsschreibung statt zur Epik hatten die Abwertung von Lucans literarischer Leistung zur Folge. Erst in den letzten Jahren wird sein Bellum Civile in der Forschung wieder umfassend bearbeitet und gewürdigt.
Dieser Aktualität trägt auch die WBG mit der Aufnahme einer Übersetzung des Bellum Civile in die Reihe "Edition Antike" Rechnung. Detlev Hoffmann, Christoph Schliebitz und Hermann Stocker legen zwei Bände vor, die neben einem lateinischen Text und einer Übersetzung mit Anmerkungen eine Einleitung, eine inhaltliche Übersicht, eine knappe Literaturübersicht und ein Register beinhalten. Der Verzicht auf einen eigenständig-kritischen Text, der klare, bisweilen einfache Stil der Übersetzung und die inhaltliche Ausrichtung der Anmerkungen legen nahe, dass sie sich an einen breiten, auch fachfremden Leserkreis richten.
Die 10-seitige Einleitung führt in das Epos ein und spricht trotz des knappen Raumes wichtige Aspekte an. Angesichts des aktuellen Interesses an Lucan wäre jedoch eine umfassendere Einführung wünschenswert gewesen. Zudem erschwert leider ein geradezu plumper Stil das flüssige Lesen.
Der inhaltliche Überblick soll die "differenzierte Inhaltsstruktur" (14) widerspiegeln, doch dies mag ihm nicht gelingen. Zwar ist er übersichtlich strukturiert, die Gestaltung lässt es jedoch an Sorgfalt mangeln. Bei der Anführung der Verszahlen fallen - außer dass sie nur bei den ersten beiden Büchern fett gedruckt sind - offensichtliche Fehler auf (Buch 2: Rückzug des Pompeius und Appennin-Exkurs mit Versen 392-492 und 493-438 bezeichnet; tatsächlich bildet beides einen Block über die Verse 392-438 / Buch 7: 337 statt 237 / Buch 10: 434 statt 435). Strukturen des Epos sollen offenbar durch Fettdruck hervorgehoben werden, jedoch trifft dies fast ausschließlich nur die Bezeichnungen "Exkurs" und "Erzählung". Es scheint aber bereits beliebig, welche Exkurse überhaupt als solche angeführt werden. Zudem wird in den Büchern 3-5 auf jegliche Hervorhebung verzichtet. Für einen Überblick über das Gesamtwerk wesentlich wichtigere inhaltliche Strukturen und Episoden werden bei dieser Praxis weder markiert noch überhaupt als solche bezeichnet.
Mangelnde Sorgfalt zeigt sich auch bei der knappen Editions- und Literaturauswahl, die unpassend als "Bibliographie" bezeichnet ist. Beispielsweise wird Claudia Wicks Ausgabe des 9. Buches unter "Textausgaben" angeführt, auf den wesentlich umfangreicheren 2. Teil, der einen Kommentar beinhaltet, fehlt aber jeglicher Hinweis. [1] Zudem ist auf die fehlende Aufschlüsselung der zwei Verweise "Deroux 1992" [2] und "Croisille/Fauchere 1977" [3] und nicht zuletzt auf typographische Fehler hinzuweisen (z.B. bei "Bramble": "in" fälschlich kursiv gesetzt; bei "Bruere" fehlender Akzent und falsches Zeichen < statt ' (alles 281)).
Für die Übersetzung wird als Ziel formuliert, "diesen zugestanden schwierigen Text modern und verständlich ins Deutsche zu übertragen, den literarischen Abglanz des Originals aber dennoch gelegentlich durchschimmern zu lassen." (16) Ersteres ist mit der Konzentration auf einen verständlichen, unprätentiösen Stil und der klaren Strukturierung auch komplizierter Satzgefüge zweifellos gelungen. Im Vergleich zu der vor kurzem in 2. Auflage erschienenen Prosa-Übersetzung von Georg Luck [4] fällt besonders das Bemühen auf, wenig interpretativ zu umschreiben, sondern wenn möglich große Nähe zum Original zu wahren, worunter aber die Verständlichkeit keineswegs leidet.
