Thomas Schaufuß: Die politische Rolle des FDGB-Feriendienstes in der DDR. Sozialtourismus im SED-Staat (= Zeitgeschichtliche Forschungen; Bd. 43), Berlin: Duncker & Humblot 2011, XXIV + 469 S., ISBN 978-3-428-13621-6, EUR 38,00
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Es gibt manchmal Vorworte, die besser nicht geschrieben worden wären. Dem hier zu besprechenden Band sind gleich zwei solcher Exemplare vorangestellt. Das eine stammt von der heutigen CDU-Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld, das zweite vom Leiter des "Forschungsverbundes SED-Staat" an der FU Berlin Klaus Schroeder. Lengsfeld mag man nachsehen, dass sie endgültig mit dem Mythos aufräumen will, "nicht alles [war] schlecht in der DDR", außerdem "den Mythos vom billigen Urlaub für alle enttarnen" will und den Leser mit der Erkenntnis konfrontiert, "die Stasi [war] immer dabei". Schroeder überrascht den Leser mit der Erkenntnis, dass "die DDR alles andere als eine heile Welt" gewesen sei.
Derartige Weisheiten mag man noch hinnehmen, ebenso die nur begrenzt zutreffende Behauptung, durch die Lektüre der Monographie würde der Leser "jede Menge lernen" bzw. (drei Zeilen später:) sogar "jede Menge Neues" lernen (Lengsfeld). Wirklich erstaunlich ist aber die Feststellung beider Laudatoren, der Autor der vorliegenden Studie habe endlich entschlüsselt, was Generationen von Tourismushistorikern bisher entgangen sei: Der FDGB-Feriendienst habe ein "unausgesprochenes Vorbild [gehabt], die Kraft-durch-Freude-Ferien im Dritten Reich"; die Führung der DDR-Gewerkschaften hätten "das Konzept der Nazis bis ins Detail übernommen" und sogar noch "perfektioniert" (Lengsfeld). Schroeder bestätigt, "die NS-Organisation 'Kraft durch Freude'" sei das "heimliche Vorbild des FDGB-Feriendienstes gewesen". Der informierte Leser hält bei diesen Sätzen inne, wundert sich und schlägt die Passage auf, die offensichtlich der Kern der Monographie ist (60-73).
Deren Lektüre steigert das Erstaunen schließlich zum Ärger: Verzeihlich ist, dass Schaufuß nicht erwähnt, dass das Amt "Reisen, Wandern, Urlaub" nur eines von mehreren Ämtern der NS-Gemeinschaft KDF war, sich KDF außerdem z.B. intensiv um den Betriebssport kümmerte und zu dieser NS-Gemeinschaft außerdem das von Albert Speer geleitete Amt "Schönheit der Arbeit" gehörte, welches im Interesse der Aufrüstung und Kriegsvorbereitung für hübsch begrünte und hell erleuchtete Industrieanlagen warb. Anders ist dies bei einigen gravierenden Unterschieden zwischen KDF-Tourismus und FDGB-Feriendienst, die bei Schaufuß schlicht unter den Tisch fallen. Die beiden wichtigsten: Erstens wird - und bereits dies setzt dem Vergleich von KDF und FDGB-Feriendienst enge Grenzen - nicht erwähnt, dass im 'Dritten Reich' neben KDF ein bürgerlicher Tourismus weiter bestand. Kommerzielle Tourismusunternehmen, die Individualreisen anboten oder Pauschalurlaube organisierten, prosperierten teilweise sogar kräftiger als das KDF-Amt "Reisen, Wandern, Urlaub" mit seinen massentouristischen Aktivitäten. In der DDR hat dagegen spätestens seit der "Aktion Rose" (auf die der Verfasser auf Seite 37 f. kurz hinweist) ein privatwirtschaftliches Tourismusgewerbe faktisch nicht mehr existiert. Ärgerlich ist zweitens, dass der Verfasser in der Passage über KDF von einer "sozialegalitären Volksgemeinschaft" spricht, welche die Nationalsozialisten hätten herstellen wollen. Kaum ein Statement zeugt von größerer Ahnungslosigkeit über die NS-Zeit. Das Hitler-Regime wollte ein schroff hierarchisiertes Ordnungsgefüge "Volksgemeinschaft". Dieses sollte freilich nur sekundär sozial stratifiziert, primär dagegen nach rassistischen Kriterien strukturiert sein (auch innerhalb der Gemeinschaft der "arischen Volksgenossen", mit der SS und anderen NS-Eliten an der Spitze, die über besonders elaborierte rassistische Stammbäume verfügen sollten und sich in einem rassistisch-sozialdarwinistischen Leistungskampf bewährt haben mussten). Auch die Deutsche Arbeitsfront, die KDF Ende 1933 ins Leben rief, wollte keine egalitäre "Volksgemeinschaft". Ihr Ziel war es, eine der idealtypischen Frontgemeinschaft des Ersten Weltkrieges nachgebildete "Volksgemeinschaft" zu schaffen, mit einem politischen und wirtschaftlichen Generalstab sowie den Unternehmern als "Offizieren der Arbeit", den DAF-Funktionären als "Feldwebeln der Arbeit" über der 'feldgrauen' Masse der "Soldaten der Arbeit". Vom Rassismus sowie dem nationalsozialistischen Bellizimus als einer gleichfalls treibenden Kraft von KDF aber ist dort, wo Schaufuß KDF und das NS-System thematisiert, nirgendwo die Rede. Nicht einmal angedeutet wird, dass Menschen, die nach den NS-Rassegesetzen als "Juden" galten, von vornherein selbstverständlich von allen KDF-Unternehmungen ausgeschlossen waren - und dass dies gleichfalls einen wesentlichen Unterschied des FDGB-Feriendienstes zu KDF markiert.
