Susan Richter / Dirk Dirbach (Hgg.): Thronverzicht. Die Abdankung in Monarchien vom Mittelalter bis in die Neuzeit, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2010, 347 S., 13 s/w-Abb., ISBN 978-3-412-20535-5, EUR 44,90
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Der Sammelband, Ergebnis einer interdisziplinären Heidelberger Tagung von Rechtshistorikern, Historikern und Kunsthistorikern im Jahr 2007, ist einem Thema gewidmet, das bislang in der Forschung kaum, vor allem aber nicht systematisch behandelt wurde: der Abdankung. Dies nachzuholen, maßen sich die Herausgeber nicht an. Sie wollen vielmehr weitere Forschungen zum Thema anstoßen.
Die Band ist in drei Blöcke untergliedert: "Abdankung als Rechtsakt" (acht Beiträge), "Abdankung oder Absetzung?" (sieben Beiträge) und "Abdankung und Öffentlichkeit" (zwei Beiträge).
Unter den Beiträgen zur Abdankung als Rechtsakt finden sich drei wichtige, grundlegende Aufsätze zum Thema. Hans Hattenhauer untersucht die Begriffsgeschichte der weitgehend synonym gebrauchten Begriffe abdicatio, resignatio und refutatio sowie der deutschen Entsprechungen auf der Grundlage einer juristischen Dissertation aus dem Jahr 1686 sowie verschiedener Wörterbücher des 19. und 20. Jahrhunderts. Carola Schulze thematisiert die Konsequenzen, die unterschiedliche politische Kontexte, in denen Abdankungen stattfanden, auf den Rechtsvorgang selbst hatten. Dabei stellt sie heraus, dass der rechtliche Umgang mit Abdankung erst anhand des Falls Karls V. überhaupt entwickelt wurde, was vielleicht den - mit einer Ausnahme - Verzicht der Herausgeber auf die Behandlung mittelalterlicher Abdankungen verständlich macht. Susan Richter zeigt anhand des Zeremoniells bei der Abdankung Kaiser Karls V. 1555 und König Johann Casimirs von Polen 1668 den rechtlichen Gehalt der Zeremonielle auf, in deren Rahmen unter anderem auch die Untertanen von ihrer Treue- und Gehorsamsplicht gegenüber dem Herrscher entbunden wurden. Mit dem interessanten Beitrag von Susan Richter zum Thronverzicht Friedrich Carl Alexanders von Ansbach-Bayreuth im Jahr 1791, der seine Länder an Preußen verkaufte, wird eine Abdankung vorgestellt, die ganz ohne Zwang erfolgte. Zwei Beiträge beschäftigen sich mit der Abdankung Karls I./IV. als Kaiser von Österreich (Wilhelm Brauneder) und König von Ungarn (István Szabó) als Folge des Ersten Weltkriegs. Beide Beiträge - leider nicht aufeinander bezogen, obwohl sie den selben Herrscher zum Gegenstand haben - zeigen die verfassungsrechtlichen Konsequenzen dieser beiden Abdankungen im politischen Kontext des Jahres 1918 auf. In Österreich war die Abdankung in einem Junktim mit der Republikgründung verbunden, Ungarn bestand schließlich als "Königreich ohne König" fort. Der Beitrag von Winfried Klein thematisiert die Rechtsfolgen der Abdankungen im Deutschen Reich in den Jahren 1918/19 für die Monarchen selbst, Thomas Wetzstein richtet den Fokus auf die Abdankung von Bischöfen und Päpsten im hohen und späten Mittelalter auf der Grundlage der Bestimmungen des kanonischen Rechts.
