Volker Reinhardt: Machiavelli oder die Kunst der Macht. Eine Biographie, München: C.H.Beck 2012, 400 S., 15 Abb., 1 Karte, ISBN 978-3-406-63017-0, 24,95
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Volker Reinhardt ist Ordinarius für Allgemeine und Schweizer Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg und ein hervorragender Kenner der neuzeitlichen italienischen Geschichte, vor allem der Renaissance. Nach Monographien über Francesco Guicciardini (2004), Francesco Vettori (2007), Michelangelo (2010) und Alexander VI. Borgia (2005 und 2011) veröffentlichte er in diesem Jahr eine Biographie über Machiavelli.
Niccolò Machiavelli war sowohl Zeuge als auch Akteur der italienischen Renaissance. Zwar erreichte er nie eine politische Führungsposition, blieb immer an Weisungen gebunden und politisch eher ein Nebendarsteller, aber er beobachtete Zeit und Zeitgenossen scharf und schrieb seine politischen Erfahrungen nieder, nachdem er 1512 alle Ämter verloren hatte.
Volker Reinhardt stellt seinen Helden als "Provokateur" (7) vor, als intellektuell und moralisch Extravaganten (8), als "Querdenker" (10), "Tabubrecher" (13), als "Lobredner des sexuellen Freibeutertums" (19) und belegt diese Charakterisierungen mit einem Brief von Machiavellis Konkurrenten und Intimfeind Francesco Guicciardini vom 18. Mai 1521, in dem es heißt, Machiavelli sei "stets in höchstem Maße von der vorherrschenden Meinung abgewichen und als Erfinder neuer und ungewöhnlicher Dinge bekannt" (8). Machiavelli - so das erste Resümee des Autors - sei "der einzige politische Denker Alteuropas, der bis heute Ärgernis erregt und erhitzte Debatten auslöst" (21). Letzterem kann man zustimmen.
Der junge Machiavelli erhielt eine klassische, humanistische Bildung. Seine Eltern gehörten zum niederen Patriziat der Stadt Florenz. Die Mutter stammte aus der Patrizierfamilie der Nelli, über sie ist wenig bekannt. Der Vater Bernardo Machiavelli war ein gebildeter Jurist, der Werke antiker Autoren wie Aristoteles, Ptolemäus, Cicero, Livius oder Plinius kaufte oder lieh und auch las. Durch Bernardo Machiavelli lernte Niccolò Machiavelli die antiken lateinischen Autoren im Original und die griechischen Autoren in Übersetzungen kennen. Das wissen wir aus dem Tagebuch des Vaters, "Libro di ricordi", das von Cesare Olschki ediert worden ist [1] und vor zehn Jahren durch Catherine Atkinson genau kommentiert wurde. [2] Reinhardt erwähnt diese Quelle nicht, sein Urteil über Machiavellis Eltern, Kindheit und Jugend fällt gegensätzlich aus: Der junge Machiavelli sei bei seiner Lektüre ganz auf sich gestellt gewesen (32), er habe sich seine Bildung eigenständig erwerben müssen, was wiederum tiefe Spuren in seinem Denken hinterlassen habe (33).
In seiner Geburtsstadt Florenz beobachtete Machiavelli eine Reihe von Verfassungskämpfen, machte sich mit dem System des Lorenzo il Magnifico vertraut und erlebte die Vertreibung der Medici und dann den Aufstieg und Niedergang des Mönches Girolamo Savonarola. Machiavelli verfolgte die Kämpfe der italienischen Städte und auch den Einbruch außeritalienischer Kräfte. Er erfuhr sein Zeitalter im Stadium einer beginnenden Krise.
Machiavelli diente - modern formuliert - der Republik Florenz als Diplomat. Er reiste als Gesandter zu Ludwig XII. nach Frankreich (79ff.), führte Missionen bei Cesare Borgia aus (95ff., 103f., 113ff., 117ff.) und schließlich auch bei Maximilian I. in Tirol (145ff.), kurzum Machiavelli nahm am politischen Leben seiner Zeit aktiv teil und lernte dabei nicht nur das politische Florenz, sondern auch Italien und große Teile Europas kennen.
