Isabelle Jansen / Friederike Kitschen (Hgg.): Dialog und Differenzen. 1789 - 1870 Deutsch-französisch Kulturbeziehungen (= Passagen / Passages. Deutsches Forum für Kunstgeschichte / Centre allemand d'histoire de l'art; Bd. 34), München / Berlin: Deutscher Kunstverlag 2010, XII + 416 S., ISBN 978-3-422-06939-8, EUR 54,00
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"Vermitteln zwischen Nationen", so betitelt Willibald Sauerländer seine Eloge zum 70. Geburtstag Thomas Gaehtgens [1] und betont dessen Gabe des Vermittelns und Anregens. Gleichwohl vorliegende Publikation keine Festschrift per se für Gaehtgens, dem Gründer des Deutschen Forums für Kunstgeschichte in Paris ist, so kann man doch nicht umhin, diesen Kontext außer Acht zu lassen. Der Titel 'Dialog und Differenzen' fordert gleichsam dazu auf, einen Seitenblick auf eben diesen Jubilaren zu werfen. Dieser Gedanke sei erlaubt, auch wenn die Institutionsleitung bekanntermaßen inzwischen an Andreas Beyer übergegangen ist.
'Dialog und Differenzen: 1789 bis 1870. Deutsch-französische Kunstbeziehungen', so der 2010 erschienene 34. Band in der Reihe Passagen des Deutschen Forum für Kunstgeschichte, resultiert aus zwei Tagungen von 2008. Er beinhaltet 24 Beiträge in deutscher und französischer Sprache sowie einen englischen Beitrag. Im Vergleich zu zahlreichen anderen Publikationen der letzten Jahre ist die Zweisprachigkeit ein wahrlich nicht unerheblicher Faktor, das DFK zeigt sich aber diesbezüglich stets vorbildlich.
80 schwarzweiße, jeweils zum Verständnis und zur Anschaulichkeit des Textes passend ausgewählte Abbildungen sowie qualitativ erfreuliche 16 Farbtafeln komplementieren eine auf den ersten Blick vielversprechende Veröffentlichung. Für die Anmerkungen im gesamten Band gilt, dass auf neue und neueste Forschungsergebnisse zurückgegriffen wird. Titel und Kapitelüberschriften generieren Neugier und gespannte Erwartung, zumal als Herausgeber das Deutsche Forum für Kunstgeschichte steht. Und der Leser soll nicht enttäuscht werden.
In fünf Kapiteln mit nicht mehr zu überbietender Prägnanz in der Titelgebung: "Begegnungen, Wortwechsel, Bildwechsel, Differenzen und Vermittler" bietet sich dem Leser - gleichermaßen für den Sachkundigen wie auch für ein breiteres Publikum - ein immenser Reichtum an Stoff dar. Beyer spricht im Vorwort explizit von einem wahrscheinlich erstmaligen, noch nie da gewesenen Umfang in der Beschreibung des Kunstverhältnisses zweier Länder (XI). Umso bemerkenswerter ist dann die Schlichtheit der Präsentation dieses Unterfangens, der höchstes Lob gezollt werden muss. Bestechend ist die exzellente Auswahl an Beiträgen, die sich eher mit Kleinoden beschäftigen und dies in einer wahrlich intensiven Manier. Allesamt sind sie kurzweilig, schnörkellos, pointiert, anschaulich und mit rigider Intention. Jeder einzelne Artikel zeichnet sich generell durch eine extreme Dichte von Informationen aus, die sich jedoch keineswegs negativ auf die Lesbarkeit auswirkt. Wenn Kritik geübt werden könnte, dann in der Zuordnung der Beiträge zu den jeweiligen Kapiteln. Eine klare Zuordnung scheint jedoch grundsätzlich von der Thematik der Vernetzung her problematisch zu sein.
Die für das 19. Jahrhundert typische Tendenz zum Zyklischen lässt sich in einer gewissen Weise bei vorliegender Publikation feststellen. Man denke nur an Balzac, der mit der 'Comédie humaine' faktisch einen einzigen großen Roman geschrieben hat, den der Geschichte der neuen französischen Gesellschaft. Dass der erste Beitrag von Elodie Lerner im ersten Kapitel mit einem Balzac-Zitat beginnt, mag zufällig geschehen sein, symptomatisch ist es auf jeden Fall. Zu konstatieren ist jedoch sicher, dass, wie bei Balzac, bestimmte Sujets und Protagonisten wiederkehren. Neben einer signifikanten eminenten Strahlkraft der einzelnen Beiträge können sie eben sehr wohl auch als Gesamtheit gelesen werden. Und wenn gerade der Name Humboldt, der Inbegriff desjenigen, der die Welt ganzheitlich und nicht aus der Sicht einzelner Wissenschaftszweige wahrnimmt, in vorliegendem Band nicht nur einmal erwähnt wird, bedarf es letztlich keiner weiteren Worte.
