Roberto Contini / Francesco Solinas (a cura di): Artemisia Gentileschi. Storia di una passione. Catalogo della mostra (Milano, 22 settembre 2011 - 30 gennaio 2012), Mailand: Federico Motta Editore 2011, 287 S., ISBN 978-8866480013, EUR 66,99
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Auf dem Katalog ist das Gemälde zu sehen, das wahrscheinlich sogar nur mäßig an italienischer Kunst(-geschichte) Interessierte kennen: Judith enthauptet Holofernes (Neapel, Museo di Capodimonte, ca. 1612, Kat. 10) von Artemisia Gentileschi. Die Geschichte einer Passion, wie es der Titel von Ausstellung und Katalog mehrdeutig benennt - die der Künstlerin für die Malerei oder gar deren vermeintliche Leidenschaft für ihr Sujet? Denn Artemisia Gentileschi, international anerkannte Malerin des italienischen Barock, wurde oftmals Gegenstand kunsthistorischer gender studies, die die Gemälde primär als Biografiebewältigung verstanden und den spezifisch anderen, weiblich geprägten Blick auf traditionelle Sujets, insbesondere auf Frauengestalten, ausgemacht hatten. [1] Dem entgegenwirken wollen die Herausgeber des Katalogs und Kuratoren der gleichnamigen, monografischen Ausstellung Roberto Contini und Francesco Solinas, die im Palazzo Reale in Mailand bis Ende Januar 2012 zu sehen war. Um es vorwegzunehmen: Dies gelingt ihnen im Katalog deutlich besser als in der Ausstellung, deren Eingangsinszenierung mit einer Art weißem Bett und über Lautsprecher zu hörenden Zitaten aus den Briefen der Künstlerin doch wieder das oftmals herausragende Thema in der Beschäftigung mit der Malerin in den Mittelpunkt rückte: die Vergewaltigung des jungen Mädchens und der folgende Prozess, der 1612 in Rom stattfand.
Dieser Falle entgeht der Katalog: Dem Katalogteil voran gestellt sind Essays namhafter Kunsthistoriker, die sich der Einbettung des Œuvres in die künstlerische Familientradition wie auch den geografisch-chronologischen Parcours der künstlerischen Laufbahn Artemisias über Florenz nach Rom, London und schließlich Neapel widmen. Den Katalogbeiträgen folgen zwei Anhänge, die alle bekannten Dokumente zu Leben und Werk der Künstlerin summarisch erfassen und deren Inhalt teils erhellend für die Datierung und Zuschreibung mancher der besprochenen Werke ist.
Gerade bezüglich Datierungen und Zuschreibungen - insbesondere der Händescheidung zwischen der Tochter und ihrem Vater Orazio Gentileschi - stehen die Autoren in Auseinandersetzung mit dem bis heute grundlegenden Werkverzeichnis von R. Ward Bissell von 1999, wie auch der großen Vorgängerausstellung in Rom, New York und Louisiana 2001/2002, die Orazio und Artemisia Gentileschi gewidmet war. Roberto Contini selber blickt auf eine langjährige Beschäftigung mit der Künstlerin zurück: 1991 kuratierte er in Florenz und Rom eine Ausstellung, die ebenfalls Werke des Vaters zum Vergleich zeigte. Hier nun wird der Versuch unternommen, die Werke Artemisias (fast) allein auszustellen und zu diskutieren, wobei der wissenschaftliche Fokus deutlich auf den originär kunsthistorischen Aufgaben der Zuschreibung und Chronologie liegt.
Gerade anhand des eingangs erwähnten Themas 'Judith und Holofernes' lässt sich bei genauer Betrachtung der zu vermutende kompositorische wie auch ikonografische Einfluss des Vaters auf seine junge, sich noch in Ausbildung befindliche Tochter studieren, wie es auch die Autoren des Mailänder Katalogs tun, die damit in Kontrast zur allzu simplen Schlussfolgerung treten, das vielmals behandelte Thema sei ausschließlich der persönlichen Geschichte der Künstlerin geschuldet: Als erstes Bild, vermutlich von der Hand Artemisias, diskutiert Contini das Bild einer Judith in Begleitung ihrer Magd, wobei die Heldin den abgeschlagenen Kopf in der Art einer Judith triumphans - gleichwohl auf einer Steinbank sitzend - dem Betrachter entgegenstreckt (Kat. 3). Das Bild wird hier in die Jahre 1607-1610 datiert und die Zuschreibung als fraglich eingeschätzt. Das folgende Gemälde desselben Themas wird Orazio und seinen Werkstattmitarbeitern zugeschrieben (Kat. 4), als Terminus ante quem wird hier das Jahr 1611 angenommen. Beide Gemälde zeigen eine frühe Beschäftigung sowohl des Vaters wie auch der Tochter mit dem Thema, die damit noch vor Prozessbeginn liegt. Ein generelles Interesse der Zeitgenossen für das Sujet wird schon hier deutlich. Ebenfalls zeigt eine spätere, vor 1650 angenommene Kombination von anonymen Kopien eines David-Bildes von Orazio und der berühmten Judith-Szene von Artemisia (Kat. 5 und 6) die zeitgenössische Rezeption des typologischen Paars David und Judith - die beiden Bilder waren sicherlich originär nicht als Pendants gedacht, in der nachträglichen Zusammenstellung jedoch wird deren christologischer Gehalt evident und zeigt einmal mehr, dass das Thema der Judith im Werk der Künstlerin wohl kaum ausschließlich Biografiebewältigung sein kann, sondern in seinem Kontext gesehen werden muss.
