Katrin Hauer: Der plötzliche Tod. Bergstürze in Salzburg und Plurs kulturhistorisch betrachtet (= Kulturwissenschaft; 23), Münster / Hamburg / Berlin / London: LIT 2009, 248 S., ISBN 978-3-643-50039-7, EUR 19,90
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Der Plötzliche Tod fokussiert die Geschichte einer Katastrophe, die sich am 16. Juli 1669 in der Stadt Salzburg ereignete. Eine Felswand stürzte herab und begrub dreizehn Häuser in der Gstättengasse, sowie die Markus-Kirche, das Kirchlein zu "Unserer Leben Frau am Bergl" und das Priesterseminar. Insgesamt gab es mehr als 220 Opfer. Das gut lesbare Buch will als gesellschaftliches Gedächtnis dieses "großen Mönchsbergsturzes" fungieren (13).
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die historische Betrachtung von Naturkatastrophen als ein wichtiges Thema der Umweltgeschichte entwickelt. Die vorliegende Arbeit ist in diesem Kontext zu lesen, auch wenn die Autorin in ihrem Selbstverständnis zwischen "neuerer Kulturgeschichte" (25), "Umweltgeschichte" und einem interdisziplinären Potpourri von "umweltgeschichtlichen, geologischen, sozialwissenschaftlichen, historisch-anthropologischen und ikonographischen Zugängen" changiert (26). Ihrem Ziel gemäß, ein möglichst ganzheitliches Bild des Bergsturzes und seiner Folgen zu ermitteln, hätte ein interdisziplinärer Ansatz von Umweltgeschichte als theoretische Grundlage vollends ausgereicht.
Wünschenswert wäre in dieser Hinsicht eine explizite Auseinandersetzung mit dem Paradigma der Umweltgeschichte gewesen. Vor diesem Hintergrund hätten auch die Begriffe "Naturereignis" und "Naturkatastrophe" präzisiert werden können. Dabei gliedert sich Katrin Hauers Analyse grundsätzlich nach umweltgeschichtlichem Vorbild in einen naturwissenschaftlichen Teil, der den Bergsturz aus geologischer Perspektive betrachtet und einen kulturwissenschaftlichen Teil, der sich mit Wahrnehmung, Deutung und Bewältigung auseinandersetzt. Mit genanntem Dreiklang schließt sich die Autorin einer Systematik an, wie sie von Historikern wie Christian Rohr oder Holger Sonnabend in ähnlichen Studien angewandt wurde.
Die kulturhistorische Analyse des Unglücks basiert auf einer Vielzahl von archivalischen Quellen. Neben Sterbe- und Rechnungsbüchern, Totenroteln, Chroniken und zahlreichen Stadtansichten, werden ein Tagebuch, das Stadtratsprotokoll von 1669 und verschiedene Flugblätter berücksichtigt. Der Schwerpunkt der Analyse liegt auf der Wahrnehmung und Deutung des Unglücks durch die Vertreter der Kirche, da ein Großteil der Quellen von Kirchenleuten angefertigt wurde. Die Herausforderung bestand darin, dass Gotteshäuser und Kirchenleute von der Katastrophe betroffen worden waren. Als Strafe Gottes konnte man die Katastrophe folglich kaum auslegen. Stattdessen wurde auf Totenroteln kirchlicher Opfer zum einen der Feind des Menschengeschlechts, der Teufel, zum Urheber des Unglücks stilisiert. Zum anderen wurde die Katastrophe als Gottes Werk zur Befreiung der Opfer aus dem "irdischen Jammertal" gedeutet (116). So interessant die vorgestellten Ergebnisse im Einzelnen sind, so vorteilhaft wären stärkere Bezüge zu vorhandenen Arbeiten zur religiösen Deutung von Katastrophen gewesen.
Durchaus hilfreiche Differenzen zwischen "vorbereitenden und auslösenden Kräften" auf der einen Seite und zwischen "naturbedingten und anthropogenen Faktoren" auf der anderen Seite, die bei der Entstehung von Bergstürzen zu beachten sind, werden aus geologischer Perspektive eingeführt. Katrin Hauer resümiert, dass sowohl Erdstöße wie auch der sehr regenreiche Sommer "zur 'Auslösung' des großen Mönchsbergsturzes gedient haben könnte[n]" (62). Die Anlage von Hohlraumbauten und Steinbrüchen hätte zuvor als vorbereitender anthropogener Faktoren die Felsen destabilisiert. Zeitgenössische Diskussionen um die Ursachen der Katastrophe werden punktuell mit diesen Erkenntnissen in Bezug gesetzt. So hielt der Chronist Joseph Mezger in seiner zwei Jahrzehnte nach dem Bergsturz erschienenen "Historia Salisburgensis" die Aushöhlungen der Einwohner am Fuß des Mönchsberges für die Ursache des Bergsturzes (115). Damit folgte er der veröffentlichten Erklärung des Landesfürsten Max Gandolph, der die Aushöhlungen, nebst "löcherigem Stain" und Witterungsverhältnissen zu den Ursachen des Bergsturzes erklärte (96). Auf diese Weise war der Landesfürst den reißerischen Darstellungen der Flugblätter entgegen getreten, die die Katastrophe als Strafe Gottes darstellten. Letztere betrachteten die Betroffenen als "gemeines Gesindlein" und damit als Auslöser für den Akt Gottes. Darüber hinaus wurde aber auch der Landesfürst persönlich mit den Ereignissen in Verbindung gebracht, weil sich eine Reihe unerklärlicher Unglücke in seinem Umfeld ereignet hätten (95).