Die Autoren des Bandes arbeiten schwerpunktmäßig an anschaulichen und interessanten Wort-, Bild- und Textbeispielen heraus, in welch mannigfaltiger und auch erstaunlicher Weise sich die internationale Vernetzung präsentiert, einschließlich den politisch gesellschaftlichen Verbindungen. Es wird gezeigt, wie Bilderfindungen und Motive zitiert (189ff.), wie Bildformeln adaptiert werden (203ff.) und zahlreichen Transformationen erliegen (217), wie Helden- und Ruhmesbilder auch zu Spottbildern mutieren können (210). Aber es geht auch um technisches Wissen. Ideen, die auf generellen Veränderungen im zeit- und kunstgeschichtlichen Geschehen basieren, werden zu Sujets im deutsch-französischen Wissens- und Kulturtransfer. Es manifestiert sich, dass essentielle und innovative Charakteristika des französischen Kunstlebens des 19. Jahrhunderts, wie Medien, Ausstellungsorganisationen, Kunstmarkt und -handel sowie die neue Kunstszene im Austausch mit Deutschland sich als direkte Elemente erweisen. Nachhaltig wird dies im Schlussakkord, im Beitrag über die 'Amis des arts'. Hier wird also noch einmal daran erinnert, nachdem bereits das Atelier als prädestinierter Ort der deutsch-französischen Kunstbeziehungen näher erörtert wird (57ff.), dass eben der zukunftsorientierte, dynamische Themenkomplex der Förderung des Kunstbetriebes außerhalb des Salons sich zu einem der neuen Schwerpunkte des Kulturtransfers heranbildet.
Bislang wurde zu gerne immer wieder auf bekannte Namen zurückgegriffen, wenn es um den deutsch-französischen Kulturtransfer geht. Erfrischend nun hier das Ansinnen der Herausgeber, weniger bekannte Namen und Aspekte stärker einzubeziehen oder sogar in den Fokus der Betrachtung zu rücken, die sich dann letztlich als signifikante Größen diesbezüglich herausstellen. Gleiches gilt auch für eher unbekannte Stiche, Grafiken und Illustrationen. Die Autoren beschreiten mit ihren Sujets Wege, die noch nie beschritten wurden, oder aber sich noch nicht totgelaufen haben.
Das Hauptaugenmerk wird auf noch unbearbeitete Felder gerichtet: so geht es zum Beispiel bei der Barbizonmalerei erstmalig um die Rezeption in der Mitte des 19. Jahrhunderts im Gegensatz zur bisherigen Forschung und ihrer ausnahmslosen Beschäftigung mit den französischen Reaktionen auf die anti-akademische Auffassung (154ff.). Montabert de Paillots Œuvre, in Frankreich als das kompletteste Werk seiner Art, wird herangezogen, um wahrlich interessante Vergleiche in einem eher vernachlässigten Bereich, dem der Technik, auszuarbeiten (351).
Dieser in sich stimmige Band ist weit mehr als die Spiegelung des "weltanschaulichen, diskursiven und medialen Facettenreichtums der Dialoge und Differenzen von Deutschen und Franzosen über bildende Kunst", wie von Friederike Kitschen in der Einleitung angesprochen wird (1). Er darf sehr wohl auch mit Hintersinn gelesen werden. Titel und Titelillustration, obwohl um 1800 Amor und Psyche eines der beliebtesten Themen der Literatur und bildenden Kunst ist, tun ein Übriges zu dieser Annahme. "Dialog und Differenzen" assoziiert ganz einfach eine weitreichendere, ja eine Erhöhung der Signifikanz des Titels.
Ähnlich wie am Ende der Geschichte von Amor und Psyche: eine Vereinigung der beiden Liebenden nach langer Suche, hat die Publikation zweifelsohne das Potential das kulturelle Verständnis beider Länder in einer konfliktreichen Epoche - vom Beginn der Französischen Revolution bis zum Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges - zu fördern und kooperativ mit den Differenzen umzugehen. Durch ("dia") das Wort ("logos") werden unterschiedliche Vorstellungen eingespannt und ein neues Verstehen und damit eine neue Ebene im Kulturtransfer und Kulturaustausch erreicht.
Idealerweise könnte dies auch zu einer neuen Einsicht in unserer herrschenden Aktualität und den immer intensiveren gesellschaftlichen Vernetzungen auch Europas führen. In der Einleitung wird denn auch davon gesprochen, dass die beiden Kulturen, die deutsche und die französische, nicht mit den Herderschen Kugeln (5), einem Kulturmodell: mit seinem Schwerpunkt in sich ruhend und sich gegenseitig abstoßend, konform gehen.
Eben weil wir mehr denn je in einem zwar auf Dialog ausgerichteten, aber auf permanente Differenzen stoßenden Europa leben, ermöglicht dieser Band einen Blick auf eine Geschichte vor nicht allzu langer Zeit in Kunst und Kultur, aber auch in politische Verwicklungen. "Vermitteln zwischen Nationen" kann hier sehr wohl aktuell verstanden werden. Gaethgens Gründungsgedanke ist prachtvoll umgesetzt worden.
Anmerkung:
[1] Süddeutsche Zeitung (24.6.2010).
Kristiane Pietsch