Marcus Annaeus Lucanus: De bello civili / Der Bürgerkrieg. Lateinisch-Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Georg Luck, Stuttgart: Reclam 2009, 720 S., ISBN 978-3-15-018511-7, EUR 17,80
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Das Interesse an Lucan ist in den letzten Jahren beständig gewachsen. Einschlägige Monografien erschienen zunächst überwiegend im anglofonen Sprachraum. Spätestens seit Christine Waldes Projekt "Eine menschengemachte Katastrophe als kollektives Trauma. Seine Verarbeitung in der römischen Dichtung am Beispiel von Lucans Bellum Civile" erfreut sich Lucan auch in der deutschen Forschung steigender Beliebtheit. Diesem Trend kommt Georg Luck innerhalb der reclam-Reihe mit einer überarbeiteten Version seiner Lucan-Edition und Übersetzung entgegen. Er füllt damit eine Lücke, denn bisher hatte man im deutschen Sprachraum neben seiner Übertragung von 1985 nur auf ältere Übersetzungen von Ehlers (1973) und Ebener (1978) zurückgreifen können.
Neben einer "an vielen Stellen geändert[en]" Übersetzung verspricht Luck einen "vielfach umgestaltet[en]" lateinischen Text (601). Auch damit reagiert er auf ein grundsätzliches Problem: die zwar zahlreiche, aber schon früh kontaminierte handschriftliche Überlieferung. Nach wie vor mangelt es an einer Edition, die alle bekannten Lesarten und Konjekturen berücksichtigt - auf dieses Desiderat möchte Luck besonders hinweisen (672).
Zur grundsätzlichen Beurteilung von Lucks editorischer Leistung sei auf Besprechungen der ersten Ausgabe verwiesen. [1] In der Neuauflage übernimmt er im Wesentlichen den Text der ersten Auflage und verweist auf deren kritischen Apparat. So kann er nun auf den Apparat gänzlich verzichten. Alle Änderungen sind im Anhang unter "Textvarianten" (601-607) aufgelistet, so dass der kritische Umgang mit dem gebotenen Text zwar etwas umständlicher, aber weiterhin gewährleistet ist.
Vielfach hat Luck seinen Text tatsächlich überdacht und überarbeitet. Vor allem wurden nun mehr Konjekturen aufgenommen, was überzeugend anhand der problematischen Überlieferungslage begründet wird (670-673). Außerdem wurden Stellen, an denen Luck zuvor schon Konjekturen oder andere als die üblichen Lesarten übernommen hatte, überdacht und teilweise revidiert oder durch plausiblere Varianten ersetzt (z.B. 9,591f.). An einigen Stellen behält er allerdings alte Varianten bei, was nicht immer überzeugend ist, etwa seine eigene Konjektur zu 9,810. Andererseits werden Fehler wie übersehene oder falsche Angaben nun unter den Textvarianten korrigiert (so etwa zu 7,677). Insgesamt hat sich somit die Qualität des Textes im Vergleich zur vorherigen Ausgabe verbessert.
Die Übersetzung wurde an die Änderungen im Text angepasst, was an manchen Stellen zu besserer Verständlichkeit führt (etwa 1,63f.). Doch die Überarbeitung beschränkt sich nicht darauf, sondern ersetzt an einigen Stellen auch einzelne Wendungen, wodurch der Inhalt meist korrekter wiedergegeben wird. Der Stil der Übersetzung hat sich dadurch aber nicht geändert. Mag er nach wie vor zwar etwas zu trocken wirken und Lucans Pathos und Emotionalität nicht gerecht werden, bietet er doch durch seine große Nähe zum lateinischen Text eine sehr gute Hilfe für das Textverständnis. [2]
Im Anhang bietet Luck neben dem schon erwähnten Textvariantenapparat inhaltliche Anmerkungen (609-660), knappe Literaturhinweise (661-666), ein schmales Nachwort (667-692) und ein Namenregister (693-719).
