Václav Bůžek: Ferdinand von Tirol zwischen Prag und Innsbruck. Der Adel aus den böhmischen Ländern auf dem Weg zu den Höfen der ersten Habsburger, Wien: Böhlau 2009, 378 S., ISBN 978-3-205-77776-2, EUR 35,00
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Arndt Schreiber: Adeliger Habitus und konfessionelle Identität. Die protestantischen Herren und Ritter in den österreichischen Erblanden nach 1620, München: Oldenbourg 2013
Gerhard Rill: Fürst und Hof in Österreich. Von den habsburgischen Teilungsverträgen bis zur Schlacht von Mohács (1521/22 bis 1526). Band 2: Gabriel von Salamanca, Zentralverwaltung und Finanzen, Wien: Böhlau 2003
Esther-Beate Körber: Habsburgs europäische Herrschaft, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002
Michael Hochedlinger: Austria's Wars of Emergence. War, State and Society in the Habsburg Monarchy 1683-1797, London / New York [u.a.]: Longman 2003
Werner Telesko / Sandra Hertel / Stefanie Linsboth (Hgg.): Die Repräsentation Maria Theresias. Herrschaft und Bildpolitik im Zeitalter der Aufklärung, Wien: Böhlau 2020
Gabriela Signori (Hg.): Die lesende Frau, Wiesbaden: Harrassowitz 2009
Marie-Theres Fojuth: Herrschaft über Land und Schnee. Eisenbahngeographien Norwegens 1845-1909, Paderborn: Ferdinand Schöningh 2019
Václav Bůžek bezeichnet seine vorgelegte Studie selbst als eine Monographie "analytischen Charakters" (36), die er als konkreten Beitrag der tschechischen Geschichtswissenschaft zu aktuellen europaweiten Diskussionen über Verfall und Wesen der Integrationsprozesse in der Frühen Neuzeit verstanden wissen will.
Hierzu passt, dass es Erzherzog Ferdinand (1529-1595), der ab 1567 Ferdinand von Tirol genannt wurde, zunächst als Statthalter in Böhmen gelang, die lokalen Eliten an den Hof in Prag zu binden. Später als Landesherr von Tirol und Vorderösterreich erreichte er eine vergleichsweise gelungene Integration des böhmischen Adels auch am Innsbrucker Hof. Welche Mittel er hierbei anwandte und inwiefern sie propagandistischen Zwecken oder seiner Selbstrepräsentation als christlichem Ritter und vorbildlichem Herrscher dienten, untersucht Bůžek auf einer breit angelegten Quellengrundlage (Festbeschreibungen, Korrespondenzen, Gemälde, Porträts, Stiche, Wappengalerien, Gebäude, Trinkbücher, Epitaphe oder Votivbilder).
Ausgangspunkt seiner methodischen Überlegungen ist das Konzept "akzeptanzorientierter Herrschaft" (19), das aus einer intensiv geführten Forschungsdiskussion der letzten Jahre hervorgegangen ist, die einen nachhaltigen Wandel in der Beurteilung frühneuzeitlicher Herrschaftsverhältnisse ergeben hat. Anstatt die Befehlsgewalt des Landesherrn "auf völlig unrealistische Weise absolut" [1] zu setzen, wurden Erklärungsmodelle für die Funktionsweise von Herrschaft gesucht, die sowohl symbolische Repräsentation als auch institutionalisierte Kommunikationsabläufe in angemessener Weise berücksichtigen. Der zunächst von Klaus Schreiner und Ulrich Meier vorgeschlagene Begriff der "konsensgestützten Herrschaft" [2] wird in Bůžeks Studie jedoch durch das Konzept der "akzeptanzorientierten Herrschaft" ersetzt, deren Umsetzung eine ständige Kooperation zwischen Obrigkeit und Untertanen erforderte. Ihr Erfolg hing wesentlich von der Einbindung lokaler Eliten in den Hof des Herrschers ab (52).
Aus diesem Grund wendet sich Bůžek nach einer versierten thematischen Einleitung und einem kurzen Forschungsstand im ersten Teil des Buches erst einmal den Mitteln der Integration des böhmischen Adels innerhalb der Habsburgermonarchie zu (41-75). Er betritt damit weitgehend Neuland, weil sich die Erforschung des Kaiserhofes und der Habsburgerresidenzen lange auf die traditionelle Sichtweise der Verwaltungsgeschichte und der - mit den Worten Bůžeks - "Beschreibung der politischen Kämpfe auf monarchischer Ebene" (7) beschränkt hat. Allerdings bereitete die zunehmend prosopographisch ausgerichtete Forschung ab den 1990er Jahren methodologische Neuerungen bereits vor, indem sie von der statischen Beschreibung des kaiserlichen Hofes und seiner administrativen und politischen Funktionen abrückte und den Hof nunmehr als komplexes soziales und dynamisches Gefüge wahrnahm, von dem weitreichende politische und kulturelle Impulse ausgingen.