KDF als Vorbild, welches der FDGB "bis ins Detail übernommen" habe? Bei Lichte betrachtet teilt Schaufuß selbst diese Ansicht Lengsfelds ganz offensichtlich nicht, mit guten Gründen. Über einige Unterschiede hinaus, die er ausführlich auflistet, stellt der Autor zu Recht fest, der FDGB "knüpfte bewusst an den gewerkschaftlich organisierten Arbeiter-Erholungsferien der Weimarer Zeit an" (66). Hier spätestens merkt auch der uninformierte Leser überrascht auf. Waren also der ADGB und die Naturfreunde die "heimlichen Vorbilder" des FDGB beim Aufbau des Feriendienstes und nicht KDF? Dieser Frage geht Schaufuß leider nicht nach. Auch ein Verweis auf Studien wie etwa die von Christine Keitz, die den Sozialtourismus der Weimarer Republik ausführlich thematisiert, fehlt. [1] Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang, dass Schaufuß die bisherige Forschung, die NS-Tourismus und DDR-Tourismus miteinander verglichen hat, nur punktuell zur Kenntnis genommen hat. Der kleine, bescheiden mit "vergleichende Einführung" betitelte Aufsatz von Hasso Spode, der KDF- dem FDGB-Tourismus gegenüberstellt, [2] ist noch heute weit inspirierender als die entsprechende Passage in der Monographie von Schaufuß; dort wird der Aufsatz Spodes nicht einmal in der Bibliographie erwähnt. Unabhängig davon wirft die Suche nach Vorbildern für den FDGB-Feriendienst die Frage nach Ähnlichkeiten mit den anderen RGW-Staaten auf. Im Anschluss an das Kapitel, in dem KDF-Reisen und FDGB-Ferien miteinander verglichen werden, schiebt Schaufuß deshalb eine dreieinhalb Seiten starke Passage über den - insgesamt bisher schlecht erforschten - sowjetischen Tourismus in seine Darstellung ein. Sie gipfelt in der These Schaufuß', dass dieser lediglich ein "propagiertes Vorbild" (73) gewesen sei. Auch diese Behauptung überzeugt nicht.
Was bietet Schaufuß sonst? Zwei größere Teile über die wichtigsten Stationen der Geschichte sowie die politischen Funktionen des FDGB-Feriendienstes, die empirisch solide sind, allerdings überwiegend auf älteren Darstellungen basieren. Diesen allgemeinen Teilen folgt im letzten Drittel der Monographie das "Fallbeispiel" des FDGB-Ferienheimes "Am Fichtelberg" (nahe Oberwiesenthal), dem der Verfasser als ehemaliger DDR-Gastrofunktionär "mehrere Jahre" als Direktor vorstand. Hier wird empirisch durchaus Neues präsentiert. Allerdings ist die Lektüre dieser Kapitel gleichfalls in weiten Passagen ermüdend. Auch deshalb ist zweifelhaft, ob die Monographie tatsächlich ein solches Lesevergnügen ist, wie Lengsfeld in ihrem Vorwort suggeriert, oder ob das Buch mindestens als Einführung in das Thema taugt. In weiten Abschnitten drängt sich der Eindruck auf, dass der Verfasser sich vom drögen Stil der Quellen, die ihm die SED-Bürokraten hinterlassen haben, hat anstecken lassen. Ferner stört, dass die Fußnoten unnötig dadurch aufgebläht werden, dass der Verfasser auf die langen Bezeichnungen archivalischer Bestände auch dann nicht verzichtet, wenn es das freundliche Kürzel "ebd." auch getan hätte.