Hauer vermutet, dass das Engagement des Landesfürsten nach der Katastrophe, beim Wiederaufbau und der Stiftung von Messen, auf dieser mysteriösen Anklage beruht (121). Eine Zusammenführung der genannten Ergebnisse, die sich im Buch auf drei Unterkapitel (4.1-4.3) verteilten, wäre durchaus gewinnbringend gewesen, um die politischen Implikationen der Katastrophe deutlicher herauszustellen. Durch Mary Douglas Arbeiten zu Risiko und Schuld hätten entsprechende Befunde theoretisch untermauert werden können.
Im Einzelnen ist die Abgrenzung zwischen "Wahrnehmung" und "Deutung" nicht immer nachvollziehbar. Die Textpassage des Flugblattartikels zum großen Mönchsbergsturz wird beispielsweise in dem Bereich "Wahrnehmung", als auch in dem Bereich "Deutung", besprochen (95 und 118f.). Ähnliche Inkonsistenzen in der Gliederung finden sich in der unzureichenden systematischen Abgrenzung der Kapitel "kulturgeschichtliche Befunde" (4.1.2) und "Bestandsaufnahme" innerhalb der Wahrnehmung des Mönchsbergsturzes (4.2.1). Die Frage nach den menschlichen Verlusten wird in beiden Kapiteln behandelt. Weiterhin werden relevante stadtgeschichtliche Aspekte, die eigentlich in Kapitel 3 auszuführen wären, schon in der Vorstellung der Quellen behandelt (1.6.1).
Hauer vervollständigt ihre Perspektive auf den "großen Mönchsbergsturz", indem sie eine Geschichte von Bergstürzen und ihrer Bewältigung in Salzburg vom Mittelalter bis heute nachzeichnet. Die Arbeit der sogenannten "Bergputzer" die loses Gestein vom Felsen abklopfen, ist dabei eine wichtige Präventivmaßnahme (Kap.2 u. 4.4.2). Während ihre Ausführungen hier durchaus erhellend sind, bleibt der Mehrgewinn des Vergleichsbeispiels zum Bergsturz von Plurs (1618) etwas fragwürdig. Im Unterschied zu der Deutung der Salzburger Katastrophe habe es in Plurs keine rationalen Erklärungsversuche gegeben. Wahrscheinlich weil es keine Überlebenden gab, die an einer Aufklärung interessiert waren, so die Autorin (155). Hier wie an anderer Stelle vermisst der Leser substantiellere Erklärungen, anstelle von konjunktivischer Abschwächung oder Vermutung. Außerdem sei der Bergsturz von Plur durch eine Prodigie angekündigt worden (153). Dieser unkritische Hinweis müsste dadurch relativiert werden, dass Prodigien tatsächlich immer erst ex eventu auftauchen.
Trotz der aufgezeigten Mängel bietet das Buch nicht nur dem interessierten Laien, sondern auch dem Fachwissenschaftler einigen Erkenntnisgewinn. Besonders der Umgang der Kirchenvertreter, die selbst von dem Unglück betroffen waren, eröffnet frappierende Einsichten in die Mechanismen von Wahrnehmung und Deutung von Naturkatastrophen in der Frühen Neuzeit. Darüber hinaus ermöglicht es der extensive Anhang, in dem auf sechzig Seiten Quellentranskripte nebst Übersetzungen zu finden sind, die Quellenarbeit nachzuvollziehen und bei Bedarf das Quellenmaterial selbst zu verwerten. Einige Druckfehler (z.B. 41) hätten durch ein gewissenhaftes Lektorat vermieden werden können. Der Plötzliche Tod hält was die Autorin verspricht insofern das Buch "gesellschaftliches Gedächtnis" sein will. Ihre Recherchen zum "großen Mönchsbergsturz" liefern erstmals ein differenziertes und von zahlreichen Illustrationen unterstütztes Bild der Ereignisse. Mit vorliegender Arbeit hat Katrin Hauer einen facettenreichen Beitrag zur Salzburger Stadtgeschichte geliefert, der wissenschaftlichen Ansprüchen allerdings stellenweise nicht genügt.
Patrick Masius