Anna-Katharina Wöbse: Weltnaturschutz. Umweltdiplomatie in Völkerbund und Vereinten Nationen 1920-1950 (= Geschichte des Natur- und Umweltschutzes; Bd. 7), Frankfurt/M.: Campus 2012, 364 S., ISBN 978-3-593-39434-3, EUR 39,90
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Die Umweltgeschichte war lange von nationalen und regionalen Narrativen geprägt. Aktivitäten und Strategien zur Lösung von Umweltproblemen wurden zwar bereits mehrfach im Rahmen oft binationaler Vergleiche auf Ähnlichkeiten und Unterschiede, Transfer und Verflechtung befragt, explizit internationale Akteure und Netzwerke blieben bislang aber unterbelichtet. Umgekehrt fanden Fragen des Natur- und Umweltschutzes in diplomatiegeschichtlichen Arbeiten wenig Beachtung.
Mit ihrer an der Universität Bielefeld eingereichten Promotionsschrift zur Umweltdiplomatie im Völkerbund und den Vereinten Nationen 1920-1950 leistet Anna-Katharina Wöbse wichtige Grundlagenarbeit zur Genese der ersten internationalen Regelungen im Natur- und Umweltschutz. Ihr Fokus liegt auf dem Völkerbund, dessen Naturschutz- und Umweltpolitik erstmals systematisch analysiert wird. Ferner nimmt sie die Behandlung des Themenfelds in der Gründungsphase der UN in den Blick. Dabei interessiert sie sich sowohl für die Akteure mit ihren Werten, Wissensbeständen und Handlungsstrategien als auch für Mechanismen und Zeitdimensionen der Umweltdiplomatie im Spannungsverhältnis von konkreten "stofflichen" Umweltproblemen, bürgerschaftlichen Ansprüchen und politischen Aushandlungsprozessen (10f.). Die Autorin geht diesen Fragen in fünf Fallstudien zur Idee des Weltnaturschutzes, der Ölverschmutzung, dem Tierschutz, dem Schutz der Wale und dem Konzept des Weltnaturerbes nach. Sie zeigt damit zum einen die Breite der Debatten vom ethisch-ästhetischen Naturschutz über einen ökonomisch motivierten Ressourcenschutz bis zu klassischen Verschmutzungsphänomenen auf. Zum anderen streicht sie die Bedeutung des Tierschutzes als verbindendes Element und Motivation gerade der bürgerschaftlichen Akteure heraus. Wöbse greift auf der theoretischen Ebene die Begriffe der Zivilgesellschaft, der Gemeinschaftsgüter und einer Global Environmental Governance auf, verzichtet aber auf eine intensivere theoretische Diskussion oder empirische Reflexion dieser Konzepte. Viel Raum wird dagegen der biographischen Methode und damit den Lebensläufen wichtiger Protagonist(inn)en gewährt.
Die erste Fallstudie beschäftigt sich mit der Idee eines Weltnaturschutzes (35-64). Wöbse konzentriert sich auf den Schweizer Naturforscher Paul Sarasin, der sich schon vor dem 1. Weltkrieg für die Konstitution einer Weltnaturschutzkommission eingesetzt hatte und im Völkerbund ein ideales Forum für diese Idee sah. Sein Antrag, den Weltnaturschutz zu einer der Aufgaben der 1920 gegründeten Organisation zu erklären, stieß dort durchaus auf Sympathie - als Möglichkeit, die junge Einrichtung zu profilieren. Die Institutionalisierung einer Naturschutzverwaltung blieb jedoch aus. Wie Wöbse in den folgenden Fallstudien zeigt, sollten Einzelaspekte des Tier-, Natur- und Umweltschutzes dennoch lebhaft im Völkerbund diskutiert werden.
Eine der kontroversesten Umweltdebatten der Zwischenkriegszeit bildete die Ölverschmutzung der Ozeane und Küsten (65-131), die speziell in Großbritannien eine lautstarke und hartnäckige Protestbewegung auslöste. Ihr Hauptträger war der zivilgesellschaftliche Vogelschutz. In einer emotionalisierenden Kampagne gelang es, die "Ölpest" als moralisches Skandalon zu politisieren. Im Spannungsfeld zwischen öffentlichem Druck und nationalen Schifffahrtsinteressen nutzte das britische Board of Trade die internationale Ebene zur Externalisierung der Problematik - und brachte das Thema 1934 auch in den Völkerbund. Der Versuch, mit einer internationalen Konvention wenigstens eine Minimallösung verbindlich festzulegen, sollte Ende der 1930er Jahre an der politischen Lage scheitern und erst nach 1945 wieder aufgenommen werden.
