Christoph Markschies / Ingeborg Reichle / Jochen Brüning / Peter Deufelhard (Hgg.): Atlas der Weltbilder (= Forschungsberichte der Interdisziplinären Arbeitsgruppen der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 25), Berlin: Akademie Verlag 2011, XVI + 463 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-05-004521-4, EUR 49,80
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Der reich bebilderte Band - Resultat eines Forschungsprojekts an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften - präsentiert bildliche Darstellungen der Welt und des Kosmos zwischen dem 9. Jahrhundert v.Chr. und dem Computerzeitalter. In 38 kompakten Texten befassen sich namhafte Vertreter und Vertreterinnen ganz unterschiedlicher geistes- und naturwissenschaftlicher Disziplinen mit einzelnen Artefakten, die visuell Welten erzeugen, Modelle von Weltsicht präsentieren und Vorstellungen der Weltordnung konstruieren. Entstanden ist auf diese Weise ein eindrucksvolles, aus vielfältigen Forschungsperspektiven gespeistes Kaleidoskop zeitspezifischer und jeweils unterschiedlich materialisierter Wahrnehmungen der Welt als Gesamtes.
Es sind bekannte und weniger bekannte Skizzen, Schemata und Diagramme, Kartenbilder, Gemälde und Fotographien, die als prägende Vermittler von Wissen über die Welt interpretiert und in ihrer Zusammensetzung, in ihren Austauschbeziehungen mit bildlicher und schriftlicher Überlieferung sowie in ihren Traditionskontexten kommentiert werden. Nicht recht klar allerdings wird, was die jeweils fachdisziplinär akzentuierte Auswahl der vor allem aus der Zeit zwischen Mittelalter und Gegenwart stammenden und in chronologischer Folge vorgestellten Artefakte im Einzelnen begründet hat. Gleichwohl erlaubt sie mannigfache Einblicke in zeitgebundene Eigenarten wie auch langfristige konzeptuelle Vorstellungen von der Welt.
Ein auffälliges Moment bei der Lektüre sind die vielfältigen Verschränkungen des Wissens über das sinnlich Erfahrbare mit einer religiös-theologischen Orientierung, die als Ausdehnung von Welterfahrung im mittelalterlichen Abendland entfaltet wurden und seit der frühen Neuzeit zumindest teilweise durch eine säkulare Wissensordnung ersetzt worden sind. Gleichzeitig werden modellhafte Konzeptionen von der Entstehung und Beschaffenheit des Kosmos' und der Erde fassbar gemacht - zum Beispiel mit personal gedachten ägyptischen und babylonischen Auffassungen von einer mythischen, durch Götter etablierten kosmischen Ordnung oder mit der im Mittelalter entwickelten Theorie von Mikrokosmos und Makrokosmos, die von der Spiegelung der Schöpfung im Menschen ausgeht. Wirkungsvolle Visualisierungen der Weltauffassung lassen sich aber auch beobachten mit Übertragungen heilsgeschichtlicher Erklärungen von Welt bei der Zurschaustellung von Herrschertum, mit Personifikationen, Allegorien und emblematischen Repräsentationen, die kunstvoll politische und Wissensmacht inszenieren, mit nachhaltigen Visualisierungen des heliozentrischen Weltbilds.
In den Beiträgen zu den Entwürfen des 19. bis 21. Jahrhundert wird die Experimentierfreude deutlich, mit der wissenschaftliche, künstlerische und durch neue Technologien ermöglichte Repräsentationsformen kombiniert wurden. Dies zeigen solche Darstellungen, die malerische Elemente und Wissenschaftlichkeit holistisch verbinden, die ästhetische Erfahrung als Wissenschaft präsentieren oder die Entstehung, Ordnung und Abläufe in Universum und Welt abstrakt-wissenschaftlich visualisieren. Dazu gehören aber auch Sinnbilder, die Historizität und Gegenwart von Weltsicht reflektieren, sowie die weltweit genutzten Adaptionen der alten Kulturtechnik Kartographie im Netz, die nicht nur als Einsichten in die Beschaffenheit von Welt, sondern auch als handlungsorientierte Instrumente begriffen werden können.
Der Atlas der Weltbilder ermöglicht über mehrheitlich anschaulich verfasste Texte, eine angemessene Bebilderung und unaufgeregte Gestaltung Einblick in vielfältige Formen der Darstellung, Reflexion und Interpretation von Welt. Er führt einem breiten Publikum eingängig vor Augen, dass die Weltsicht nicht durch eine lineare teleologische Entwicklung hin zu einer wissenschaftlich-abstrakten Darstellung der Welt bestimmt ist, sondern mythologische und gelehrte Elemente bis in die Gegenwart in vielfältiger Weise miteinander verkoppelt werden.
Martina Stercken