Therese Fuhrer (Hg.): Rom und Mailand in der Spätantike. Repräsentationen städtischer Räume in Literatur, Architektur und Kunst (= Topoi - Berlin Studies of the Ancient World; Vol. 4), Berlin: De Gruyter 2012, 448 S., 6 Farbtafeln, ISBN 978-3-11-022213-5, EUR 79,95
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Der Leitfaden des Sammelbandes ist, Rom und Mailand als Orte in ihren baulichen Strukturen, verschiedenartigen (auch ideellen) Topographien sowie in ihrer eventuellen Wahrnehmung als Landschaften zu untersuchen. Rom und Mailand sind nicht nur Fallbeispiele: beide Städte sind im Laufe des 4. Jahrhunderts reich an Ereignissen und (auch wenn Mailand aus einer archäologischen Perspektive relativ wenig anbieten kann) in den literarischen Quellen gut vertreten. Zahlreiche Untersuchungen über die Beziehungen zwischen dem senatorischen Rom und der Kaiserresidenz Mailand, über die Entwicklung einer christlichen Aristokratie in Mailand, über die Beziehungen zwischen dem römischen und dem mailändischen Bischof usw. tragen dazu bei, dieses Thema als zentral zu definieren. [1]
Das angebotene Thema wird im vorliegenden Band in zwei Richtungen unterteilt: auf der einen Seite ist die Stadt Repräsentationsraum, ist Kulisse für verschiedene Formen der Performanz; auf der anderen Seite steht die Repräsentation der Stadt in den literarischen und ikonographischen (die im Band vernachlässigt werden) Quellen. Die Aufsätze sind in vier Sektionen unterteilt: Der erste Teil "Stadt und Kaiser - Stadt ohne Kaiser" entspricht der ersten Richtung, aber nur in Bezug auf die kaiserliche Macht. Die Stadt als Repräsentationsraum ist auch Zentrum des dritten Teils, "Rom als Erinnerungslandschaft: Die Dialektik von Gegenwart und Vergangenheit", in dem Rom in seiner Rolle als Erinnerungsort, oder besser gesagt als Mosaik von Erinnerungsorten, untersucht wird. Der zweite und der vierte Teil thematisieren im Gegenteil die Formen der Repräsentation der Stadt, zuerst in den literarischen Quellen ("Literarische Repräsentationen"), danach als Diskursort in der christlichen Literatur ("Die spätantike Stadt als (christlicher) Diskursort").
Die Wahl des Themas führt zu einer nötigen Konzentration auf das 4. Jahrhundert: Mailands Bedeutung nahm seit Anfang des 5. Jahrhunderts mit der Verlegung des Hofs nach Ravenna massiv ab. Die einzigen zeitlichen Ausnahmen bilden somit Aufsätze über Rom: V. Jolivet und C. Sotinel widmen sich der Rekonstruktion der Geschichte der Domus Pinciana im 5.- 6. Jahrhundert in Bezug auf ihre topographische Lage in Sicht-Nähe von St. Peter, was eine räumliche Gegenüberstellung der weltlichen und kirchlichen Macht erlaubte. R. Behrwald beschäftigt sich mit der Repräsentation Roms im Werk des Sidonius Apollinaris, die als Zeichen des Untergangs der Stadt im 5. Jahrhundert interpretiert wird. In einer chronologischen Perspektive erscheinen beide Aufsätze deshalb als vom generellen Leitfaden des Bandes abweichend. Da die Betrachtung des 5. Jahrhunderts noch eine Behandlung von Ravenna benötigt hätte, eine Stadt, die andere Probleme bietet (z.B. in der systematischen Nachahmung der Topographie Konstantinopels oder in der Opposition zu Mailand) [2], wäre vielleicht doch eine Einschränkung des Untersuchungszeitraums auf das 4. Jahrhundert empfehlenswert gewesen.
