Nicole Völtz: Staatsjubiläum und Friedliche Revolution. Planung und Scheitern des 40. Jahrestages der DDR 1989 (= Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; Bd. 31), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2009, 311 S., ISBN 978-3-86583-306-8, EUR 40,00
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Der Staatsgründungstag am 7. Oktober nahm im Fest- und Feiertagskalender der DDR einen prominenten Platz ein. 1950 zum gesetzlichen Feiertag deklariert, sollten an diesem Tag der erfolgreiche Weg des SED-Staates zur Schau gestellt und die Legitimierung des Systems unterstrichen werden. Die Schaffung einer eigenen "nationalen" Identität der DDR-Bevölkerung rückte vor allem in den 1970er Jahren als Kompensation zur potenziellen Öffnung im Zuge der Entspannungspolitik in den Vordergrund. Der Rückgriff auf bisher verpönte Bereiche der deutschen Nationalgeschichte, vor allem der preußischen Geschichte seit Ende der 1970er Jahre, wie auch die verstärkte Heimatpflege und Heimatforschung sollten einer solchen Identitätsstiftung Vorschub leisten. Identitätsstiftende wie auch legitimatorische Funktionen sind historischen Jubiläen keineswegs nur in Diktaturregimen eigen. Wie erfolgreich Jubiläen solche Funktionen erfüllen, hängt nicht zuletzt von der Mitwirkung der Bevölkerung, der "Mitglieder der inszenierenden institutionellen Ordnung" (21) ab. Wie aktiv diese Mitglieder, sprich die Gesellschaft, in die Vorbereitungen und in die Inszenierung auch eingebunden sind, ihre Teilnahme oder ihre Verweigerung der Teilnahme entscheiden über Erfolg oder Misserfolg der Inszenierung. Welche Wirkungsmächtigkeit dieser "institutionelle Mechanismus historisches Jubiläum" in der DDR 1989 angesichts der Erosion von Macht und angesichts der tiefgreifenden Krise entfalten konnte, ist die zentrale Frage, der Nicole Völtz in ihrer Dissertation nachgeht. Ihre These lautet, dass die DDR-Staats- und Parteiführung dabei in eine "Jubiläumsfalle" geraten sei. Je stärker sich die Krise der DDR ausprägte, umso heller sollte das "kontrafaktische Symbol" 40 Jahre DDR leuchten (22). Stabilität sollte vermittelt werden, zugleich boten die Feierlichkeiten aber die Bühne für Proteste.
Nach einleitenden Kapiteln zur "Inszenierung des Sozialismus" und zur DDR-Gesellschaft in den 1980er Jahren entfaltet Völtz ein umfassendes Bild der Planung und Vorbereitung des Jahrestages, der dabei auftretenden Schwierigkeiten und der Reaktionen von Partei und MfS. Der Schilderung der Jubiläumsfeier selbst folgen Ausführungen zu deren Rezeption. Völtz konzentriert sich zum einen auf die zentrale Ebene und auf Berlin als Hauptort des Jubiläums, geht aber den konkreten Vorgaben und deren Durchführung am lokalen Beispiel der Stadt Dresden nach.
Die umfassende Mobilisierung über Partei und Massenorganisationen bis hin zur Hausgemeinschaft folgte gängigen SED-Strategien und sollte eine breite Beteiligung der DDR-Gesellschaft, eine "Volksbewegung" im Zeichen des Staatsjubiläums suggerieren. Doch 1989 zeigten sich weit deutlicher als früher auffallende Risse in diesem Bild. Die Kampagnen zur Entfachung der Wettbewerbsbewegung anlässlich des DDR-Geburtstages stießen auf erheblich weniger Resonanz als erhofft. Der FDGB-Bezirksvorstand Dresden resümierte nach dem ersten Quartal 1989, dass der politische Aufwand in keinem Verhältnis zum Erfolg stehe. Nur 31 Prozent der Betriebe hatten im Bezirk bis zu diesem Zeitpunkt die Vorgaben erfüllt. Derartige Misserfolge waren in den üblichen systemimmanenten Mängeln der Planwirtschaft begründet, zeigten jedoch auch die nachlassende Mobilisierungskraft des Regimes.
Bekannt sind die Protestaktionen und Demonstrationen am 7. Oktober in Berlin und anderswo, die von den "Sicherheitskräften" brutal aufgelöst wurden. Bekannt ist auch die dramatische Ausreisewelle, die die DDR-Führung 1989 in eine enorme Legitimitätskrise stürzte. Weniger ins Bewusstsein gerückt sind die zahlreichen Verweigerungshaltungen, etwa die Weigerung des FDJ-Sinfonieorchesters im Blauhemd aufzutreten, die Verweigerung von Auszeichnungen (Günter de Bruyn) oder die Absage der Teilnahme am Staatsakt (z. B. Sigmund Jähn). Die Mehrheit der Bevölkerung, so die Einschätzung des MfS, interessierte sich nicht für die Jubiläumsfeier. Der Unmut reichte bis in die Reihen engagierter Parteimitglieder, Austritte aus der SED wurden vermehrt registriert.
Die Bevölkerung wartete angesichts der Krise auf Reaktionen und Antworten der Partei- und Staatsführung, doch diese, zumal Erich Honecker, präsentierte eine vergangenheitsbezogene "Erfolgsgeschichte", anders als der sowjetische Generalssekretär Michail Gorbatschow, dessen Festrede zukunftsträchtig war. Völtz unterscheidet sehr wohl die Reaktionen und folgt hier dem Modell Ilko-Sascha Kowalczuks, der vier Formen widerständigen Verhaltens in der DDR nennt (von der gesellschaftlichen Verweigerung bis zum Massenprotest). Doch bei aller notwendigen Differenzierung wird deutlich, wie weitgehend das System der SED im Herbst 1989 erodiert war und in welch großem Maße das Ziel des 40. Jahrestages verfehlt wurde. Statt Sinnstiftung und Legitimierung waren Widerspruch und Zuspitzung der Krise die Folge. Nicole Völtz hat dies in ihrer quellengesättigten Studie überzeugend herausgearbeitet.
Detlev Brunner