Besonders ärgerlich bleibt jedoch vor allem der Vergleich des FDGB-Feriendienstes mit dem KDF-Tourismus, der unter der Feder der Verfasser der beiden Vorworte zur Gleichsetzung wird. Es spricht nichts gegen einen sorgsamen und differenzierenden Vergleich der Aktivitäten und Strukturen der Vorfeldorganisationen zweiter Staatsparteien (der wiederum deren jeweilige Vorgeschichte einzubeziehen hätte). Aber zumindest die Intention von Lengsfeld und Schroeder ist eine andere: Sie verfolgen mit der Gleichsetzung beider die Absicht, den DDR-Tourismus pejorativ einzufärben. Indem sie KDF-Reisen und FDGB-Ferien über einen Leisten schlagen, verdrängen sie nicht nur die rassistischen und kriegsvorbereitenden (bellizistischen) Dimensionen der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" - was auf eine Exkulpation von KDF und damit letztlich eine Verharmlosung der Hitler-Diktatur hinausläuft. Sie verstellen sich damit außerdem den Weg zu wissenschaftlicher Erkenntnis überhaupt.
Eine weitere Schwäche ist die politikhistorische Verengung des Blicks, von der man glaubte, sie sei inzwischen obsolet geworden. Die DDR erscheint bei Schaufuß als eine lückenlos von oben nach unten durchherrschte Gesellschaft. Schaufuß behauptet zwar, auch einen Beitrag zu der Frage zu leisten: "Wie wurde der FDGB von den in der DDR lebenden Arbeitern wahrgenommen?" (223) In der entsprechenden Passage ist dazu jedoch nichts zu finden. [3] Bei Schaufuß bleiben die DDR-Bürger wehrlose Opfer. Stattdessen wäre mit Blick auf den Urlaub im SED-Staat endlich einmal das komplexe Verhältnis von Gesellschaft und Herrschaft, die einander nicht als Blöcke gegenüberstanden, sondern sich gegenseitig durchdrangen, sowie die Ventile und Nischen, aber auch die eigene DDR-Tourismuskultur, die entstand, genauer in den Fokus zu nehmen. Selbst der FDGB-Feriendienst war nicht nur ein Herrschaftsinstrument; auch diese Institution, auch dessen "Kader" und Personal wurden, ob jene das wollten oder nicht, in "Aushandlungsprozesse" involviert - und einer historischen Dynamik unterworfen, die in der Monographie ebenfalls zu kurz kommt.
"Der größte Feind des Historikers ist der Zeitzeuge." Man muss nicht dieses "mokante Wortspiel" (FAZ vom 3. Juli 2009) bemühen, um gegenüber Versuchen skeptisch zu sein, das eigene Tun und Leiden mit dem Anspruch wissenschaftlicher Objektivität aufzuarbeiten. In diesem Fall verfestigt sich die Skepsis spätestens dort zur Gewissheit, wo sich auch der Verfasser der Monographie nicht der (von Lengsfeld und Schroeder vorgegebenen?) Versuchung erwehren kann, moralisierend seinen Zeigefinger zu erheben. In seinem "Nachwort" glaubt Schaufuß Protagonisten der unmittelbaren Nachwendezeit wie Lothar de Maizière oder der ostdeutschen Bundesländer heute wie Erwin Sellering vorhalten zu müssen, sie würden sich der Verharmlosung schuldig machen, wenn sie die DDR nicht uneingeschränkt als "totalen Unrechtsstaat" bezeichnen. Eine Historiographie aber, die die Geschichte der DDR lediglich mit dem Etikett "schlimm, schlimm, schlimm" beklebt, trägt zur Aufhellung der Strukturen von Politik, Kultur und Wirtschaft sowie des gesellschaftlichen Alltagslebens des untergegangenen ostdeutschen Staates nichts bei.
Anmerkungen:
[1] Christine Keitz: Reisen als Leitbild. Die Entstehung des modernen Massentourismus in Deutschland, München 1997.
[2] Hasso Spode: Tourismus in der Gesellschaft der DDR. Eine vergleichende Einführung, in: ders. (Hg.): Goldstrand und Teutonengrill. Kultur- und Sozialgeschichte des Tourismus in Deutschland 1945 bis 1989, Berlin 1996, 11-34.
[3] Auch in der Monographie von Heike Wolter ("Ich harre aus im Land und geh, ihm fremd". Die Geschichte des Tourismus in der DDR, Frankfurt a.M./New York 2009) kommt - nicht nur - dieser Aspekt zu kurz.
Rüdiger Hachtmann