Günther Schulz / Reinold Reith (Hgg.): Wirtschaft und Umwelt vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Auf dem Weg zu Nachhaltigkeit? (= Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Beihefte; Bd. 233), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015, 274 S., 2 s/w-Abb., ISBN 978-3-515-11064-8, EUR 49,00
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Aktuellen Debatten "um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" historische Tiefenschärfe zu verleihen (11) sowie der dabei festzustellenden "unsystematisch[en]" Verwendung "irgendwelche[r] historische[n] Argumente" entgegenzuwirken (27), ist den Herausgebern zufolge Hauptzweck des Bandes, der Beiträge einer Konferenz der "Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte" vereint. Das Interesse gilt vor allem der Genese des Verhältnisses wirtschaftlichen Agierens und der natürlichen Umwelt seit dem späten Mittelalter sowie dabei festzustellenden Zäsuren. Die Herausgeber und Autoren beteiligen sich damit an dem seit einiger Zeit intensivierten Bemühen von Umwelt- und Wirtschaftshistorikern, ihre Forschungen stärker aufeinander zu beziehen.
Dies ist ein lohnendes Unterfangen, denn schließlich traten (und treten!) wirtschaftliche Akteure an mindestens drei Schnittpunkten mit der natürlichen Umwelt in Kontakt: Sie ist Ort wirtschaftlicher Aktivität, von ihr stammen Rohstoffe und Energie, die es für die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse umzuwandeln und zu nutzen gilt, und sie nimmt die Abfallprodukte von Produktion und Konsumtion auf. Ganz allgemein ist die natürliche Umwelt zudem unabdingbar für das menschliche Leben in physischer wie psychischer Hinsicht. Dass diese Beziehungen keine Einbahnstraßen darstellen, der Mensch also nicht eine statische natürliche Umwelt nach seinen Vorstellungen verändern und nutzen kann, sondern beide sich gegenseitig beeinflussen, ist offensichtlich und im Grunde keine Neuigkeit. Wie Reinhold Reith in einem einführenden Beitrag aber betont, hätten zumindest seit Mitte des 19. Jahrhunderts Ökonomen und großenteils auch Wirtschaftshistoriker diese Wechselbeziehungen nur unzureichend betrachtet. Die implizite Beschäftigung mit dem Verhältnis von wirtschaftlichem Agieren und der natürlichen Umwelt, wie sie sich in älteren Arbeiten etwa der Agrargeschichte widerspiegele, gelte es nun explizit in den Fokus des Interesses zu stellen.
Die folgenden neun Beiträge, denen - mit einer Ausnahme - jeweils ein kommentierendes oder ergänzendes Korreferat folgt, konzentrieren sich auf einen oder mehrere dieser Schnittpunkte. So geht es in der Mehrzahl der Aufsätze um die tatsächliche oder projektierte Nutzung sowie den gesellschaftlich organisierten Schutz von Ressourcen: Holz im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit in Schleswig-Holstein bzw. Preußen (Oliver Auge, Matthias Asche), Silber im kolonialen Süd- und Mittelamerika (Renate Pieper), Manganknollen des Tiefseebodens im 20. Jahrhundert (Ole Sparenberg) sowie Fisch im Bodensee vom ausgehenden Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert (Michael Zeheter). Mit Abprodukten industrieller Produktion und Konsumtion befassen sich aus politisch-institutioneller sowie aus unternehmerischer Perspektive am Beispiel des Altpapiers und seiner Wiederverwendung im Deutschland des 20. Jahrhunderts Heike Weber, mit einem Überblick über die Umweltverschmutzung und deren (Nicht-)Bewältigung in der Tschechoslowakei der 1950er- bis 1980er-Jahre Jana Geršlová sowie mit der Reduktion und dem Verbot von FCKW in den 1970er- und 1980er-Jahren Christian Marx. Mathias Mutz schließlich skizziert am Beispiel der sächsischen Papierindustrie der Jahrzehnte um 1900, wie sich die verschiedenen Berührungspunkte von unternehmerischem Handeln und natürlicher Umwelt in einer Gesamtschau untersuchen lassen.
