Andrew Feldherr (ed.): The Cambridge Companion to the Roman Historians, Cambridge: Cambridge University Press 2009, XVIII + 464 S., ISBN 978-0-521-67093-7, USD 40,00
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Mit "The Cambridge Companion to the Roman Historians" hat Andrew Feldherr ein neues Einführungswerk zur römischen Geschichtsschreibung vorgelegt. Traditionellerweise ordnen Literaturgeschichten die Autoren chronologisch in Epochen und (Unter-)Gattungen, wie im Deutschen etwa das entsprechende Standardwerk zur römischen Geschichtsschreibung von Andreas Mehl. [1] Im Gegensatz dazu verfolgt Feldherr einen grundlegend anderen Ansatz: In einzelnen Beiträgen werden Charakteristika und Herangehensweisen, die die gesamte römische Geschichtsschreibung kennzeichnen, dargestellt. Von diesem breiten Blickwinkel aus werden einzelne Autoren - wenn überhaupt - nur in ihrem sachthematischen Zusammenhang vorgestellt.
Einen ähnlichen Ansatz hat schon John Marincola 2007 mit einem umfassenden zweibändigen Einführungswerk zur griechischen und römischen Geschichtsschreibung verfolgt. [2] Vor allem im ersten Teil ("Contexts") werden auch hier wichtige übergreifende Grundlagen angesprochen. Dennoch gelingt es Feldherr, andere Schwerpunkte zu setzen: Schon allein durch die Konzentration auf die römischen Historiker verlagert sich der Blickwinkel. Während Marincola einen großen Abschnitt für Einzelinterpretationen bestimmter Werkstellen aufnimmt, die letztlich einen Überblick über die wichtigsten Historiker schaffen, setzt Feldherr offenbar Vorkenntnisse voraus. Er sieht es gerade als Vorteil seines breiten Ansatzes, den Blick auf eher unbekanntere Autoren wie Curtius Rufus, Josephus, kaiserzeitliche griechische Historiographen oder Ammianus Marcellinus werfen zu können (2), denen jeweils einzelne Aufsätze gewidmet sind. Auch gewichtet er den Abschnitt über die Rezeption der römischen Historiker wesentlich stärker.
Stattdessen verzichtet Feldherr auf die Darstellung von 'Unter-' und 'Nachbargattungen' der Geschichtsschreibung, die bei Marincola gleich in zwei Abschnitten ausführlich vorgestellt werden. Er begrenzt seine Einführung auf "continuous prose narratives, intended to be read as 'fact', and organized around the experiences of the Roman community rather than those of an individual" (3). Dennoch wird - obwohl eigentlich explizit ausgeschlossen - in Kristina Milnors Beitrag Valerius Maximus herangezogen. Die Argumentation mit dessen Exempla-Sammlung weist implizit auch darauf hin, dass die Grenzen zu verwandten Gattungen fließend sind und sie in vielerlei Hinsicht vergleichbare Tendenzen aufweisen. Ein Beitrag, der dieses Verhältnis klärt, wäre durchaus angebracht gewesen. Denn dass solch ein Blick über die Gattungsgrenze tatsächlich gut in Feldherrs breites Konzept passt, zeigt bereits der Aufsatz von Harriet I. Flower, die Alternativen zur Geschichtsschreibung in der frühen Republik vorstellt und damit Memorialpraktiken behandelt, die außerhalb der literarischen Gattung der Geschichtsschreibung stehen.
Im Ganzen sind die Auswahl der Beiträge und die Gliederung des Bandes sehr gut durchdacht. Teil I ("Approaches") bietet eine gelungene Einführung zur antiken und modernen Konzeption römischer Geschichtsschreibung. Zuerst liefert John Marincola einen Beitrag zum antiken Publikum - natürlich zuerst, aber nicht nur die Führungseliten - und deren Erwartungen an Geschichtsschreibung. Ihm folgen zwei Aufsätze, die konträre moderne Standpunkte über die Interpretation antiker Geschichtsschreibung darstellen. Während William W. Batstone einen postmodernen Ansatz vertritt, schreibt J. E. Lendon gegen dessen literarische Herangehensweise an und stellt den Anspruch antiker Geschichtsschreiber an Wahrheit - trotz seiner Problematik - in den Vordergrund.