Kann man im ersten Block den roten Faden noch erkennen, wenn man die eher willkürlich anmutende Reihenfolge der Beiträge einmal außer Acht lässt, so fällt das für den zweiten thematischen Block "Abdankung oder Absetzung?" schwer. Was dafür spricht zu überlegen, ob die taktische Abdankung Markgraf Georg Friedrichs von Baden-Durlach im Dreißigjährigen Krieg eine "Absetzung" gewesen sein soll, erschließt sich nach der Lektüre nicht. Vielmehr zeigt der Beitrag von Michael Roth, dass Abdankungen strategisch eingesetzt werden konnten, um bestimmte politische Ziele zu erreichen. Auch die anderen Beiträge dieses Themenblocks thematisieren nicht Absetzungen, sondern Abdankungen in historischen Situationen, in denen ein Festhalten am Thron nicht mehr zu den Handlungsoptionen der Monarchen zählte. Dazu zählten die durch den Reichsdeputationshauptschluss mediatisierten Fürsten (Ingo Knecht) ebenso wie Napoleon (Volker Sellin), die Herrscher der italienischen Regionalmonarchien im Zuge des Risorgimento (Bernd Braun) und die Fürsten des Deutschen Reichs 1918/19 (Michael Horn). Anders steht es mit den freiwilligen Abdankungen nach der 1848er Revolution (Eva Maria Werner), die vor allem aus persönlichen Demütigungen und dem Gefühl der "Erniedrigung" der Herrscher resultierten.
Von den beiden Beiträgen des letzten Blocks "Abdankung und Öffentlichkeit" widmet sich der erste der Abdankung "als Leerstelle in der Herrscherikonographie" (Martin Schieder). Mit Ausnahme der Abdankung Karls V. zugunsten seines Sohnes Philipp II., mit der die Freiwilligkeit des Aktes und die Kontinuität der Herrschaft unterstrichen werden sollten, existieren kaum bildliche Darstellungen von Abdankungen. Der zweite Beitrag stellt anhand zeitgenössischer Briefe, Berichte und Streitschriften die Reaktionen der Öffentlichkeit auf das Verhalten Viktor Amadeus' II. von Sardinien vor, der 1730 ohne äußeren Druck zugunsten seines Sohnes abdankte, danach aber wiederholt erklärte, die Staatsgeschäfte wieder selbst führen zu wollen (Jochen A. Fühner).
Nach der Lektüre des Bandes drängen sich Fragen auf: Haben Abdankungen von Herrschern, die ihre Herrschaft einem Wahlvorgang verdanken, nicht völlig andere rechtliche Implikationen als Abdankungen von Herrschern, die in einer "normalen" dynastischen Erbfolge stehen? Die intensiven verfassungsrechtlichen Debatten im Kontext der Abdankung Karls V. sowie Franz' II. sprechen dafür, hier eine strikte Unterscheidung vorzunehmen. Müssen Abdankungen, die Teil einer politischen Strategie sind, nicht völlig anders gesehen werden als Abdankungen, die den Herrschern als einzige Handlungsoption bleiben? Müsste nicht eine Systematisierung darin bestehen, Abdankungen, die mit dem Junktim der Änderung der Staatsform versehen waren (1918/19) oder die völlige Auflösung staatlicher Strukturen bedeuteten (1806; 1918/19), strikt von jenen zu trennen, bei denen wirklich nur der Herrscher wechselte? Zusammenfassende Reflexionen über diese und andere grundlegende Fragen hätten dem Band gut getan.
Wenn der Band auch wenig zur systematischen Erschließung des Themas beiträgt und mehr Fragen aufwirft, als er beantworten kann: Anregend ist er allemal. Ausnahmslos alle Beiträge inspirieren dazu, weiter über das interessante Thema nachzudenken und einzelnen Aspekten nachzugehen.
Material dafür liefern die jedem Beitrag angehängten umfangreichen Literaturhinweise sowie das von Susan Richter und Michael Roth zusammengestellte kommentierte Quellenverzeichnis, das zahlreiche publizierte und nicht publizierte Schrift- und Bildquellen zum Thema erschließt. Zu wünschen ist, dass die weitere Forschung der Interdisziplinarität dieser Tagung treu bleibt und so das Potential des Themas, auf das dieser Tagungsband eindrucksvoll aufmerksam macht, völlig ausschöpft.
Helga Schnabel-Schüle