Femke Deen / David Onnekink / Michel Reinders (eds.): Pamphlets and Politics in the Dutch Republic (= Library of the Written Word; Vol. 12), Leiden / Boston: Brill 2011, XII + 261 S., ISBN 978-90-04-19178-5, EUR 99,00
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Marjolein 'T Hart: The Dutch Wars of Independence. Warfare and Commerce in the Netherlands, 1570-1680, London / New York: Routledge 2014
Wolfgang Wüst / Michael Müller (Hgg.): Reichskreise und Regionen im frühmodernen Europa - Horizonte und Grenzen im spatial turn. Tagung bei der Akademie des Bistums Mainz, Erbacher Hof, 3.-5. September 2010, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011
Der Sammelband vereinigt neben der Einleitung neun Aufsätze zur politischen Publizistik in der niederländischen Republik. Politische Berichterstattung und das öffentliche Räsonnement darüber waren allgegenwärtig. Die Herausgeber betonen bereits in der Einleitung, dass es nicht möglich war, im 17. Jahrhundert durch eine niederländische Stadt zu gehen, ohne dass einem die vielen Druckereien und Buchländen auffielen. Zudem wurden auf Märkten aller Art gedruckte Texte angeboten. Aufgrund ihrer dezentralen politischen Verfasstheit besaß die Republik eine europäische Vorreiterrolle in der Verbreitung politischer Informationen. Dies galt nicht nur gegenüber der einheimischen Leserschaft, sondern erlangte auch Ausstrahlung in die Nachbarländer. Alle wichtigen Informationen liefen hier zusammen, um zu neuen Texten verarbeitet zu werden. Zahlreiche Bücher, die anderenorts verboten worden wären, entstanden in der Republik, andere erschienen mit einem Amsterdam-Imprimatur, ohne dort gedruckt worden zu sein. Deen, Onnekink und Reinders stellen drei Haupttendenzen des niederländischen Druckwesens in den Vordergrund: Wettbewerb, Urheberrechtspiraterie und Ausdifferenzierung. Das Habermas-Paradigma von der "repräsentativen Öffentlichkeit" wird vorsichtig relativiert (13f.). Im Anschluss an die Einleitung folgt ein kurzer Essay von Craig Harline, der vor drei Jahrzehnten die moderne Erforschung der Flugschriften zum niederländischen Aufstand eröffnete, wobei er die Erträge der folgenden Aufsätze zusammenfasst - dieser Teil hätte auch als Fazit des Bandes positioniert werden können.
Die weiteren Beiträge gliedern sich in drei Sinneinheiten. Die erste handelt vom Pamphlet und seiner Funktion. Dabei wird die Frage gestellt, ob es sich bei den Pamphletisten um bezahlte Schreiber handelte, die den Willen ihrer Auftraggeber verschriftlichten, oder ob die Texte die "wirklichen" Absichten ihrer Verfasser wiedergeben. Roeland Harms stellt bei den Flugschriften zum Verfassungskonflikt von 1650 zwischen Statthalter Wilhelm II. und der Stadt Amsterdam fest, dass zunächst Parteienpropaganda dominierte, während nach der Entscheidung Ende Juli eine Zunahme an Dynamik zu beobachten war: mehr Dialogschriften und Lieder. Zur Pamphletistik während der Regierungszeit Jan de Witts 1653-1672 beobachtet Guido de Bruin eine stärkere obrigkeitliche Medienkontrolle als zuvor, verursacht durch die politische Bedrohung der Republik zunächst durch England, später durch Frankreich. Anhand von gedruckten Petitionen stellt Michel Reinders fest, dass die öffentliche Unzufriedenheit mit der Lage der Republik 1672 sich durch mediale Verstärkung aufschaukelte, was die Ermordung der de Witt-Brüder zur Folge hatte. Die Möglichkeiten, Unzufriedenheit öffentlich zu artikulieren, blieben über das Katastrophenjahr 1672 hinaus bestehen.
Die zweite Sinneinheit charakterisiert das Pamphlet als historischen Akteur. Hier werden die Folgen von Flugschriften auf den öffentlichen Diskurs untersucht. Jill Stern vergleicht die Berichterstattung zur Ermordung des französischen Höflings Concino Concini 1617 mit dem Mord an den de Witt-Brüdern 1672, wobei beiden Attentaten eine mediale Hetzkampagne vorausgegangen war, in deren Verlauf die Protagonisten als Tyrannen gekennzeichnet wurden. David Onnekink untersucht den medialen Niederschlag, den der außenpolitische Umschlag der niederländischen Politik 1688 von einer defensiven zu einer offensiven Strategie erfuhr, nachdem Wilhelm III. von Oranien seine Rechtfertigungsschrift "Declaration of Reasons" publiziert hatte. Mit Flugschriften als wirtschaftsgeschichtlichen Quellen befasst sich Koen Stapelbroek, wobei es um ethische Debatten über Reichtum und Armut ging.
Die dritte Sinneinheit dreht sich um die öffentliche Debatte und die Medien. Flugschriften werden hier in Beziehung gesetzt zu handgeschriebenen Briefen oder zu zeremoniellen Herrschaftshandlungen wie festlichen Einzügen. Femke Deen stellt anhand handgeschriebener Pamphlete aus den 1570er Jahren fest, dass diese Medien in Amsterdam gleichberechtigt neben den gedruckten Flugschriften an der Meinungsbildung für oder wider den Aufstand gegen Spanien beteiligt waren. Monica Stensland untersucht die öffentliche Debatte, die dem zwölfjährigen Waffenstillstand von 1609-1621 vorausging, und stößt dabei auf zwei Diskurse: den heroisierten Frieden, den die spanisch-südniederländische Seite unter Durchsetzung aller Forderungen anstrebte, auf der einen Seite, die vorherrschende Tendenz zur Fortsetzung der Kampfhandlungen auf Seiten der Republik.
Der Band liest sich gefällig als Strukturanalyse der Pamphletistik in der niederländischen Republik der Frühmoderne, wobei das Schwergewicht der Überlegungen auf der "waren vrijheid" (1650-1672) und der "Glorious Revolution" (1688/89) liegt, während die frühe Republik durch zwei und das 18. Jahrhundert durch einen Beitrag repräsentiert sind. Allerdings bleiben einige Fragen offen: Entstand die Flugschriftenproduktion auf einmal mit Beginn des Aufstands, oder gab es das politische Druckwesen auch schon zuvor? Dazu müsste allerdings von den Flugschriftensammlungen in Den Haag und Amsterdam auch nach Antwerpen oder Brüssel geschaut werden. Wie stand es mit dem ökonomischen Unterbau der politischen Publizistik, mit Druckern, Verlegern und Buchhändlern? Sie treten im Fokus der Fragestellungen weit hinter die Autoren und politischen Diskursteilnehmer zurück (vgl. 21). Die erwähnten Familien- und Klientelbeziehungen zwischen Politikern und Autoren sind bedeutsam, im Mediensystem bestanden ebensolche Beziehungen. Als Schwäche bleibt zu konstatieren, dass fast ausschließlich Forschung in englischer und niederländischer Sprache rezipiert wird. Dass es in Deutschland und Frankreich ebenfalls Untersuchungen zur politischen Druckpublizistik gibt, ist niemandem der Verfasserinnen und Verfasser aufgefallen. Auch im vergleichenden Bereich sind weitere Forschungen wünschbar. - Der Band ist mit einem Register ausgestattet.
Johannes Arndt