Angela Romano: From Détente in Europe to European Détente. How the West Shaped the Helsinki CSCE (= Euroclio; No. 44), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2009, 248 S., ISBN 978-90-5201-471-5, EUR 32,60
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Das politische Gewicht der Europäer in Ost und West wuchs gegenüber den beiden Supermächten je mehr es durch die Détente gelang, die Bedeutung von Sicherheitsfragen zu verringern und Washington und Moskau einander anzunähern. Im Rahmen des KSZE-Prozesses emanzipierten sich die Europäer auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs politisch ein Stück weit von ihren Hegemonialmächten. Im militärischen Bereich gelang das während des gesamten Ost-West-Konflikts nie. Die Selbstbehauptung Europas in den KSZE-Verhandlungen untersucht Angela Romano im vorliegenden Band.
Zunächst analysiert sie die zeitgenössische Wahrnehmung der KSZE-Schlussakte vom 1. August 1975, um dann auf die Vorgeschichte der KSZE einzugehen, die bis zum ersten Vorschlag Moskaus zur Einberufung einer Europäischen Sicherheitskonferenz 1954 zurückreicht. Im dritten und vierten Abschnitt setzt sich Romano mit der Entspannungspolitik in der Europäischen Gemeinschaft (EG) während der Jahre 1969 bis 1975 auseinander. Im fünften Kapitel werden die Auswirkungen der KSZE-Verhandlungen auf die Konsultationsmechanismen unter den EG-Mitgliedern zusammengefasst.
Wie Romano zu Recht betont, wirkte die Idee zur Einberufung einer Europäischen Sicherheitskonferenz vor allem nach dem Beginn der sozialliberalen Ostpolitik im Herbst 1969 als Katalysator für die Entwicklung einer multilateralen Ostpolitik der EG-Staaten, die zur Vertiefung der westeuropäischen Integration beitrug. Romano schildert präzise, wie ab 1969 die damals noch sechs und wenig später dann neun EG-Staaten im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) nicht nur an gemeinsamen Positionen zur Entspannung arbeiteten. Sie schufen darüber hinaus dauerhafte außenpolitische Konsultationsmechanismen, die de facto zum ersten Meilenstein in der Entwicklung der aktuell kriselnden Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik wurden. [1]
Für den Leser wäre es hilfreich gewesen, wenn sich Romano stärker mit den unterschiedlichen europapolitischen Vorstellungen der entscheidenden Akteure in den einzelnen Nationalstaaten auseinandergesetzt hätte. Denn im Hinblick auf die Gleichklänge, Friktionen und Interdependenzen zwischen den Entspannungskonzepten Willy Brandts und Georges Pompidous bleibt man weitgehend im Dunkeln. Außerdem hätte die Darstellung davon profitiert, wenn sich die Autorin eingehender mit der Dialektik von Stabilität und Wandel im Entspannungsprozess beschäftigt hätte. [2] Wieviel Stabilisierung des Status quo war aus deutscher und französischer Sicht nötig? Wie weit sollte der Westen mit seinen Forderungen zur Öffnung der östlichen Systeme gehen? Wie wurden auf westlicher Seite die Möglichkeiten zur Induzierung bzw. zur Beeinflussung staatlicher und gesellschaftlicher Wandlungsprozesse hinter dem Eisernen Vorhang gesehen? Diese Fragen reißt Romano nur relativ kurz an (125-128), indem sie die Entwicklung einer gemeinsamen westlichen Kontaktpolitik unter dem Label "freer movement of people, information and ideas" im späteren Korb III der KSZE-Schlussakte skizziert. [3]
Mit den Implikationen der deutschen Frage für die Entwicklung des gesamten Entspannungsprozesses befasst sich Romano eher am Rande. Beiläufig erwähnt sie, dass die KSZE aus französischer Sicht "die wachsende politische Stärke Westdeutschlands eindämmen sollte" (150). Auch hier bedauert man, dass Romano auf die Motive der beteiligten politischen Akteure nicht präziser eingeht. Der Leser erfährt kaum Neues darüber, wie Georges Pompidou die sozialliberale Transformationspolitik aus eigener Überzeugung unterstütze, sich aber gleichzeitig anfänglich besorgt über zu schnelle Erfolge der Brandtschen Ostpolitik zeigte und schließlich in der KSZE das ideale Forum für eine multilaterale Transformationsdétente erblickte, die langfristig Wandel unter stabilen Rahmenbedingungen versprach. [4]
Detailliert beschreibt Romano die amerikanische Rolle im Entspannungsprozess. Die Autorin analysiert treffend, wie Präsident Richard Nixon und sein Sicherheitsberater Henry Kissinger die dynamische Entspannungspolitik der Westeuropäer in den KSZE-Verhandlungen lange Zeit durch ihre Bereitschaft zu voreiligen Konzessionen gegenüber Moskau torpedierten. Zwar räumt die Autorin ein, dass die von Präsident Johnson unter dem Rubrum "Bridge Building" initiierte amerikanische Transformationspolitik nach Nixons Amtsantritt 1969 im State Department fortgesetzt werden konnte. Doch insgesamt habe - so Romano - die Machtfülle des Weißen Hauses die Fortführung der amerikanischen Transformationsdétente spätestens ab 1973 verhindert (177). Berücksichtigt man freilich ein breiteres Spektrum amerikanischer Akten [5] kann dieser Befund nicht überzeugen.