Die Chance zur nötigen grundlegenden Überarbeitung der Anmerkungen wurde leider verpasst. Sie sind größtenteils in der alten Substanz erhalten, die starke Anlehnung an die Ausgabe von Duff [3] mit teilweise wörtlichen Übertragungen ist noch immer deutlich. Geboten werden immerhin recht nützliche sachliche Erläuterungen, Vergleichsstellen, allerdings wenige Hinweise zur Struktur des Werkes und kaum Interpretatorisches. Neue Erkenntnisse und Forschungsdiskussionen fließen nicht ein, auf Literaturverweise wird gänzlich verzichtet. Kleinere Ergänzungen und wenige neue Anmerkungen bleiben qualitativ im Rahmen des bisherigen. Einzelne Formulierungen werden ersetzt, was nicht immer notwendig erscheint (z.B. 1,318f.), aber meist die Anmerkungen qualitativ verbessert. So werden auch einzelne alte Aussagen zu Recht durch vorsichtigere Formulierungen abgeschwächt (etwa zu 6,14 und 6,419ff.). Allerdings finden sich auch einige unpassende oder ohne weitere Ausführung teilweise unverständliche Anmerkungen (etwa 1,38ff.; 77; 158ff.; 183ff.; 212; 452ff.). Unpräzise ist generell die Anführung der Stellen mit "ff.", was oft die genaue Identifikation der gemeinten Textstelle erschwert.
Lobenswert ist dagegen das neu hinzugekommene Literaturverzeichnis. Der angegebene Link zur online-Gesamtbibliografie rechtfertigt vollkommen die Beschränkung auf eine knappe, aber informative Auflistung, die die wichtigsten Ausgaben, Übersetzungen und Literatur nennt. Bemängeln könnte man allenfalls, dass zwar auf Literatur zum Bürgerkrieg verwiesen wird, aber nicht zu Nero oder dem Prinzipat allgemein, was für das Verständnis von Lucans Werk mindestens genauso wichtig wäre.
Im folgenden Nachwort verzichtet Luck denn auch auf Hinweise zum neronischen Prinzipat. Statt seine umfangreiche, aber kaum erkenntnisbringende und tendenziöse Einführung der ersten Ausgabe durch eine Einführung auf neuestem Forschungsstand zu ersetzen, umgeht Luck dieses Thema durch Auslassung. Auch weitere Problemfelder werden einfach nicht (mehr) angesprochen, wie etwa seine vormals problematischen Äußerungen zu Lucans 'Republikanertum'. Andererseits werden bestimmte Themen wie etwa Lucans 'Stoizismus' zwar angesprochen, aber nur einseitig präsentiert, ohne auf die äußerst disparate Forschungslage auch nur hinzuweisen.
Gelungen ist dagegen die knappe Einleitung zu Lucans Leben, die stark bearbeitet wurde. Sachlich werden die bekannten Fakten zitiert, Unsicheres und Vermutungen klar gekennzeichnet. Durch die genannte Auslassung problematischer Aspekte entsteht aber auch hier ein fast zu harmonisch-präzise wirkendes Bild.
Für den Neuling in der Thematik besonders hilfreich dürfte der neu hinzugekommene Überblick zum Inhalt des Werkes sein. Allerdings fügt Luck bisweilen erklärende Zusätze ein, die besser in seinen Anmerkungsteil gepasst hätten. Anschließend kommt Luck noch auf Lucans literarische Vorbilder zu sprechen, unter anderem auch auf den Einfluss der stoischen Diatribe. Damit weist er implizit auf ein Forschungsdesiderat hin, denn die Vielzahl der Vorbilder Lucans ist noch nicht hinreichend untersucht.
Das recht nützliche Namenregister schließlich ist im Wesentlichen der alten Ausgabe entnommen, mit einigen wenigen neuen Einträgen oder Veränderungen. Allerdings wären die teilweise ausführlichen Erläuterungen auch hier wohl besser und einheitlicher bei den Anmerkungen untergebracht worden.
Im Ganzen ist Luck eine Ausgabe gelungen, die eine gut verständliche Lucan-Übersetzung und sogar einen eigenständigen lateinischen Text zu erschwinglichem Preis bietet und damit den Zugang zu Lucan in Zukunft hoffentlich erleichtern wird. Mag er im Anhang auch einige relevante Themen nicht oder nur einseitig ohne Bezug zur aktuellen Forschung anführen, so ist auch dieser Teil doch insgesamt hilfreicher und deutlich weniger fragwürdig als seine alte Fassung.
Anmerkungen:
[1] Informativ ist Joachim Küppers, in: AAHG 62 (1989), 172-175; vgl. Fabrizio Brena, in: A&R 33 (1988), 59-62 und Raoul Verdière, in: Latomus 48 (1989), 198f.
[2] Siehe dazu auch die in Anmerkung 1 genannten Besprechungen und Jan Burian, in: Eirene 25 (1988), 109f.
[3] Lucan. The Civil War. Books I-X, ed. and transl. James D. Duff, London 1928.
Nadja Kimmerle