Thomas Knopf (Hg.): Umweltverhalten in Geschichte und Gegenwart. Vergleichende Ansätze, Tübingen: Attempo Verlag 2008, 340 S., ISBN 978-3-89308-406-7, EUR 58,00
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Die versammelten Beiträge zur Frage nach dem menschlichen Umweltverhalten entstammen einer Tagung aus dem Sommer 2006, die im Schloss Hohentübingen abgehalten wurde. Insgesamt waren 18 Referenten aus neun Disziplinen beteiligt. Dem Herausgeber Thomas Knopf kam es darauf an, fächerübergreifende Diskussionen, wie sie von der Umweltgeschichte bereits angeregt wurden, weiterzuentwickeln. [1]
Leitend für die inhaltliche Betrachtung von Umweltverhalten war die Differenz von menschlicher Kultur und natürlichen Dispositionen. Der japanische Park, der auf der Titelseite des Buches abgebildet ist, zeigt die Vermengung dieser Elemente in Form von vermeintlich unberührter Natur, Gartenkultur und einer symbolbehafteten Skulptur. Laut Knopfs Einführung sei es die transdisziplinäre Aufgabe der Autoren, dieses scheinbar Unentwirrbare ein Stück weit zu entwirren. Auf welche Weise diese Aufgabe erfüllt werden kann, wird anhand einiger ausgewählter Aufsätze aus den drei Hauptthemenblöcken nachfolgend verdeutlicht. Strukturiert sind die Beiträge - eingerahmt von einem anthropologischen Präludium und einem philosophischen Abschluss - nach dem Umweltverhalten traditioneller, historischer und moderner Gesellschaften.
Die Voraussetzungen des Naturhandelns in traditionellen Gesellschaften erklärt der Ethnologe Thomas Bargatzky anhand seiner Philosophie "urproduktiver Gesellschaften". Diese Gesellschaften hätten ein anderes ontologisches Fundament, als das abendländisch cartesianische. Die soziale Reproduktion beruhe nämlich nicht auf der Trennung von res cogitans und res extensa, sondern auf dem In-Gegenwart-Setzen maßgeblicher, urbildlicher Stiftungstaten durch Gottheiten. Vor dem Hintergrund dieser mythischen Weltanschauung bildeten Ideal und Material eine Einheit. Bargatzkys Pointe ist, dass diese Gesellschaften keinen Terminus besitzen, der unserem Naturbegriff vergleichbar wäre, sondern nur ein Seinskontinuum kennen. Dem Ideal "unberührter" Natur würde in dieser Weltanschauung keine positive Wertigkeit zugeschrieben. Entsprechend seien diese "Naturvölker" eigentlich die wahren "Kulturvölker". Thomas Widlok argumentiert mit einer relationalen Ontologie von Jäger und Sammler Gesellschaften in ähnlichen Bahnen. Hier wird der Mensch als integraler Bestandteil des Universums verstanden. Eine ideologische Ausgestaltung des Mensch-Umwelt-Verhältnisses stehe aber gerade nicht im Mittelpunkt dieser Gesellschaften. Ein praktisches Ineinandergreifen der Bereiche kraft Beziehungen, die nicht aus einer Umweltvorstellung abgeleitet werden können, sei vielmehr entscheidend. Da personale Identität auch Nicht-Menschen zugesprochen werde, erfolge keine rigide Trennung zwischen Menschen und der übrigen Natur. Beide Texte relativieren eine conditio humana (des Umwelthandels) durch die Andersartigkeit von "traditionellen" Mensch-Umweltbeziehungen gegenüber denjenigen in westlichen Industriegesellschaften.
Im zweiten Hauptteil gibt Thomas Meier einen schlaglichtartigen Überblick über Umweltverhalten im europäischen Mittelalter. Er kommt zu dem Ergebnis, dass heutige Ideen von Nachhaltigkeit und schonender Ressourcennutzung für mittelalterliche Wirtschaftsweisen kaum zutreffen. Wildnis werde als Ort von Dämonen (locus horribilis) eindeutig negativ konnotiert. Anschließend untersuchen die Umwelthistoriker Verena Winiwarter und Martin Schmid mit Hilfe von Theodor Schatzkis Theorie einer sozialen Ontologie Umweltverhalten in der Vergangenheit. In Schatzkis Theorie sind "sozionaturale Schauplätze" geschichtsmächtig. [2] Sie werden durch Arrangements und Praktiken wechselseitig bestimmt. Die Autoren versuchen mit diesen relationszentrierten Mitteln, Natur und Kultur als analytische Kategorien für die Umweltgeschichte handhabbar zu machen. Gerade im Hinblick auf die Verknüpfung von Natur- und Geisteswissenschaften erscheint ihnen dieses Projekt vielversprechend.