Anders als der Untertitel nahe legt, dient die Frage nach der Nachhaltigkeit bzw. nach nachhaltigen Praktiken nicht dazu, die Beiträge mit ihren sehr unterschiedlichen inhaltlichen, zeitlichen und thematischen Schwerpunkten sowie verschiedenen methodischen Zugängen miteinander zu verbinden. Explizit spielt dieser Aspekt sogar nur in den beiden Aufsätzen zur Waldnutzung in Schleswig-Holstein und Preußen eine zentrale Rolle. Zumindest implizit oder am Rande ist er auch in Ole Sparenbergs, Michael Zeheters, Heike Webers und Christian Marx' Artikeln von Bedeutung. Es fällt insofern schwer, anhand der Beiträge "Etappen eines gesellschaftlichen Wandels" zu identifizieren, "der vor allem die westlichen Gesellschaften auf den 'Weg zu mehr Nachhaltigkeit' führte" (11).
Nichtsdestotrotz geben die Aufsätze Anregungen, anhand welcher empirisch fassbaren Aspekte sich solche Etappen festmachen ließen. Dazu gehört die Genese rechtlicher Institutionen zur Nutzung und zum Schutz von Ressourcen auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene, wie sie Oliver Auge, Matthias Asche, Ole Sparenberg, Michael Zeheter und teilweise auch Christian Marx thematisieren. Ein weiterer Aspekt ist das Agieren von Unternehmern im öffentlichen und im politischen Raum, wie es Christian Marx am Beispiel des Chemiekonzerns "Hoechst" dicht beschreibt und damit eine signifikante Veränderung der (umwelt-)politischen Landschaft der BRD um 1980 deutlich macht, in der eingeübte Methoden 'der Wirtschaft', 'die Politik' zu beeinflussen, nicht mehr funktionierten. Wissenstransfers und ideologische Aspekte, wie sie von Renate Pieper, Heike Weber und Jana Geršlová angesprochen werden, bieten sich ebenfalls als Untersuchungsbeispiele an. Am vielversprechendsten, wenngleich methodisch auch am anspruchsvollsten, ist der Ansatz, den Mathias Mutz vorschlägt. Er möchte die vielfältigen Aneignungsweisen von Naturräumen und Ressourcen durch Unternehmen sowie die sich daraus ergebenden Veränderungen in der Unternehmensorganisation und in der natürlichen Umwelt in den Mittelpunkt des Interesses stellen. Skizzenhaft und sehr überzeugend demonstriert er das am Beispiel der Interaktion von Papierfabriken mit ihrer natürlichen Umwelt auf räumlicher, materieller und organisatorischer Ebene und plädiert anhand dessen dafür, Industrialisierung (auch) als "Umwelt-Integration" und als "Ausweitung und Ausdifferenzierung der Umweltbeziehungen" (209f.) zu verstehen. Wie Mutz selbst einräumt muss sich freilich erst zeigen, ob sein auf eine Branche zugeschnittenes Konzept allgemein fruchtbar gemacht werden kann. Ergänzen ließen sich diese Ansätze dadurch, dass die Theoretisierung der Wechselbeziehung von Wirtschaft und Umwelt in den Blick genommen und danach gefragt wird, weshalb, wie und mit welchen Konsequenzen die natürliche Umwelt aus dem ökonomischen Denken 'externalisiert' wurde.
Neben den teils erwartbaren, teils überraschenden Ergebnissen der einzelnen Beiträge sind es vor allem diese methodischen Implikationen, die den Band lesens- und empfehlenswert machen. Gleichwohl ist es für die zu erhoffende weitere Verknüpfung von wirtschafts- und umwelthistorischer Forschung wünschenswert, sich klarer darüber zu werden, was gemeinsame Forschungsinteressen und damit auch zentrale Themenfelder sein könnten. Die Bündelung über das Konzept Nachhaltigkeit jedenfalls mag zwar an aktuelle Debatten anschlussfähig sein, kann aber ganz offensichtlich nicht die Vielfalt der Beziehungen sinnvoll erfassen, die zwischen wirtschaftlichem Agieren und der natürlichen Umwelt bestanden und bestehen.
Martin Bemmann