Tatsächlich unterstützte die amerikanische KSZE-Delegation - anfänglich ohne das Wissen Kissingers, später mit dessen Duldung und schlussendlich mit seiner Unterstützung - die ambitionierten Forderungen der Westeuropäer zur Öffnung der Gesellschaften hinter dem Eisernen Vorhang durch spezifische Regelungen zu "freer movement of people, information and ideas" in Korb III. In der administrationsinternen Auseinandersetzung mit Kissinger saßen die amerikanischen "Bridge Builder" dank der Unterstützung der Westeuropäer in den KSZE-Verhandlungen letztlich am längeren Hebel. [6] Weil Kissingers eigene, rein stabilitätsorientierte Entspannung zunehmend in die Krise geriet, war er gezwungen, auf die transformationspolitischen Forderungen seiner Verbündeten immer stärker Rücksicht zu nehmen und diese schließlich sogar in einer Reihe entscheidender Gespräche zur KSZE ab Ende 1974 zu unterstützen.
Unter dem Strich verdeutlicht Angela Romanos Darstellung die enorme Bedeutung der KSZE in Hinblick auf die Selbstbehauptung der Westeuropäer gegenüber den Supermächten. In der Tat eröffnet Romano mit ihrem Band einen neuen Blickwinkel auf die Geschichte der europäischen Integration, indem sie zeigt, wie die EPZ im Zusammenhang mit den KSZE-Verhandlungen den Weg zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ebnete. Diese funktionierte in den 1970er Jahren ausgesprochen gut, obwohl sie noch nicht so genannt wurde. Wer sich jedoch grundlegenden Erkenntnisgewinn zur Dialektik von Stabilität und Wandel in Europa verspricht, dem hilft Angela Romanos Buch nur in Ansätzen weiter.
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu auch Daniel Möckli: European Foreign Policy during the Cold War - Heath, Brandt, Pompidou and the Dream of Political Unity, London 2009.
[2] Vgl. dazu Oliver Bange / Gottfried (eds.): Helsinki 1975 and the Transformation of Europe, New York / Oxford 2008.
[3] Dazu ausführlich Petri Hakkarainen: From Linkage to Freer Movement - The FRG and the Nexus between Western CSCE Preparations and Deutschlandpolitik, 1969-72, in: Andreas Wenger / Vojtech Mastny / Christian Nünlist (eds.): Origins of the European Security System - The Helsinki Process revisited, 1965-1975, London 2008, 164-182.
[4] Vgl. Marie-Pierre Rey: France and the German Question in the Context of Ostpolitik and the CSCE, 1969-1974, in: Bange / Niedhart (eds.): Helsinki 1975, 53-66.
[5] Vgl. z. B. Foreign Relations of the United States, 1969-1976, Vol. 39 (European Security, 1969-1976), ed. by Douglas Selvage, Washington D.C., 2008.
[6] Vgl. dazu James E. Goodby: Europe Undivided - The New Logic of Peace in U.S.-Russian Relations, Washington D.C. 1998, vor allem 37-64; Oliver Bange: Die USA und die oppositionellen Bewegungen in Osteuropa 1961-1990, in: Hans-Joachim Veen / Ulrich Mählert / Peter März (Hgg.): Wechselwirkungen Ost-West - Dissidenz, Opposition und Zivilgesellschaft 1975-1989, Weimar 2007, 79-95; Stephan Kieninger: Transformation or Status Quo - The Conflict of Stratagems in Washington over the Meaning and Purpose of the CSCE and MBFR, 1969-1973, in: Bange / Niedhart (eds.): Helsinki 1975, 67-82; Kenneth Weisbrode: The Atlantic Century - Four Generations of Extraordinary Generations who forged America's Vital Alliance with Europe, Cambridge, MA 2009.
Stephan Kieninger