Das zweite Ziel ist nicht gleichermaßen erreicht. Lucans pathetische Emotionalität und seine oftmals komplexen Sinnzusammenhänge fallen der Konzentration auf Verständlichkeit und daher oftmals Vereinfachung zum Opfer. Inwiefern dies jedoch ein Mangel ist, muss jeder Leser für sich abwägen. Wer Lucans Pathos besser nachvollziehen möchte, ist zweifellos mit anderen Übertragungen wie etwa Ehlers' [5] besser bedient. Eine Übersetzung, die so konsequent auf Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit ausgelegt ist, fehlte jedoch bisher im deutschen Sprachraum. In dieser Hinsicht bietet der vorliegende Text gerade für Einsteiger oder Fachfremde ein nützliches Hilfsmittel.
Allerdings ist das Problem zu beobachten, dass durch die Vereinfachung komplizierter Sätze teils Sinnfehler entstehen. Besonders massiv fällt dies leider im berühmten Proömium auf. Hier wird der Sinnzusammenhang bei zwei langen Perioden (38ff. und 47ff.) durch die Aufteilung in je zwei Sätze zerrissen, die im ersten Fall sogar sinnwidrig durch einen Absatz in der Übersetzung voneinander getrennt werden. Zudem finden sich Fehler, etwa in Satz 24ff. ein Bezugsfehler (25: "lapsis" bezieht sich nicht auf das lokativ aufzufassende "urbibus", sondern auf "muris") und ein in der Übersetzung fehlender Abschnitt (26: "nulloque domus custode tenentur"; vgl. nicht übersetztes "funesta" (40)). Ein solch gehäuftes Auftreten ist im Ganzen eher selten, jedoch sind die festgestellten Mängel verstreut immer wieder festzustellen (etwa Auslassungen in 9,972: "caelo"; 8,754: "litore pendebat", 755: "lacerae", 775 "Magne" / unklarer Sinn in 3,545: "liefen die Schiffe über das Heck wieder zurück" / unpassender Sinn in 3,414: für "situs" "Alter" statt dem hier gemeinten "Moder" bzw. "Schimmel").
Die Anmerkungen zum Text sind durch die Erklärung von Personen- und Ortsnamen sowie inhaltlicher und interpretativer Zusammenhänge prinzipiell hilfreich. Jedoch finden sich Fehler wie in I Anm. 21, wo "ardenti servilia bella sub Aetna" mit dem Verweis auf die Sklavenkriege in Sizilien (104-100 v.Chr.) erläutert werden; der gesamte Kontext handelt aber von Bürgerkriegsschlachten nach Pharsalus, weshalb hier die Kämpfe mit Sextus Pompeius gemeint sind. Außerdem erweisen sich zahlreiche Anmerkungen als überflüssig; so werden etwa "dalmatische Fluten" in II Anm. 66 mit "Küste Dalmatiens" erklärt. Hinzu kommen inkonsequente Setzungen, wie etwa in 9,960-963, wo "Propontis" und "Rhoetion" erklärt werden, "Sigeum" und "Simois" aber nicht.
Somit bleibt das Fazit zu ziehen, dass die Übersetzung vom Ansatz her empfehlenswert ist, diese Leistung jedoch durch einige Beanstandungen sowie die im Ganzen nicht überzeugende Anmerkungspraxis und viele andere Mängel im Umfeld leider Einbußen hinnehmen muss.
Anmerkungen:
[1] Claudia Wick: M. Annaeus Lucanus. Bellum Civile. Liber IX. Kommentar, München/Leipzig 2004.
[2] Carl Deroux (ed.): Studies in Latin Literature and Roman history. XII. (Collection Latomus 287), Bruxelles 2005.
[3] Jean-Michel Croisille / Pierre-Maurice Fauchère (éds.): Neronia 1977. Actes du 2e Colloque de la Société internationale des études néroniennes (Clermont-Ferrand, 27-28 mai 1977), Clermont-Ferrand 1982.
[4] M. Annaeus Lucanus: De bello civili. Der Bürgerkrieg, übers. u. hrsg. v. Georg Luck, Stuttgart 2009.
[5] Lucanus: Bellum Civile. Der Bürgerkrieg, hrsg. u. übers. v. Wilhelm Ehlers, München 1973.
Nadja Kimmerle