Volker Reinhardt: Die Borgia. Geschichte einer unheimlichen Familie (= C.H. Beck Wissen; 2741), 2. Auflage, München: C.H.Beck 2011, 128 S., ISBN 978-3-406-62665-4, EUR 8,95
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Neben den Medici in Florenz - jüngst wieder durch eine Ausstellung und eine passende Dokumentation ins Bewusstsein eines breiteren, historisch interessierten Publikums gerückt - erfreuen sich nur wenige italienische Dynastien der Renaissancezeit einer größeren Bekanntheit. Mit der Florentiner Familie durchaus gleichziehen können indes die (ursprünglich aus Spanien stammenden) Borgia. Seit im vergangenen Jahr gleich zwei qualitativ zumindest zweifelhafte, beim Publikum aber offenbar beliebte Fernsehserien von "sex, crime and violence" im Rom der Renaissance erzählten, ist der Name Borgia, ob verbunden mit Papst Alexander VI., seiner Tochter Lucrezia oder seinem Sohn Cesare, im Ranking der "prominenten" neuzeitlichen Dynastien weit nach oben gewandert. Nicht jeder Papst erfährt schließlich die fragwürdige Ehre, von Jeremy Irons dargestellt zu werden.
Das erhöhte Medieninteresse mag auch ein Zeichen dafür sein, dass die Geschichte vor allem des Aufstiegs einer Familie von "Parvenüs" bis in die höchsten kirchlichen und damit verbundenen auch weltlichen Kreise ein breites Publikum erreichen kann. Dessen ist man sich zweifellos auch im Verlag C.H. Beck bewusst, der nur ein Jahr nach der Erstauflage des in der Reihe Beck Wissen erschienenen Büchleins sogleich eine zweite Auflage nachlegte. Wie alle in der bekannten Reihe erschienenen Bände soll auch Volker Reinhardts "Geschichte einer unheimlichen Familie" als Einführung dienen. Das rasche Erscheinen der zweiten Auflage zeugt von einer hohen Nachfrage. So steht der Auferstehung der Borgia in einer zweiten Staffel pünktlich zum Osterfest - und vermutlich im Nachgang zu einem realen Konklave - jetzt zwar das passende Buch zu Seite, leider aber nicht in einer neu bearbeiteten, die enthaltenen Ungenauigkeiten tilgenden Auflage.
Zunächst aber zum Inhalt: Auch über die schauerlichen Geschichten über "die berüchtigtste Familie der Renaissance" (Verlagstext) hinaus - man möchte meinen, hier wird mit "Gala" und Co. konkurriert - bietet das Büchlein einen dichten Inhalt, der eine Besprechung lohnt. Zunächst einmal sei der Blick des Italienforschers erlaubt. Es ist zu begrüßen, dass neben den üblichen Verdächtigen wie den Häusern Medici oder der Republik Venedig und natürlich der Stadt Rom als Zentrum des Kirchenstaats selbst auch andere Bereiche, vor allem aber Akteure des frühneuzeitlichen Italiens auf dem deutschsprachigen Buchmarkt vertreten sind. Dass die Geschichte der Borgia eng mit Rom und der Kurie verbunden ist, bürgt im vorliegenden Beispiel für Qualität, schließlich ist Volker Reinhardt ein ausgewiesener Spezialist auf diesem Gebiet und kann die Geschichte der Dynastie sehr farbig mit seinem breiten Wissen verweben. Dabei leuchtet er die Strukturen und Merkmale Roms in der Renaissance und der frühneuzeitlichen Gesellschaft nun an der Geschichte einer einzelnen Dynastie aus.