Ein Hauptaugenmerk des vorliegenden Buches gilt den bei verschiedenen Festlichkeiten verwendeten Symbolen, auf deren Auswahl Ferdinand selbst Einfluss nahm, so dass dem Erzherzog in der Argumentation Bůžeks auch gerade deshalb eine Schlüsselrolle zufällt. Anhand der Ritterspiele, die konsequent in einen politischen, religiösen und kulturellen Kontext eingeordnet werden (306), wird in einem eigenen Kapitel die "kollektive Unterhaltung des Adels" (309) als Mittel der symbolischen Kommunikation analysiert. Die adelige Gesellschaft, die an dieser Kurzweil teilnahm, bildete ein wesentliches Element in der Kommunikation zwischen dem höfischen Zentrum der Herrschaft und den Regionen. Bůžek sieht in der Dramaturgie der Ritterspiele, ihrer ganz spezifischen Art der Kommunikation, sogar das eigentliche Instrument zur Integration des Adels und gleichzeitig ein Mittel zur langfristigen Durchsetzung persönlicher und dynastischer Interessen der Habsburger im Königreich Böhmen (239).
Ebenso große Bedeutung hatte vermutlich jedoch die Intensivierung der persönlichen und familiären Verbindungen des Adels aus den unterschiedlichen Ländern der Habsburgermonarchie, auf die Ferdinand zu Beginn seiner Regierungszeit besonders bedacht war. Insbesondere eheliche Verbindungen des böhmischen und ungarischen Adels mit Familien aus den österreichischen Ländern wurden zu einer wichtigen Grundlage der Integrationsbemühungen des Herrschers (57). Bůžek belegt diese These am Beispiel einer der bedeutendsten Eheschließungen. So nahm Jošt III. von Rosenberg im Jahr 1530 Anna von Roggendorf, eine Hofdame der Königin Anna Jagiello, zur Frau. Dabei widersprachen solche übernationalen Eheverbindungen zunächst dem konservativen Denken des habsburgtreuen, katholischen Adels (58). Dass die familiären und verwandtschaftlichen Verbindungen mit dem österreichischen Adel die sprachliche Erziehung der Söhne Jošts III. von Rosenberg beeinflussten und es ihnen später ermöglichten, persönliche Beziehungen zu fürstlichen Familien im Reich zu knüpfen, schlüsselt Bůžek ebenfalls auf. Er betont aber auch, dass Ferdinand I. nicht so weit ging, auch protestantische Eheschließungen zu fördern.
Eine religiöse Dimension der Politik von Ferdinand blieb stets erkennbar. Es kann zu Recht sogar von einer Festigung und Intensivierung des Einflusses der katholischen Kirche in Tirol und Vorderösterreich gesprochen werden. Nicht zuletzt weist Bůžek eine Manifestation des Katholizismus in der Dramaturgie der Feierlichkeiten und Inszenierungsformen nach (305-312).
Das Buch bietet eine Vielzahl von Anknüpfungspunkten für weitergehende Forschungen oder Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Höfen. Bisweilen sieht man die Integrationsprozesse vor lauter Dramaturgie der Einzüge, Krönungen, Hochzeiten, Turnierkämpfe, Hetzjagden, Trink- und Essgelage kaum noch, aber genau diese Breite der Darstellung zeichnet das Buch im Kern aus. 53 Abbildungen runden den Band ab, und ein kombiniertes Personen- und Ortsregister ermöglicht eine gezielte Suche.
Anmerkungen:
[1] Stefan Brakensiek: Akzeptanzorientierte Herrschaft. Überlegungen zur politischen Kultur der Frühen Neuzeit, in: Helmut Neuhaus (Hg.): Die Frühe Neuzeit als Epoche (= Historische Zeitschrift, Beihefte N.F. 49), München 2009, 395-406, hier 395.
[2] Ulrich Meier / Klaus Schreiner: Regimen civitatis. Zum Spannungsverhältnis von Freiheit und Ordnung in alteuropäischen Stadtgesellschaften, in: Dies. (Hgg.): Stadtregiment und Bürgerfreiheit. Handlungsspielräume in deutschen und italienischen Städten des Späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit (= Bürgertum; 7), Göttingen 1994, 9-34.
Britta Kägler