Auch eine zweite Fallstudie beschäftigt sich mit Kontroversen um die Nutzung der Ozeane, nämlich der Entstehung der Walfangkonvention von 1931 (171-245). Die Initiative ging diesmal vom Völkerbund aus. Im "Komitee für die Anpassung internationalen Rechts" hatte der argentinische Experte José León Suárez 1925 die Problematik der Überfischung und damit die Frage nach dem freien Zugang zu den Weltmeeren aufgeworfen. Seine Vision eines maritimen Gesamtmanagements, das die Ozeane als gemeinsam zu pflegende globale Allmende versteht, scheiterte an den wirtschaftlichen und Herrschaftsinteressen der Seefahrernationen. Wie Wöbse zeigt, war der Völkerbund letztlich weder Willens noch in der Lage, ein neues Völkerrecht zu institutionalisieren. Die drohende Ausrottung mancher Fisch- und Walarten wurde fast ausschließlich als ökonomische Frage diskutiert. So blieb es bei einer wenig wirksamen Konvention zum Schutz der Bartenwale. Die moralisch-symbolische Aufladung, die der Walfang seit den 1970er Jahren besitzt, war zu der Zeit kaum vorhanden. Das Interesse der Zivilgesellschaft war gering.
Dies sah bei anderen Tierschutzfragen anders aus. Anhand der Kampagnen für humane Arbeitsbedingungen für Tiere bzw. zu Viehtransporten stellt Wöbse die Aktivitäten und Motive der Protagonist(inn)en in den 1920er und frühen 1930er Jahren vor (133-170). Dabei fällt auf, dass diese vielfach eine Verbindung zwischen der pazifistischen Agenda des Völkerbundes und den angeblichen zivilisierenden Wirkungen des Tierschutzes herzustellen suchten, um die Relevanz ihrer Anliegen für den Völkerbund zu betonen. Wöbse arbeitet die Bedeutung weiblicher Aktivisten wie Louise Lind-af-Hageby für die Aktivitäten und Netzwerke der Tierschützer heraus. Sie füllt damit eine mehrfache Forschungslücke, gehören Tierschutzbewegung wie Genderfragen doch zu den Desideraten der deutschen Umweltgeschichte.
Die letzte Fallstudie beschäftigt sich mit dem Konzept eines Weltnaturerbes, das mit der UNESCO-Welterbekonvention 1972 einen glanzvollen Endpunkt finden sollte (247-325). Auch hier liegen die Ursprünge in der Zeit des Völkerbundes, dessen Kommission für geistige Zusammenarbeit sich seit 1926 mit dem Schutz der Naturschönheiten auseinandersetzte, ohne zu einer konkreten Institutionalisierung zu gelangen. Während der Naturschutz im Völkerbund eine untergeordnete Rolle spielte, sollte das Thema in der unmittelbaren Nachkriegszeit bedeutsam werden (248). Wie Wöbse anhand zweier bislang wenig beachteter UN-Konferenzen herauspräpariert, standen bei der UNESCO unter Generaldirektor Julian Huxley vor allem Ressourcenfragen im Vordergrund. Naturschönheit wurde erst in den 1960er Jahren wieder als Schutzmotivation populär.
Wöbse gibt am Beispiel des Tier-, Natur- und Umweltschutzes einen faszinierenden Einblick in die Arbeitsweise des Völkerbundes, die mühsamen Aushandlungsprozesse zwischen den nationalen und sektoralen Interessen sowie das Wechselspiel von Zivilgesellschaft, Bürokratie, Fachexperten und Politik. Dabei arbeitet sie die Bedeutung des Völkerbundes als Austragungsort grenzüberschreitender umweltpolitischer Kontroversen heraus - sowohl auf der Ebene von Diplomatie, Verwaltung und Experten als auch als Anlaufstelle und Forum zivilgesellschaftlicher Ansprüche. Der Völkerbund trug nicht nur zur Herausbildung erster transnationaler Institutionen zum Umgang mit der Natur bei, sondern diente auch als Kristallisationspunkt einer Global Environmental Governance, der gerade zivilgesellschaftlichen Akteuren bisher unbekannte Partizipationschancen eröffnete. Wöbse hebt die Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements für das Agenda-Setting des Völkerbundes hervor. Jedoch zeigt sie auch, wie begrenzt die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft waren, darüber hinaus Prozesse der Völkerbundsarbeit zu beeinflussen. Auch die Langwierigkeit der Umweltdiplomatie, also das "Timelag" zwischen Problemdiagnose, Wissensgeneration, Konsensfindung und Reaktion, sowie die Schwierigkeit, angesichts vielfältiger nationaler Interessen adäquate Lösungen zu finden, treten klar zu Tage.
Wöbse hat für ihre Arbeit eine beeindruckende Menge an Quellen und Archivalien ausgewertet, vor allem aus dem Völkerbundarchiv in Genf. Ihre Analyse ist scharfsinnig und anschaulich, jedoch gerät die Darstellung mitunter etwas deskriptiv-detailverliebt. Vielversprechend wäre eine stärker theoretische Reflexion der empirischen Ergebnisse gewesen - etwa hinsichtlich des Konzepts der Global Environmental Governance oder der Funktionsweise der Zivilgesellschaft. Bedauerlich ist der Verzicht auf ein Personen- und Sachregister. Diese kleineren Kritikpunkte schmälern den positiven Gesamteindruck jedoch kaum. Wöbse hat mit ihrer Promotionsschrift zum "Weltnaturschutz" eine kenntnisreiche Untersuchung zu den Mechanismen der Umweltdiplomatie im Völkerbund und zur Arbeitsweise, Struktur und Netzwerkbildung des internationalen zivilgesellschaftlichen Natur- und Tierschutzes vorgelegt, die hoffentlich weitere "Umweltdiplomatiegeschichten" inspirieren wird.
Ute Hasenöhrl