Für Reinhardt ist Machiavelli jedoch weniger Diplomat als vielmehr Politiker. Der Rat der Achtzig wählte den Neunundzwanzigjährigen zum "Segretario della Repubblica", Machiavelli leitete die "Seconda Cancellaria", baute eine Volksmiliz auf und wurde im Dezember 1506 zum "Segretario" der "Nove dell'ordinanza e milizia" ernannt. Mit dem Sturz der republikanischen Soderini-Regierung und der Rückkehr der Medici verlor Machiavelli seine Ämter wieder und musste sich von der Politik zurückziehen. Reinhardt überschreibt dieses Kapitel aus dem Leben seines Protagonisten irritierenderweise mit "Innere Emigration" (248).
Zu dieser Zeit schrieb Machiavelli seine Erfahrungen nieder, vorab in seinem Buch über den Fürsten, das Reinhardt in die Tradition der Fürstenspiegel stellt. Bereits im Titel dieser Schrift, "De principatibus", versuche Machiavelli "die Humanisten" lächerlich zu machen (251), denn "Il Principe" sei im "Volgare" geschrieben und nicht in gelehrtem Latein. "Machiavelli, der erfahrene Diplomat und ausgewiesene Menschenkenner, rechnet unbarmherzig mit den humanistischen Schreibtischtätern ab" (253). Allerdings - so das Resümee Reinhardts - habe sich Machiavelli "mit seiner Kritik an den Humanisten und verweichlichten Mächtigen seiner Zeit" "vollends ins intellektuelle und politische Abseits" manövriert (333).
Der Verlag bewirbt das Buch als "die erste Biographie über Machiavelli seit Jahrzehnten" und verspricht auf der Rückseite des Schutzumschlags "ein neues Bild von Machiavelli". An diesen beiden Aussagen kann man das Buch messen. Die erste Aussage wird vom Autor in seinem Buch selbst widerlegt, denn in seinem Literaturverzeichnis listet Reinhardt die Machiavelli-Bücher von Dirk Hoeges (2000), Mikael Hörnqvist (2004), Francesco Bausi (2005), Maurizio Viroli (2005) und Wolfgang Kersting (2006) auf, alles unbestreitbar ernstzunehmende Beiträge zur Machiavelli-Forschung aus jüngster Zeit.
Der zweiten Aussage kann man zustimmen, wenn man die Zielgruppe des Buches bedenkt: Reinhardts Machiavelli-Biographie richtet sich an ein allgemein interessiertes Publikum und weniger an Historiker. Das erklärt auch den Gebrauch vieler Begriffe und Wendungen, die in einer wissenschaftlichen Monographie keinen Platz hätten, wie zum Beispiel die "toleranten" Zeitgenossen (10), "Hochrisiko-Strategien" (117), "Moralapostel" (245), "Schreibtischtäter" (253) usw.
Der Verfasser versteht es also, die Geschichte einer schwierigen Persönlichkeit aus seiner Gegenwart neu zu zeichnen und empfiehlt Machiavelli schließlich dem 21. Jahrhundert als "intellektuellen Provokateur" (373). Machiavelli lebt weiter und spricht zu uns.
Anmerkungen:
[1] Bernardo Machiavelli: Libro di ricordi, hrsg. von Cesare Olschki, Florenz 1954 (ND 2007).
[2] Catherine Atkinson: Debts, dowries, donkeys. The diary of Niccolò Machiavelli's father, Messer Bernardo, in Quattrocento Florence Frankfurt am Main 2002; vgl. hierzu die Rezension von Christian Wieland in sehepunkte 2 (2002), Nr. 9, URL: http://www.sehepunkte.de/2002/09/2189.html (22.10.2012).
Michael Maaser