Ausgehend von den Ursprüngen des Hauses Borgia und dem Pontifikat des ersten Borgia-Papstes Calixtus III. zeigt er, mit welchen Strategien die wichtigsten Vertreter dieser Familie zielgerichtet die höchsten kirchlichen und - wenngleich letzten Endes nicht ganz so erfolgreich - auch weltlichen Ämter anstrebten. So entfaltet sich dem Leser ein System von Netzwerken sowie politischen, dynastischen und finanziellen Interessen, die gemeinsam einem übergeordneten Ziel dienen sollten: dem abermaligen Aufstieg zum Pontifikat und darauf aufbauend der Schaffung eines eigenen Territorialstaats im nördlichen Kirchenstaat. Reinhardt erzählt dabei die Geschichte eines Aufsteigers auf dem Papstthron, der das Spiel der Inszenierung und Selbstdarstellung perfektionierte und die ihm gegebene Macht ebenso gekonnt wie rücksichtslos zum Wohle der Seinen einsetzte. Hier sei dann aber angemerkt, dass noch deutlicher hätte werden können, ob die Borgia in dieser Hinsicht eine Ausnahme darstellten oder welchen institutionellen Charakter, welchen tieferen Sinn Nepotismus in der Renaissance hatte. Gerade für ein diese Fragen nicht überblickendes Publikum wären erklärende, vielleicht auch relativierende, weil vergleichende Worte wünschenswert gewesen.
Deutlich erschließt sich aber, auf welcher Grundlage der soziale Aufstieg im römischen Mikrokosmos funktionierte. Den Borgia gelang es, trotz und zugleich wegen der Wirren, die Italien nach dem Einmarsch französischer Truppen unter Karl XIII. erlebte und dem Beginn der Auseinandersetzungen um die französischen Ansprüche auf das Herzogtum Mailand unter König Ludwig XIII., ihre Macht zu festigen. Die einzelnen Marksteine dieses Aufstiegs - und ebenso des letztendlichen Abstiegs - müssen, dem Format eines Büchleins mit nur 113 Textseiten geschuldet, leider sehr knapp ausfallen. Anders als bei manch anderem Beck Wissen-Büchlein ist das aber keine Schwäche, auch weil Reinhardt innerhalb seiner Erzählung einen Bogen spannt und selbigen bis zur letzten Seite gespannt hält. Vom Aufstieg Rodrigo Borgias alias Alexander VI. auf den Heiligen Stuhl, den Umständen des französischen Einmarschs hin zur Affäre Savonarola und der Ermordung seines Sohnes Giovanni Borgia über den Versuch der Schaffung eines Fürstentums Romagna für Cesare bis hin zum "Zusammenbruch der Borgia-Macht" bietet er ein breites Porträt seiner "unheimlichen" Protagonisten.
Insgesamt hält der Band was er verspricht. Ärgerlich sind aber inhaltliche Fehler an jenen Stellen, wo Reinhardt die engere Geschichte der Borgia verlässt und über andere italienische Dynastien spricht. Von einer zweiten Auflage wäre eigentlich zu erwarten, dass vorhandene, wenngleich kleinere, sachliche Mängel getilgt werden. Dazu nur zwei Beispiele: Ärgerlich ist es wenn ein bekannter Papst wie Sixtus IV. fälschlicherweise als Francesco Maria della Rovere firmiert (32 sowie im Register, 128) - dies war der Name seines Urgroßneffen, eines späteren Herzogs von Urbino, sein sollte. Falsch ist auch, dass Guidobaldo da Montefeltro 1502 einen Neffen Sixtus' IV. adoptierte (96). Es war eben jener Francesco Maria della Rovere, ein Neffe Papst Julius' II. della Rovere, den der Herzog von Urbino an Kindes statt annahm. Und zwar erst im Jahr 1504, nachdem der große Antagonist Alexanders VI., Giuliano della Rovere, alias Julius II. den Heiligen Stuhl bestiegen hatte.
Den Überblick über die Geschichte der Borgia, um die es ja eigentlich geht, schmälert dies freilich nicht. Hinsichtlich seines Hauptgegenstands - Rom und die Borgia - bietet das Büchlein einen konzisen Überblick sowie einen guten Ausgangspunkt für die weitere Auseinandersetzung. Das liegt auch an der - für Reinhardt typischen - klaren Sprache und guten Lesbarkeit. Ob eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema dann zu Ostern in bewegten Bildern oder in Form weiterführender Literatur erfolgt, wird im Einzelnen vom Leser abhängen. Einen guten Grundstein für beides liefert das vorliegende Büchlein ohne Frage.
Sebastian Becker