So versteht es in der Folge der Katalog, das gesamte Œuvre der Künstlerin in den Blick zu nehmen und manche Überraschung zutage zu fördern - wenn auch manchmal die Qualität der Werke oder ihr Erhaltungszustand an der vorgeschlagenen Eigenhändigkeit zweifeln lassen. Bei dem aus einer Privatsammlung entliehenen Porträt einer Nonne (Kat. 18), das stark übermalt und in einem gerade mal mittelmäßigen Zustand zu sein scheint, stellt sich Roberto Contini ebenfalls die Frage nach der Eigenständigkeit und reklamiert eine Diskussion, die er schon 2001 mit der erstmaligen Zuschreibung an Artemisia hoffte, anregen zu können, die aber bis heute ausblieb. Hier wird das Gemälde erstmalig mit einem eigenen Katalogbeitrag zur Diskussion gestellt.
Auch der Abdruck einiger Briefe, die der Mitkurator Francesco Solinas in einem eigenen Band zeitgleich herausgab [2] und die hier zusammen mit anderen Dokumenten in den Anhängen summarisch wiedergegeben werden, ist hilfreich, die auch immer wieder in der Literatur genannte, geradezu ausschließlich erscheinende Thematisierung der "Starken Frauen" im Werk der Malerin infrage zu stellen. Briefe aus der Zeit in Neapel berichten von Christus-Darstellungen, Porträts und einem Christus-Samariterin-Gemälde [3], das sich heute in Privatbesitz befindet, von Luciano Arcangeli 2007 identifiziert worden ist und hier nun das erste Mal in einem Katalog ausführlich besprochen wird.
Überhaupt haben viele Gemälde Eingang gefunden, die einem breiten Publikum kaum als Artemisias Werke bekannt sein dürften und sich heute überwiegend in Privatsammlungen befinden: Darin zeigt sich denn auch die Stärke des Katalogs wie auch seine Schwäche. Es fehlen schlicht so berühmte Gemälde wie "Susanna und die beiden Alten" aus der Sammlung Schloss Pommersfelden oder "Das Selbstporträt als Allegorie der Malerei" aus den königlichen englischen Sammlungen. Der Fokus liegt auf den späteren Werkphasen, die besser dokumentiert und aus denen auch mehr Werke überliefert sind. Der Katalog stellt insbesondere Artemisia als Porträtistin vor, was denn doch überraschen mag. Interessant sind dabei insbesondere die ganzfigurigen Porträts (Kat. 22-24), die zum einen die zeitgenössische Anerkennung der Malerin in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen und zudem ihre Beeinflussung durch den großen flämischen Porträtisten Anton van Dyck und ihren Umgang mit Malerkollegen verdeutlichen.
Der monografisch ausgerichtete Katalog mag also manche Überraschung bergen, was die Zuschreibung an Artemisia betrifft, als Œuvrekatalog der Künstlerin kann er jedoch - insbesondere nach der umfassenden Schau in Rom u.a. - aufgrund der Lücken nicht gelten. Er ist vielmehr ein gewichtiger Baustein für eine weitere kunsthistorische Beschäftigung mit der Künstlerin, die sich frei zu machen sucht von der ausschließlichen Beurteilung der Malerin als gedemütigten Frau, sondern die ihre künstlerischen Qualitäten als international anerkannte Malerin ihrer Zeit erforscht und kontextualisiert.
Anmerkungen:
[1] Vgl.: Mary D. Garrard: Artemisia Gentileschi: The Image of the Female Hero in Italian Baroque Art, Princeton 1989; Susanna Stolzenwald: Artemisia Gentileschi. Bindung und Befreiung in Leben und Werk einer Malerin, Stuttgart [u.a.] 1991.
[2] Vgl. Francesco Solinas (a cura di): Lettere di Artemisia: edizione critica e annotata con quarantatre documenti inediti, Rom 2011.
[3] Vgl. Anhang, 271, 1630-1637.
Brigitte Reineke