Im dritten Hauptthemenblock werden heutige Perspektiven aus relevanten Disziplinen (etwa Geographie, Ökonomie, Psychologie, Sozialwissenschaft, Politikwissenschaft) zusammengestellt. Martina Neuburger nimmt entlang der Geschichte der Geographie die Entwicklung von Konzepten zur Mensch-Umwelt-Beziehung in den Blick. Diese reichen von einem strikten Naturdeterminismus, hin zu Possibilismus und heutigen sozialökologischen Ansätzen. Die Auflösung der Natur-Kultur Dichotomie sei in der Geographie ebenso Forschungsdesiderat wie in der Umweltgeschichte. Wissenschaftstheoretische Überlegungen stecken aber hier, laut Neuburger, noch in den Kinderschuhen. Als Forschungsgrundlage wird auf das Modell von Fischer-Kowalski aus der sozialen Ökologie Bezug genommen. [3] In Christian Beckers ökonomischer Perspektive erscheint das Mensch-Natur-Verhältnis als eine einseitige Beziehung von homines oeconomici zu Gütern oder Produktionsfaktoren. Die Umwelt werde primär in Anbetracht von subjektiven Präferenzen von Individuen behandelt und solle durch Anreizsysteme geregelt werden. Becker kritisiert, dass es keinen expliziten Naturbegriff in der Ökonomie gebe. Mit seiner Forderung nach einer Reflexion des impliziten Naturbegriffes, will er die Ökonomie für das interdisziplinäre Forschungsfeld "Umweltverhalten" anschlussfähig machen. Einer solchen disziplininternen Reflektion mangelt es auch in der Umweltpsychologie. Anke Blöbaum stellt hier die wichtigsten Modelle zur Erklärung von Umweltverhalten vor. Die von der Ökonomik berücksichtigten Faktoren werden darin um ethische Handlungsorientierungen erweitert. Problematisch sei die Eingliederung der psychologischen Ergebnisse in ein transdisziplinäres Forschungsfeld aufgrund mangelnder interkultureller und historischer Vergleichbarkeit. Die Wahrnehmung des Selbst als "eindeutig getrennte Entität" sei zum Beispiel ein westliches Spezifikum, dem in Japan ein interdependentes Selbst entgegensteht. Vervollständigt durch die Einsichten aus der Ethnologie erscheint ein Kontinuum vom losgelösten Individuum über das interdependente Selbst bis zum einenden Universum sinnvoll, um die Vielzahl möglicher Umweltbeziehungen grundsätzlich zu strukturieren.
Abschließend vermittelt Thomas Potthast eine umweltphilosophische Position als Basis für interdisziplinäre Umweltforschung. Er schafft terminologische Klarheit, indem er Naturbegriffe analytisch und historisch differenziert. Seiner Auffassung nach erscheint eine rigide Trennung von Natürlichem und Menschengemachtem unangemessen. Stattdessen solle eine graduelle Feststellung von Natürlichkeit forschungsleitend sein. Entsprechend konzeptualisiert Potthast seine Umweltethik als "inklusiv"; d.h. es sollen "unterschiedliche Formen der Naturinteraktion" und nicht die Natur als ein separiertes Gegenüber fokussiert werden.
Es bleibt festzuhalten, dass dieser Tagungsband entsprechend der großen Heterogenität der Beiträge keine einfache Erklärung für die Beziehungen zwischen Mensch und Natur vermittelt. Der Wert des Buches beruht auf seiner anregenden Vielfalt und erfüllt damit den Anspruch des Herausgebers. Darüber hinaus liefern besonders die Artikel, die theoretisch ausgerichtet sind, eine gute Grundlage für fächerübergreifende Arbeit. Ob diese Grundlage Ernst genommen werden wird und ob sich Synergieeffekte einstellen können, bleibt abzuwarten. In den möglichen Verknüpfungen von Gedanken aus sozialer, mythischer oder relationaler Ontologie, sowie methodischem Individualismus und Interaktionismus liegt jedenfalls noch ungenutztes Potential.
Anmerkungen:
[1] Knopf nimmt Bezug auf B. Herrmann / A. Budde (Hgg.): Natur und Geschichte. Naturwissenschaftliche und historische Beiträge zu einer ökologischen Grundbildung, Hannover 1989 und V. Winiwarter / H. Wilfing (Hgg.): Historische Humanökologie. Interdisziplinäre Zugänge zu Menschen und ihrer Umwelt, Wien 2002. Seitdem fanden zwei weitere Tagungen mit ähnlicher Ausrichtung statt: "Historische Mensch-Umwelt-Beziehungen als transdisziplinäres Forschungsfeld" (München, Nov. 2006) und "Natur als Grenz(E)rfahrung" (Göttingen, Dez. 2008).
[2] Der Terminus "sozionaturale Schauplätze" ist eine Erweiterung von Schatzkis ursprünglichem Begriff "sozialer Schauplätze", die Winiwarter und Schmid vornehmen, um die bei Schatzki ausgewiesene Relevanz von Naturdingen angemessen zu betonen.
[3] M. Fischer-Kowalski / H. Weisz: Society as hybrid between material and symbolic realms. Toward a theoretical framework of society-natur interaction. Human Ecology 8 (1999), 215-251. M. Fischer-Kowalski: Gesellschaft, Natur und Freiheit. Ein Kommentar aus soziologischer Perspektive. In: V. Winiwarter / H. Wilfing (Hgg.): Historische Humanökologie. Interdisziplinäre Zugänge zu Menschen und ihrer Umwelt, Wien 2002, 237-245.
Patrick Masius