Rezension über:

Susan Richter: Fürstentestamente der Frühen Neuzeit. Politische Programme und Medien intergenerationeller Kommunikation (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 80), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009, 541 S., ISBN 978-3-525-36073-6, EUR 78,90
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Rezension von:
Wolfgang E. J. Weber
Institut für Europäische Kulturgeschichte, Universität Augsburg
Redaktionelle Betreuung:
Matthias Schnettger
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang E. J. Weber: Rezension von: Susan Richter: Fürstentestamente der Frühen Neuzeit. Politische Programme und Medien intergenerationeller Kommunikation, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009, in: sehepunkte 11 (2011), Nr. 11 [15.11.2011], URL: https://www.sehepunkte.de
/2011/11/16182.html


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Susan Richter: Fürstentestamente der Frühen Neuzeit

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Die medial-kommunikativen und inhaltlichen Funktionen der fürstlichen Testamente im Dynastie- und Staatsbildungsprozess genauer unter die Lupe zu nehmen, war ein schon lange schmerzlich empfundenes Forschungsdesiderat. Mit der vorliegenden Heidelberger Dissertation (Betreuer: Eike Wolgast) ist, so darf vorweg festgestellt werden, diesem Desidarat in zentralen Hinsichten dauerhaft und überzeugend abgeholfen.

Der Studie liegen über 150 zwischen 1530 und 1806 von regierenden Häuptern großer wie mittlerer und kleinerer deutscher Fürstendynastien aller Konfessionen erlassene letztwillige Verfügungen politischen Charakters zugrunde. Diese werden zunächst im Hinblick auf ihre Rechtsgrundlagen, Formen, Autorschaft, Entstehung und Entwicklung, Adressaten, Konfirmation durch den Kaiser, Eröffnungszeremonien, Aufbewahrung und Ansätze, die Nachkommen entsprechend zu verpflichten, analysiert und vorgeführt. Deutlich wird unter anderem, dass die Heranziehung von Rechtsnormen die politische Komponente nirgends überlagern konnte, die kaiserliche Konfirmation eher als Chance gesehen und deshalb genutzt wurde und die rituelle Eröffnung und Inhaltskenntnisnahme vor allem der Bindung des Nachfolgers an die väterliche Verfügung dienten. Zur Stärkung dieser Bindung kamen im Übrigen nicht nur Rechtsmittel wie das Treuegelöbnis und religiös-moralische Verpflichtungsformen einschließlich des Gewissensappells zum Einsatz, sondern es wurde auch mit Motiven des Vertrauens gearbeitet. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts schlugen aber auch - und das ist einer der zahlreichen neuen Befunde - die fortschreitende Historisierung der Politik und die entsprechende Individualisierung und Flexibilisierung des Herrscherverhaltens durch: Angesichts der sich rasant verändernden Verhältnisse musste auf straffe Festlegungen verzichtet, dem Nachfolger freieres Handeln zugestanden werden (191-196).

Das zweite inhaltliche Kapitel ordnet die Verfügungen dem jeweiligen zeitgenössischen politisch-ideengeschichtlichen Horizont zu. Als Quellen dafür werden als repräsentativ angesehene, nachweislich in den Fürstenbibliotheken vorhanden gewesene Fürstenspiegel und Regentenlehren, darunter das Regentenbuch des Georg Lauterbeck (zentrale Ausgabe 1556), herangezogen. Tatsächlich kann die Autorin eine enge innere und äußere Verwandtschaft dieser Gattung mit den Testamenten nachweisen und insofern eine bereits ältere Forschungsmeinung bestätigen. Es ist wohl auch realistisch, den deutschen Fürsten der untersuchten Epoche vor allem die Lektüre dieser auch sprachlich leicht zugänglichen, topisch aufgeblähten und ein unkompliziertes, allgemeines, christliches Herrscherverständnis propagierenden Texte zuzuschreiben. Zu den "Einflüssen und Prägungen der politischen Verfügungen" (197 und öfter), die hier untersucht werden, müssten meines Erachtens allerdings aber auch die Ideen und Rezepturen der seit 1580/90 etablierten universitären Politikwissenschaft gezählt werden, die regelmäßig von den Fürsten- und sonstigen Adelssöhnen (wiewohl mehr oder weniger intensiv) studiert wurde und deren Hervorbringungen in Gestalt entsprechender, freilich im Wesentlichen lateinischer Werke sich ebenfalls in den entsprechenden fürstlichen Sammlungen finden. Einer der Hauptautoren, Justus Lipsius, ist ja bereits mehrfach erwähnt (334, 337, 385). Des Weiteren wäre zu erwägen, ob die Fürstenspiegel sich ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert nicht zu Schriften wandelten, die öffentlich ein bestimmtes Herrscherbild propagierten und dafür Legitimität beschaffen sollten, für den praktischen herrschaftsinternen Gebrauch aber kaum mehr herangezogen wurden.