Den Entstehungsbedingungen der frühen römischen Historiographie widmet sich Teil II ("Contexts and Traditions") in vier Aufsätzen. Neben Flowers oben schon angesprochenem Überblick werden besonders Fabius Pictor, Cato Maior und Polybios thematisiert. Während die Einführung zu Polybios auf klassische Weise Autor und Werk vorstellt, stehen bei Fabius Pictor und Cato aktuelle Forschungsdiskussionen im Vordergrund, die nicht nur vorgestellt, sondern auch um neue Deutungen bereichert werden. Fraglich ist lediglich, ob es für einen Einführungsband sinnvoll ist, gleich in zwei Aufsätzen Cato zu diskutieren (auch wenn sich beide Aufsätze durch verschiedene Schwerpunkte ergänzen).
In den anschließenden drei Teilen werden wichtige sachthematische Grundlagen präsentiert. Teil III ("Subjects") erläutert wichtige Bezugsrahmen: die Darstellung von Zeit, Raum, Religion und Politik. Dabei erscheinen vor allem Dennis Feeneys Einführung zur relativen Zeitauffassung der Antike und Jason Davies' Diskussion über den Einfluss von Religion und religiösem Denken auf die Geschichtsschreibung besonders gelungen. Teil IV ("Modes") handelt von literarischen Techniken: Rhetorik in der Geschichtsschreibung, exemplarische Darstellung und Intertextualität werden durchweg umfassend und klar vorgestellt. Teil V ("Characters") illustriert in fünf Beiträgen die Darstellung von Charakteren und Personengruppen. Da hier nur wenige übergreifende Linien herausgearbeitet werden, sondern dieser Abschnitt sich eher in Einzeldiskussionen erschöpft, erscheint er im Vergleich zu den vorigen weniger gewinnbringend. Als Ausnahme sticht hier der Aufsatz von Kristina Milnor hervor, die ein klares Bild der Rolle der Frauen in der Geschichtsschreibung entwirft.
Abschließend behandelt Teil VI ("Transformations") die Rezeptionsgeschichte angefangen bei der Kaiserzeit bis hin zu Ansätzen des 20. Jahrhunderts. Mit sechs Aufsätzen ist es der umfangreichste Abschnitt. Dennoch fällt es verständlicherweise schwer, diesen riesigen Themenbereich umfassend darzustellen. Besonders fehlt ausgenommen der Behandlung von Ammian jeglicher Hinweis auf die Entwicklung der spätantiken Geschichtsschreibung. Dennoch gelingt es, einen Einblick in verschiedenste Gebiete zu eröffnen. Beginnend mit Josephus und griechischen kaiserzeitlichen Geschichtsschreibern wird über Ammian der Bogen zu Gibbon und damit zur neuzeitlichen Geschichtsschreibung geschlagen. Anschließend wird der Einfluss antiker Historiker auf zwei weitere Gebiete, die politische Theorie der Neuzeit und das Drama (mit Racine als Beispiel) thematisiert. Einen würdigen Abschluss liefert Emma Dench, indem sie den Bogen zur modernen Forschung im 20. Jahrhundert und damit zurück zum Beginn des Bandes schlägt.
Insgesamt gelingt es dem Band sehr gut, die angestrebte breite Perspektive auf die römischen Historiker überzeugend und auf grundsätzlich hohem Niveau umzusetzen. Die Beiträge sind übersichtlich thematisch angeordnet und ergänzen sich sinnvoll. Aufsätze, die einen Überblick über ein bestimmtes Feld geben, wechseln sich mit Aufsätzen zu Forschungsdiskussionen und eigenen Ansätzen ab. So entsteht ein breites Panorama, das sowohl Einführung als auch Weiterführung und, wie Feldherr es sich wünscht (xv), Anstöße zu neuer Forschung geben kann.
Als "Companion" ist dieser Band besonders zu empfehlen, wenn man sich bewusst macht, dass hier gerade nicht (oder fast nicht) einzelne Historiker vorgestellt werden, sondern der Schwerpunkt auf der Historiographie an sich und ihren Eigenschaften liegt. Dann bietet er eine ideale Ergänzung zu schon vorhandenem Vorwissen oder zu einem traditionell auf einzelne Historiker konzentrierten Einführungswerk.
Anmerkungen:
[1] Andreas Mehl: Römische Geschichtsschreibung, Stuttgart 2001.
[2] John Marincola (ed.): A Companion to Greek and Roman Historiography, 2 Bde., Malden, MA 2007.
Nadja Kimmerle