Man muss generell feststellen, dass nur wenige Aufsätze einen Vergleich beider Städte anbieten bzw. Mailand und Rom in ihrer Beziehung und in ihrer Wechselwirkung, in ihrem "Networking" thematisieren. A. Haug stellt die Frage nach den Unterschieden zwischen Mailand und Rom als kaiserlicher Repräsentationsraum in Bezug auf die verschiedenen Eliten, die in beiden Städten zu finden waren; F. Mundt untersucht die Rolle der Stadt in den spätantiken Lobreden und die konkrete Vorstellung der zwei "Hauptstädte" in spätantiken Texten; S. Freund diskutiert die Rolle der Städte als Landschaften in den Konversionsgeschichten. Abgesehen davon beinhalten die ersten drei Teile des Bandes nur Aufsätze über Rom. F. A. Bauer und H. Ziemssen beschäftigen sich mit Rom am Anfang des 4. Jahrhunderts; Bauer demonstriert, dass die kaiserliche Abwesenheit in der Zeit der Tetrarchie im Vergleich mit dem 3. Jahrhundert eine neue Qualität besaß, und bestätigt die Entwicklung eines neuen Systems der Herrschaftsinszenierung und -repräsentation unter der Tetrarchie[3]. Ziemssen widmet sich Maxentius und betont, wie dieser nichttraditionelle Herrschaftsformen entwickelte, die sich in der Topographie der Stadt widerspiegelten. Baugeschichtlich geprägt ist auch S. Muths Beitrag, in dem das Forum als Beispiel des Umgangs der spätantiken stadtrömischen Kultur mit ihrer Vergangenheit thematisiert wird. Die literarischen Quellen stehen bei den übrigen Aufsätzen im Mittelpunkt: J. Stenger untersucht das Thema Rom im Werk Ammians anhand Foucaults Konstrukt der Heterotopie: Rom wird so bei Ammian als "verkehrte Welt" interpretiert. U. Tischer beschäftigt sich mit dem Bild der Stadt bei Servius, das auch von U. Schmitzer im Vergleich mit der christlichen "Aneignung" der römischen Topographie durch Damasus und den Kult der Heiligen behandelt wird. Die beiden Autoren schlagen verschiedene Interpretationen der Rolle Roms in Servius vor: Laut Tischer seien bei Servius kaum topographische Überlegungen zu finden, während Schmitzer gegenteilig in einer überzeugenderen Weise von einem "demonstrativen Ignorieren" spricht, das die christlichen Bearbeitungen der Stadttopographie überspiele und das auch in Macrobius zu finden sei. Damasus ist auch das Thema N. B. McLynns Aufsatz, nicht aber in seiner Rolle bei der Christianisierung der Stadttopographie[4], sondern in seinen Beziehungen mit der christlichen Aristokratie, die von der Kirche sehr unabhängig sein konnte. Diese Beziehung muss deshalb eher als stetiges Aushandeln interpretiert werden.
Die letzten vier Aufsätze sind Mailand gewidmet. H. Leppin untersucht anhand von Ausonius und Augustinus die Stadt als "mentale Doppelstadt": die christliche und die kaiserliche Stadt existieren im Alltagsleben zusammen, werden aber in den literarischen Quellen als Gegenpole konstruiert. T. Fuhrer interpretiert das Bild Mailands in den literarischen Quellen des 4. Jahrhunderts als Konstruktion eines Mosaiks verschiedener "Denkräume", die teilweise nicht als Gebäude, sondern als Gemeinschaften zu interpretieren sind und die Stadt zu einer geeigneten Bühne für verschiedene Ereignisse wie Augustins Bekehrung machen. C. Tiersch rekonstruiert die Präsenz anderer Gruppen (Homöer, Heiden, Juden) neben der uns bekannten christlichen Aristokratie der Stadt, die in unseren Quellen, durch Ambrosius stark geprägt, häufig unsichtbar bleiben. E. Baltrusch widmet sich dem "Synagogenstreit" des Jahres 388 und interpretiert ihn historisch in Bezug auf Ambrosius' Rolle als Bischof und Verteidiger der Einheit der Kirche, aber auch auf Clementia als Stichwort der theodosianischen Politik. Dieser Beitrag hat mit Mailand jedoch sehr wenig zu tun - die Tatsache, dass sich Ambrosius und Theodosius in Mailand befanden, macht diesen Fall nicht zu einem lokalen, und die Konsequenzen für das lokale Judentum werden nicht untersucht.
Eine zu breite thematische Streuung, die sich generell in vielen Sammelbänden findet, wird im vorliegenden Band nicht immer vermieden. Die Aufsätze sind hingegen fast durchgehend hervorragende wissenschaftliche Leistungen und insgesamt stellt der Band sehr interessante und innovative Fragen. Der angebotene Ansatz kann zu neuen Interpretationen der Rolle der Städte und ihrer Bewohner führen. Eine zukünftige Erweiterung um Ravenna und andere italienische Städte oder andere Kaiserresidenzen könnte sehr fruchtbar werden.
Anmerkungen:
[1] U.a. Milano capitale dell'Impero romano, 286-402 d. C., Mailand 1990; G. Sena Chiesa / E. Arslan (Hgg.): Felix Temporis Reparatio, Milano 1992.
[2] S. z.B. F. Carlà: "Milan, Ravenna, Rome: Some Reflections on the Cult of the Saints and on Civic Politics in Late Antique Italy", in: RSLR 46 (2010), 197-270.
[3] S. D. Boschung / W. Eck (Hgg.): Die Tetrarchie. Eine neue Regierungsform und ihre mediale Präsentation, Köln 2006.
[4] U.a. M. Sághy: "Scinditur in partes populous: Pope Damasus and the Martyrs of Rome", in: EME 9 (2000), 273-287.
Filippo Carlà-Uhink