Das folgende Kapitel bietet eine detaillierte, auch Sprache und Stil einbeziehende Rekonstruktion der für den Erlass und die politische Gestaltung der Verfügungen explizit in ihnen selbst angegebenen und implizit fassbaren Gründe. Erwartungsgemäß handelt es sich dabei um allgemeine und herrscherspezifische christliche Motive (vor allem Furcht und Verantwortung vor Gott) sowie teils religiös angereicherte Verpflichtungen gegenüber der Dynastie und dem Land - Letzteres hätte möglicherweise stärker betont werden können.

Schließlich folgt die insgesamt vergleichsweise knappe Analyse der Inhalte der politischen Verfügungen. An erster Stelle steht nachvollziehbarweise die Regelung dynastischer Angelegenheiten: Erbfolge, Besitz und Vermögen, Regentschaft und Vormundschaft, Heiraten. Dann geht es um die Gestaltung der Regierung und das Territorium. Die zum Ausdruck kommenden und intergenerationell eben durch die Testamente weiter gegebenen Obrigkeitsbilder überraschen kaum. Prägende Elemente sind Gottesgnadentum und Auffassungen des Fürsten als Amtmann Gottes oder Hausvater. Der Einbezug von Kaiser und Reich ist vielschichtig, eigentliche Reichseuphorie lässt sich kaum fassen, seit dem "ausgehenden 17. und im 18. Jahrhundert" maßen "die Fürsten größerer und auch einiger kleinerer Territorien dem Reich und dem Kaiserhaus in ihren Testamenten offenbar immer weniger Bedeutung" zu (325). Ein Begriff für Außenpolitik fehlt erwartungsgemäß, stattdessen werden überwiegend noch eher moralisch-rechtlich, also nicht dezidiert interessebezogen, Bündnisse und das Problem von Krieg und Frieden erörtert. Im Bereich der "Innenpolitik" (344) spielt die Konfession der Dynastie bzw. des väterlichen Erblassers mit deren Konsequenzen für das Land die wesentliche Rolle. Ihr folgten ebenfalls nicht ganz überraschend die Komplexe Bildung, Beamte und Hof, Staatsfinanz und Schulden, erst dann jedoch Recht und Justiz. Insgesamt kann man von einer Kombination empirisch-konkreter Elemente mit Komponenten idealer 'guter' und deshalb dauerhafter Herrschaft sprechen, die in diesen Bestimmungen zum Ausdruck kommt. Nach einem weiteren, sehr kurzen Kapitel zum Fürstentestament als Quelle - faktisch geht es um die Voraussetzungen, Funktionen und ansatzweise Folgen der Veröffentlichung einzelner Gattungsvertreter im 18. Jahrhundert - folgt als letzter Durchgang eine Untersuchung der Testamente als Medium intergenerationeller Vermittlung von Herrschaftswissen und hinsichtlich ihrer individuellen Variabilität in den Bezügen zum Fürstenstand im Allgemeinen, zur jeweiligen fürstlichen Persönlichkeit und zur Dynastie. Die Verfasserin möchte vor diesem Hintergrund die gängige Definition des Fürstentestaments oder zumindest von deren politischen Teilen, wie sie zuletzt Heinz Duchhardt geliefert hat, ergänzt wissen: Es handele sich auch um fürstliche Selbstzeugnisse und "Kommunikationsmedien zur Steuerung dynastischen, politischen, ethischen, konfessionellen Handelns der nächsten oder später nachfolgenden Herrschergenerationen" (452).

Der in den neuesten Forschungsstand eingebetteten Qualifikationsschrift hätten da und dort statistisch-diagrammatische Übersichten gut getan; dass zum Beispiel nirgends ausdrücklich die konkrete Zahl der herangezogenen Testamente angegeben ist, erscheint als echtes Manko. Ferner wären gelegentliche, aus dem ja keineswegs völlig fehlenden Vergleich mit außerdeutschen Befunden gewonnene kritische Einschätzungen sehr willkommen gewesen. Was die untersuchten Quellen vermitteln, ist ja eine durchaus spezifische politische Kultur und eine reichstypische, mit der fortgeschrittenen Staatsbildung und der Entwicklung des Staatensystems im übrigen Europa in entscheidenden Hinsichten nicht mehr deckungsgleiche Einschätzung von Politik und Mächtedynamik. Quellenbedingt blieb schließlich die Veränderung der Position des Monarchen gegenüber seinen höchsten Helfern, also der sekundären Machtelite der Minister und sonstigen hohen Beamten, weitgehend außen vor, die ja bekanntermaßen zumindest für das 18. Jahrhundert höchst relevant ist. Insgesamt hat Susan Richter jedoch eine unzweifelhaft bahnbrechende Studie vorgelegt.

Wolfgang E. J. Weber